Wenn Gold drin ist, schmeckt das Erz immer ein bisschen bitter. Aber wenn es Kupfer enthält, hat es einen etwas scharfen Nachgeschmack«, erklärt Pacífico (Francisco Melo) seiner 14-jährigen Tochter Carola (Katalina Sánchez), als er ihr einen verlassenen Nebenstollen zeigt, in dem er eine Goldader vermutet. Mitten in der Atacama-Wüste in Nordchile, einer der trockensten Regionen der Welt. In vielen kleinen Minen arbeiten Pirquineros: So werden Kleinbergleute oder Schürfer in Chile genannt, die in kleinen Gruppen und mit einfachen Mitteln Mineralien abbauen.
Pacífico und Carola holen morgens an der Straße an einer Abzweigung im Nirgendwo vier Pirquineros ab, hinten rauf mitsamt Fahrrädern auf den Pick-up, dann geht es über eine staubige Piste ab zum Stollen. Auf den vierten Pirquinero, Humberto (Michael Silva), müssen sie gleich zu Anfang warten, er kommt betrunken zu spät auf seinem Fahrrad angeeiert. Pacífico ist genervt, aber Carola sagt zu ihm: Du kannst ihn nicht entlassen, sonst haben wir Amadeo gegen uns, dann geht alles kaputt. Auch in der Einöde gibt es Abhängigkeiten, Machtverhältnisse, reichere Familien. Oder gerade dort.
Die Wüste ist weit, Aufnahmen von hoch oben zeigen das atemberaubende Panorama einer Mondlandschaft, ohne Bäume, Häuser – rotbrauner Sand und Felsen bis zum Horizont. Darin ganz klein der Pick-up von Pacífico und Carola mit einer riesigen Staubfahne hinter sich.
Als Carolas Vater bei einer Schießerei verletzt wird, fährt sie selbst den Pick-up zum Treffpunkt der Pirquineros. Autofahren hat sie schon geübt. Nach und nach nimmt sie Pacíficos Platz ein – als Chefin von den vier Bergleuten akzeptiert zu werden, ist alles andere als ein Selbstläufer. Erst weigern sie sich, mit ihr zu arbeiten, dann fordern sie Carola heraus: Wo ist denn die Kupferader, dafür ist immer Pacífico zuständig, die im ganzen Gestein zu finden. Aber sie hat den Pick-up, das Geld, die Kontakte zum Aufkäufer des Kupfers und erzählt, ihr Vater komme bald wieder. Alles wird ausgehandelt, nichts ist sicher. Sie muss sich Autorität verschaffen, Anweisungen geben, stark sein. Und Pacíficos Wunde heilt nicht so schnell. Er will nicht ins Krankenhaus nach Caldera – eine Schussverletzung müsste das Personal dort der Polizei melden, und Pacífico will nicht wieder ins Gefängnis.
Die Schießerei ist wie die Dialoge, die wie verbale Duelle sind, in denen permanent ausgehandelt wird, wer das Sagen hat. Dazu weites Land, kaum Frauen, kaum Zivilisation. Es gilt das Recht des Stärkeren: Ja, »Bitter Gold« ist eine Art Neowestern mit Pick-ups, Motor- und Fahrrädern statt Pferden. Die gesamte Handlung prägt der Wunsch, sich aus prekären Lebensumständen zu befreien. Und die starren patriarchalen Strukturen zu durchbrechen. Die anderen Pirquineros sehen Carola als Sexualobjekt, der betrunkene Humberto schaut sie aufdringlich-lüstern an, in einem Konflikt wird sie als »kleine Hure« beschimpft, als ihr Vater nicht dabei ist. Und ihre abwesende Mutter – der Vater ist alleinerziehend, deswegen muss sie mit ihm bei der Mine leben – wird als »große Hure« beschimpft. Auch der daneben stehende Pirquinero Juan María (Daniel Antivilo) protestiert nicht dagegen, obwohl er ihr Onkel ist.
Aber Carola weiß sich zu helfen – auch, als Amadeo (Carlos Donoso) die Mine von Pacífico für sich beansprucht. Rechtlich gesehen gehört die Mine weder Pacífico noch Amadeo. Aber es geht auch nicht um die Schürfrechte, sondern darum, wer sich im Gegeneinander durchsetzen kann. So kommt es am Schluss erneut zum Showdown, diesmal einem großen. Carola weiß, wie wichtig Selbstermächtigung gegenüber Machos ist.
Bitter Gold (orig. »Oro Amargo«), Chile/Mexico/Uruguay/Deutschland 2024. Regie: Juan Olea. Mit: Katalina Sánchez, Francisco Melo, Michael Silva, Daniel Antivilo. 83 Min. Kinostart: 21. August.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193439.kino-carola-weiss-sich-zu-helfen.html