nd-aktuell.de / 21.08.2025 / Wirtschaft und Umwelt

Berufsausbildung: Keine Herrenjahre

Wenig Geld und schlechtere Bedingungen in weiblich dominierten Branchen: die Lebensrealität von Azubis

Sarah Yolanda Koss
Einmal »Aaah« sagen, bitte! Die Zahnmedizin ist ein weiblich dominierter Ausbildungsberuf. Das liegt auch an überholten Rollenbildern.
Einmal »Aaah« sagen, bitte! Die Zahnmedizin ist ein weiblich dominierter Ausbildungsberuf. Das liegt auch an überholten Rollenbildern.

Die Personalabteilung der Deutschen Bahn hat sich etwas Besonderes überlegt. Sie setzt bei ihrer Azubi-Suche neuerdings auf Gaming und E-Sports – professionelle Computerspiel-Wettkämpfe. Das soll »insbesondere junge Talente der digital-affinen Generation Z« für den Konzern begeistern, wie es in einer Pressemitteilung zu Beginn dieser Woche zu lesen ist. Ausbildungen in der Zugverkehrssteuerung, Gleisbau, Elektrotechnik oder Mechatronik sollen mit dem zweiten Standbein kombiniert werden.

Etwas bodenständiger geben sich die Stadtwerke Osnabrück. Sie eröffnen gerade ein »Azubi-Haus«, inklusive Terrasse und Garten, mit Zimmern für 200 bis 250 Euro. Auf den Bildern eines NDR-Berichts stehen die ersten beiden Bewohner*innen zufrieden lächelnd neben einem Tischkicker. Der günstige Wohnraum soll mehr Auszubildende anlocken.

Die Deutsche Bahn und die Stadtwerke Osnabrück haben ein Problem gemeinsam: Ihnen fehlen Azubis. Der Deutschen Industrie- und Handelskammer zufolge konnten 48 Prozent aller Unternehmen, die 2024 Ausbildungsplätze angeboten haben, nicht alle ihre Stellen besetzen. Umgekehrt bieten laut dem Berufsbildungsbericht der Bundesregierung nur noch 18,8 Prozent der deutschen Arbeitgeber Ausbildungsplätze an.

»Die Ausbildungslosigkeit verharrt auf einem traurigen Höchststand. Noch nie haben so wenige Betriebe ausgebildet wie heute«, sagt Elke Hannack, stellvertretende Bundesvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Fast jeder fünfte junge Mensch ist ohne abgeschlossene Berufsausbildung, insgesamt 2,9 Millionen in der Altersgruppe der 20- bis 34-Jährigen. »Ihnen droht deutlich häufiger ein Arbeitsleben, das durch Niedriglöhne und prekäre Beschäftigungsbedingungen geprägt ist«, kritisiert Hannack. Darauf soll der Ausbildungsreport[1] 2025 der DGB-Jugend hinweisen.

»Wer heute nicht in Ausbildungsplätze investiert, braucht sich morgen nicht über den Fachkräftemangel zu wundern.«

Kristof Becker DGB

»Wer heute nicht in Ausbildungsplätze investiert, braucht sich morgen nicht über einen Fachkräftemangel zu wundern«, fasst Kristof Becker, DGB-Jugendsekretär, am Donnerstag zusammen. Durch den Fachkräftemangel gibt es nicht genügend Personen mit benötigten Berufsqualifikationen auf dem Arbeitsmarkt. Er kann nur einzelne Branchen betreffen und so wie derzeit auch eintreten, wenn Arbeitslosigkeit herrscht.

Ob die Deutsche Bahn mit ihrem Gaming-Plan überzeugen kann, ist fraglich. Schließlich spielen für die Wahl der Ausbildung laut dem Report vor allem eine gute Erreichbarkeit des Betriebs, ein gutes Arbeitsklima, Arbeitszeiten und die Höhe der Ausbildungsvergütung eine Rolle. Der Spruch »Lehrjahre sind keine Herrenjahre«, scheint allerdings weiterhin schlagend.

62,8 Prozent der befragten Azubis geben an, nicht von ihrer Ausbildungsvergütung leben zu können. Laut dem Bundesinstitut für Berufsbildung erhielten Auszubildende in tarifgebundenen Unternehmen 2024 durchschnittlich 900 Euro pro Monat. In kleineren, nicht tarifgebundenen Firmen kann der Lohn auf bis zu 500 Euro sinken. Fast ein Drittel der für den DGB-Report Befragten erhält finanzielle Unterstützung der Eltern, etwa jede*r Achte hat einen Nebenjob.

Der DGB fordert deshalb, die gesetzliche Mindestausbildungsvergütung auf 80 Prozent der durchschnittlichen tariflichen Ausbildungsvergütung zu erhöhen – mindestens 834 Euro. »Wir sprechen von 150 Euro mehr, die einen Unterschied für junge Menschen machen«, so Becker.

Die sogenannte gesetzliche Ausbildungsgarantie der Ampel sollte die Situation zum Besseren verändern. Junge Menschen haben seit 2024 offiziell das Recht auf einen Ausbildungsplatz. »Bisher profitieren aber viel zu wenige Menschen in viel zu wenigen Regionen von den beschlossenen Maßnahmen«, so Hannack. »Arbeitgeber müssen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachkommen und mehr Ausbildungsplätze anbieten.«

Der DGB fordert deshalb, wie bereits seit Jahren, eine »solidarische Umlagefinanzierung«. Ein Vorbild ist der Bremer Ausbildungsfonds, in den alle Betriebe im Bundesland eine Ausbildungsabgabe in Höhe von 0,27 Prozent der Arbeitnehmerbruttolohnsumme zahlen. Ausbildungsbetriebe erhalten dafür pro Azubi ab einer Beschäftigung von mindestens vier Monaten eine Erstattung der Ausbildungskosten in Höhe von 2250 Euro pro Jahr.

Eine erste Lesung eines ähnlichen Gesetzes im Berliner Abgeordnetenhaus könnte im Oktober erfolgen.[2] Wissenschaftler*innen des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft mahnen dagegen, die Maßnahme würde nicht zwingend zu mehr Ausbildungsplätzen führen. Das Kernproblem sei eine Knappheit an passenden Bewerber*innen.

Die Gründe dafür könnten auch anderswo liegen. Besonders bei Berufen und Branchen, die weiblich konnotiert sind, zeigen sich Probleme bei der Ausbildungsqualität. Obwohl solche Tätigkeiten nicht zu den Wunschberufen zählen, landen Frauen überdurchschnittlich häufig dort, »auch weil Betriebe ihre Auswahl häufig noch nach überholten Rollenbildern treffen«, steht im DGB-Bericht.

Ein Beispiel ist die Zahnmedizin, andere weiblich dominierte Ausbildungsberufe liegen im Büromanagement oder in der Verwaltung. Die Schuld liege hier nicht unbedingt beim Arbeitgeber, wie DGB-Referent Julian Uehlecke »nd« erklärt. Es handle sich vielmehr um gesellschaftliche Verhältnisse, die schon zu Schulzeiten festgeschrieben würden.

»Für sich genommen stellt die geringe Zahl weiblich dominierter Berufe unter den 25 am stärksten frequentierten Ausbildungsberufen bereits ein Indiz für die vergleichsweise geringe Attraktivität der dualen Ausbildung bei jungen Frauen dar«, erläutert der Bericht. Ändern könnte das eine frühzeitige verpflichtende ganzheitliche Berufsorientierung, abseits von Rollenklischees.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1184685.arbeitsmarkt-ausbildungsreport-zufriedenheit-sinkt.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192516.arbeit-in-berlin-ausbildungsplatzumlage-das-steht-im-schwarz-roten-gesetzentwurf.html