nd-aktuell.de / 21.08.2025 / Kultur

Vom Überleben im sterbenden Zeitungsgewerbe

Seit dem Jahr 2000 sterben die Zeitungen, und als Zeitungsmensch konnte man dabei die dollsten Dinge erleben

Klaus Ungerer
Mitglieder der älteren Generation konnten mit dem Medium noch etwas anfangen.
Mitglieder der älteren Generation konnten mit dem Medium noch etwas anfangen.

Mit 29 war ich, Studienabbrecher, plötzlich ein gemachter Mann. Das ging so: Ich saß zu Hause am Schreibtisch. Da klingelte das Telefon. Dran war die Sekretärin eines Zeitungsherausgebers, dessen Namen ich vage schon mal irgendwo gehört hatte. Der wolle mit mir sprechen. Ich ließ mich durchstellen. Ja hallo, sagte der Zeitungsherausgeber, er habe gerade einen Text von mir gelesen – ob ich nicht lieber für ihn und seine Zeitung arbeiten wolle?

Das war 1998, das waren noch die guten Zeiten, die Zeitung passte am Wochenende nicht unter der Tür durch, weil der Stellenmarkt so dick war, die großen Redaktionen kauften sich gegenseitig unter einigem Getöse die Mitarbeiter ab. Dass es ein Internet gab, hatte man gerüchteweise am Rande zur Kenntnis genommen.

Der Herausgeber bot mir vom Start weg 3000 D-Mark im Monat an, als freier Mitarbeiter.

»Was muss ich dafür tun?«

»Herr Ungerer, das entscheiden Sie selbst!«

Ich schrieb so vor mich hin für die, ab und zu fragten sie an, ob ich nicht lieber Redakteur in ihrer hässlichen Stadt sein wolle. Im Zuge einer Lebenskrise sagte ich zu. Ich enterte die Redaktion der großen Zeitung, und sie hatten nicht einmal einen Platz für mich. Die Zeitung war zu sehr angeschwollen in der letzten Zeit, in Umfang und Personal, ich müsste mich ein bisschen gedulden, bis es einen Raum für mich gäbe. Die Zeitung hatte das Haus nebenan angekauft und wollte nach dort hin Durchbrüche machen.

Das war die alte Zeit. Dann kam ihr Ende. So um 2000, 2001. Die Abonnenten drehten ihre dünne Wochenendausgabe in den Händen und riefen im Verlag an, ob da nicht irgendwas fehle. Stellen wurden nicht mehr besetzt. Groß verkündete Umzugspläne mussten kleinlaut einkassiert werden. Bald hörte man das Gurgeln und Schwappen der ersten Entlassungswelle im Haus. Dann die zweite. Dann klingelte bei mir das Telefon. Dieses Mal war nicht der Herausgeber dran. Es war auch nicht sein Stellvertreter dran. Es war ein Stellvertreter des Stellvertreters dran. Nicht einmal der sagte mir, worum es ging. Ich musste raten.

Ich würde entlassen. Man hatte die Controller im Haus. Es gab eine Entlassungs-Reihenfolge. Gab einen Sozialplan. In dem hatte ich zu wenig Punkte, ich war noch nicht sehr lange da, ich hatte keine Familie, das Kind war ja erst noch ein mittlerer Zellhaufen im Bauch meiner Freundin. Meine Freundin hatte ebenfalls gerade ihren Job verloren, bei der anderen großen Zeitung. Wir gingen in eine andere Stadt, ohne Jobs. Das war 2003. Seitdem schaue ich dem Sterben zu.

Zuerst starb die Zeitung, die es nur im Internet gab, ein hippes Projekt, da war ich kurz ein Teil der Redaktion. Als ich ankam, war alles schon heillos zerstritten, man sprach von Intrigen aus der Chefetage, Geld gab es auch keins, manchmal kam man morgens rein und wurde von niemandem zurückgegrüßt.

Irgendwann kamen da die Abwickler rein. Die Abwickler hatten Porsches und Rolexe, sie hatten das Projekt aufgekauft, sie verkündeten große Pläne, die ihnen niemand glaubte, dann luden sie die Leitungsebene zu einem Workshop-Wochenende ein. Kurz danach wurde der Laden zugemacht, die Porsches rollten wieder raus aus dem Haus, und es war interessant, das mal mitgemacht zu haben.

Als Nächstes starb unsere Textagentur. Wir hatten eine Marktlücke bearbeitet: Glossen. Lustige gute Texte zum Nachrichtengeschehen, lieferbar frei Haus für alle regionalen Tageszeitungen. Ein Text, siebzig Abdrucke! Siebzig Honorare. Das war der Plan. Tatsächlich hatten wir nur eine Handvoll Kunden, und wenn jeder von ihnen einmal pro Woche druckte, konnten wir froh sein.

Nach ein paar Jahren schauten wir uns an, meine Partnerin und ich – die gedankenschnellste und witzigste Autorin, mit der ich je arbeiten durfte –, dann stellten wir den Betrieb ein. Heute arbeitet sie als Lehrerin. Ein Paar sind wir auch nicht mehr. Das ewige Zusammenarbeiten auf engstem Raum, die immerwährenden Geldsorgen. Killer!

Auch machten wir eine Satireseite im Netz. Für ein bekanntes Nachrichtenmagazin aus der Printwelt. Jeden Tag gab es drei, vier, fünf Witze zur aktuellen Lage, das Ding hatte Kultstatus – und kostete quasi nichts. Für einen Hauch von Etat generierten wir Abermillionen Klicks. Aber das Nachrichtenmagazin hatte irgendwann neue Chefs. Die wussten irgendwie nicht, was das sein soll, Satire. Dann drehten sie den Hahn zu. Wir durften gehen, wir waren ja eh nur freie Mitarbeiter gewesen.

Dann war ich noch Textchef. In freier Mitarbeit. Bei einer Wochenzeitung. Wochenzeitungen sind die Zukunft. Diese hier ganz besonders. Sie gehörte einem linken Millionenerben, und der linke Millionenerbe gastierte gern als Verleger in den Talkshows. Daher musste es das Blatt geben, egal wie dünn, egal, was drin stand. Der Verleger schickte einmal die Woche eine Mail und sagte, wie er das Titelbild fand, ansonsten hatte man Ruhe vor ihm. Alle paar Monate wechselte er mal den Chefredakteur aus.

Der Job machte drei Jahre lang Spaß. Ich hatte sehr viele sehr nette Kollegis. Die Kollegis erfreuten sich an meinem Jammern und Stöhnen, wenn ich wieder einen der Texte im Blatt durchzulesen hatte. Wann immer sich die Gelegenheit bot, sagte ich: Man muss hier investieren. Das Ding hat 28 Seiten und kostet vier oder fünf Euro, die Texte müssen gut sein! Ihr müsst mehr Geld hinlegen, dann habt ihr bessere Autoren, die Redakteure müssen sich weniger rumärgern und können selber mehr schreiben!

Das geschah alles nicht. Stattdessen wurde der Chefredakteur ausgewechselt. Und Corona kam. Gerüchte berichteten mir von einem Notfallplan. Den habe die Geschäftsführung ersonnen. In dem Notfallplan komme kein Textchef mehr vor. Kurz darauf war es tatsächlich so weit: Nacheinander kamen zwei Kollegen in mein Büro, mit denen ich drei Jahre lang als freier Mitarbeiter vertrauensvoll zusammengearbeitet hatte. Als wäre es ein kleiner Extraurlaub, sagten sie: Ach Klaus, du brauchst ja ab nächste Woche nicht mehr zu kommen.

Das war ein echtes Highlight in meiner Abwicklungs-Historie. Ich bin schon so oft abgewickelt worden, ich könnte Abwicklungs-Berater werden. Problem dabei ist: Es braucht dafür kaum Expertise. Denn die Zeitungen werden zu einem großen Teil von freien Autoris bestritten, und welche Rechte hat ein freier Autor?

Katzbuckeln kann er, sich verbeugen, die Tür geräuschlos hinter sich schließen. Und jedes »Tschüs, bis bald« könnte das letzte gewesen sein. Meine Ghostingstories sind Legion. Du schreibst über Jahre für so ein Hochglanzblatt, bei dem Journalismus und PR eine spannende neue Allianz eingehen, dann schreibst du dort einen nur zurückhaltend-freundlichen Text über einen Anzeigenkunden – zack. Weg. Nie wieder Auftrag. Du schreibst ab und zu für eine Magazinbeilage für ein eher konservatives Blatt, der Redakteur ist total nett und offen, dann schreibst du ihm, weil du Lust hast, ein Stück über den Zusammenhang zwischen Gewalt und Geschlecht – zack, weg. Angeschrieben, Mail, Facebook, egal. Nie mehr eine Antwort. Du schreibst über Jahre für ein humanistisches Nachrichtenportal, dann, ohne erkennbaren Anlass, bekommst du keine Antworten mehr. Mail, Facebook, Insta – Schweigen. Nie mehr eine Nachfrage, nie eine Textbestellung, keine Erklärung. Soll man da dann hinterhertelefonieren?

So ist das Leben als freier Autor, juchhei! Und die Leute im Medienbusiness sind vielleicht nicht mal viel fühl- und gnadenloser als anderswo. Aber das System macht es ihnen leicht: Ein freies Autori ist ein Nichts, es kann jederzeit weggeschnippt werden, es sind genügend andere da, und die Angst in einem sterbenden Gewerbe sorgt dafür, dass alle schön ruhig bleiben und sich irgendwie noch zu klammern versuchen an das sinkende Floß.

Frage in so Interviews manchmal: Welchen Tipp würdest du deinem 18-jährigen Ich geben?

Lern was Ordentliches, Klaus. Such dir einen Job, irgendeinen, wo du deinen Kollegis vertrauen kannst. Schreib an den Wochenenden. Such vor allem diese eine Superfrau, eine Hugenottin aus Hamburg, ihr werdet euch sonst erst mit 50 begegnen! Und wenn du mal nicht weiter weißt, und wenn alles mal vertrackt aussieht, radel zum »nd«: Da kann man nämlich Paternoster fahren, was für ein Spaß ist das! Runter, runter, runter fährst du, ab in den Keller – dann aber, wie durch ein Wunder, bleibst du da unten am Leben, und die Fahrt geht wieder nach oben, ans Licht.