Herr Atanasovski, Sie sind Mitbegründer von Radnički Glas. Wo steht die Gruppe politisch?
Wir sind Marxisten und Vertreter des gewerkschaftlichen Klassenkampfs. Seit vier Jahren beraten wir serbische Gewerkschaften in Arbeits‑ und Tarifkonflikten. Darüber hinaus produzieren wir einen wöchentlichen Podcast zu gewerkschaftsbezogenen Themen. Derzeit besteht unser harter Kern aus etwa 40 aktiven Ehrenamtlichen.
Wie funktioniert die Beratung von Gewerkschaften?
Uns geht es um strategische Planung. Wir arbeiten nicht kampagnenorientiert, sondern verfolgen langfristige Ziele. Zuerst ist es entscheidend zu verstehen, welche Ressourcen benötigt werden. Wie gewinnt man die Belegschaft, wie führt man Verhandlungen, wie wird Druck aufgebaut? Wir übernehmen die Rolle, die Beraterfirmen für Arbeitgeber innehaben. Wir sind sozusagen ein Think Tank der Arbeiterbewegung.
In welchen Bereichen ist diese »Denkfabrik« aktiv?
Eine unserer wichtigsten Betriebsgruppen ist beim Kabelhersteller Yura angesiedelt. Wir sind auch im Bildungssektor vertreten und unterstützen dort derzeit den Aufbau einer neuen Gewerkschaft. Hinzu kommen Bergbau und Minen, wo unsere Zusammenarbeit bisher allerdings punktuell war. Neu hinzugekommen sind Kostümbildner, was wir besonders spannend finden.
Wie wird Ihre Arbeit angenommen?
Das hängt vom Fokus der jeweiligen Gewerkschaft oder Betriebsgruppe ab. Wer sich darauf beschränkt, am Verhandlungstisch mit Argumenten zu überzeugen, ist bei uns an der falschen Adresse. Unserer Überzeugung nach geht es bei Tarifkonflikten im Kern um Drohpotential. Nicht alle Gewerkschaften teilen diesen Ansatz — und das ist völlig in Ordnung.
Ist es angesichts der aktuellen Protestwelle[1] einfacher, mit Menschen auf der Straße in Kontakt zu kommen?
Das ist nicht unser Organisationsfokus. Wir unterstützen Gewerkschaften darin, ihre Mitgliederzahlen zu erhöhen, zu mobilisieren und Forderungen durchzusetzen. Die Studierendenproteste sind allerdings aus gewerkschaftlicher Sicht positiv, da sie den Alltag wieder politisiert haben. Menschen finden neue Wege, sich einzubringen und ihre Lebensperspektiven zu verbessern — und Gewerkschaften sind dafür wichtige Zugangswege. Es war eine tolle, aber herausfordernde Zeit für uns. Jetzt stehen wir vor der schwierigen Aufgabe, dieses politische Interesse zu erhalten. Es wird nicht leicht, die Energie von der Straße in gewerkschaftliches Handeln zu überführen und erfolgreiche Ergebnisse zu erzielen.
Wie sieht Serbiens Zukunft nach den Protesten aus?
Die Bewegung hat ein tiefes Misstrauen gegenüber dem politischen Regime offenbart[2]. Die Mittelschicht sieht das System um Präsident Aleksandar Vučić als Feind. Viele von ihnen arbeiten im öffentlichen Dienst. Sollte die Mehrheit der Staatsangestellten sich gegen das Regime stellen, könnte dies zu einer politischen Krise führen.
In den vergangenen Monaten haben sich mehrere kleinere Arbeitnehmervertretungen aus Unzufriedenheit mit den großen Gewerkschaften gegründet. Wir raten in der Regel von Abspaltungsprozessen ab. Oft ist nicht etwa strukturelle Korruption das Hauptproblem, sondern es fehlt an Macht, Ressourcen und Kompetenz. In den Gewerkschaften gibt es nur wenige Hauptamtliche. Ganz anders bei den Arbeitgebern, wo sich oft mehrere Personen nur damit beschäftigen, die Betriebsräte zu schwächen.
Ein positives Beispiel ist die Gewerkschaft der Kulturschaffenden (NAUKE) in Belgrad: Durch Politisierung alter und neuer Mitglieder sowie die Einbindung von Kultureinrichtungen und Studierenden konnte die Gewerkschaft wieder kämpferischer agieren.
Wie steht es um das Streikrecht in Serbien?
Seit Beginn der Studentenproteste gab es Rufe nach einem Generalstreik. Einige Studierende gingen davon aus, dass sich Gewerkschaften anschließen würden, um eine politische Krise zu erzwingen – was sehr naiv war.
Erstens: Es gibt keine branchenübergreifende Gewerkschaft, die einen solchen Streik ausrufen könnte. Zweitens: Die Gesetzeslage verbietet Streiks im öffentlichen Sektor. Der Staat kombiniert Gesetzgeber- und Arbeitgeberrolle und verbietet Streiks in besonderen staatlich relevanten Bereichen: Bildung und kommunale Dienste etwa.
In diesen Bereichen kann der Staat Mindestdienstleistungen festlegen, angeblich zum Schutz vor Risiken – tatsächlich, um Streiks wirkungslos zu machen. Warnstreiks dürfen nur eine Stunde dauern. Doch Streiken bedeutet ja nicht nur nicht zu arbeiten, sondern ein Problem zu schaffen. Mit unserer »Recht auf Streik«-Kampagne haben wir eine Bürgerinitiative gestartet: Wir fordern 24‑Stunden-Warnstreiks und neue Regeln für Mindestdienstleistungen. Einige Gewerkschaften unterstützen unsere Unterschriftensammlung.
Wie viele Unterschriften braucht es?
Wir benötigen 30 000, doch das Verfahren ist äußerst umständlich. Wenn wir am Arbeitsplatz sammeln möchten, muss ein Gemeindebeamter dabei sein. Zusätzlich stellen uns Vorgesetzte häufig Hindernisse in den Weg. Obwohl gesetzlich verpflichtet, verweigern sie die Mitarbeit. Deshalb hatten wir nur in wenigen Gemeinden, Schulen und Kindergärten Zugang.
Stichwort Basisarbeit: Geht Radnički Glas auf Menschen zu und vermeidet akademische Diskurse?
Wir sprechen direkt mit der Arbeiterschaft, nicht mit der allgemeinen Öffentlichkeit. Wir beraten Organisationen, die deutlich mehr Mitglieder haben als wir. Unsere Aufgabe ist es, Arbeiter zu mobilisieren, damit Gewerkschaften nicht nur als Dienstleister wahrgenommen werden.