Und dann ging es ganz schnell: Anfang Juli kündigte die Führung des US-Softwareriesen Microsoft den Abbau von bis zu 9000 Stellen an. Ihm sei bis zum 8. Juli Zeit gegeben worden, einen Aufhebungsvertrag zu unterzeichnen, sagte ein Mitarbeiter dem Jobportal »Business Insider«. Danach werde er 60 Tage bezahlten Urlaub erhalten. Für die Betroffenen kam die Kündigung völlig überraschend, zumal die letzte Entlassungswelle erst im Mai stattgefunden hatte. Außerdem meldete Microsoft gerade erst Rekordgewinne und einen kräftigen Umsatzanstieg. Der zuletzt stark steigende Börsenwert nähert sich der Marke von vier Billionen US-Dollar.
Microsoft ist kein Einzelfall. Fast täglich kündigen IT-Unternehmen Stellenabbau an – zuletzt die New Yorker Videosoftwarefirma Kaltura, wo zehn Prozent der Belegschaft gehen sollen. Weltweit summieren sich die Jobverluste im Technologiesektor in diesem Jahr bisher auf nahezu 150 000 Beschäftigte, wie aus einer aktuellen Analyse des Zahlungsdienstleisters RationalFX hervorgeht. Darin wurden Entlassungsankündigungen von Unternehmen bis zum 5. August ausgewertet. Die tatsächliche Zahl könnte laut den Autoren noch deutlich höher liegen, da es Dutzende von Unternehmen gebe, die den Stellenabbau offiziell noch nicht bestätigt hätten.
Die Kündigungswelle im Techsektor begann bereits 2022 an und betrifft Schätzungen zufolge bisher mindestens eine halbe Million Jobs. In der Corona-Pandemie war zunächst massiv Personal eingestellt worden, um die schlagartig gestiegene Nachfrage nach Homeoffice und Onlinehandel zu bedienen. Viele Mitarbeiter wurden danach nicht mehr benötigt. Seit dann noch schwache Prognosen und rückläufige Umsätze hinzukamen, setzen viele Konzerne und Start-ups auf Kostensenkung durch Personalabbau. Zumal Kapitalgeber wegen der hohen Zinsen und der Unsicherheiten durch Handelskonflikte zunehmend auf Profitabilität drängen. Auch Fusionen und Umstrukturierungen ziehen Stellenabbau nach sich.
Laut der Studie betreffen 71 Prozent der Entlassungen in diesem Jahr Unternehmen in den USA, wo es auch die weltweit höchste Konzentration an Tech-Firmen gibt. Betroffen sind aber zudem weitere wichtige Länder wie Indien, Japan und die Schweiz. Selbst in Deutschland wurden in diesem Jahr 800 Stellen abgebaut. Seit Beginn der Welle traf es hierzulande fast 8000 Angestellte in über 58 Unternehmen, allen voran beim Softwarekonzern SAP.
Der US-Chiphersteller Intel führt die RationalFX-Liste bei den Entlassungen im Jahr 2025 an. Das Unternehmen werde bis Jahresende voraussichtlich 20 Prozent seiner Belegschaft abbauen: 33 900 Beschäftigte. Der einstige Platzhirsch hatte erst bei Smartphones und Tablets den Anschluss verpasst, später auch bei KI-Chips und der Ausstattung von Rechenzentren. Hinzu kamen Fertigungsprobleme. Nun soll Intel zum Auftragfertiger umgemodelt werden, weshalb man Pläne für neue Halbleiterwerke etwa in Magdeburg aufgab[1]. Wie am Wochenende bekannt wurde, ist die US-Regierung mit zehn Prozent bei dem angeschlagenen Konzern eingestiegen, als Gegenleistung für die milliardenschweren Subventionen aus der Biden-Zeit und aus strategischen Erwägungen.
Intel ist zwar ein Sonderfall, aber die Entlassungswelle zieht sich wie ein roter Faden durch die Branche und trifft ebenso profitable Unternehmen. Microsoft liegt mit 19 175 Entlassungen auf Platz zwei. Es folgt der indische IT-Dienstleister Tata Consultancy, der im Juli den Abbau von 12 000 Stellen ankündigte, begründet mit »Qualifikationsungleichgewichten«.
Als neuen Trend haben die RationalFX-Analysten einen »strukturellen Wandel hin zu Automatisierung und KI« ausgemacht. Die Techbranche hat Künstliche Intelligenz schon lange als Wachtsumszweig entdeckt[2], jetzt richtet sich dies auch nach innen. Microsoft entwickelt nicht mehr nur seinen Chatbot Copilot weiter, sondern setzt auch auf Integration von KI in seine Betriebsabläufe und fordert laut Berichten seine Mitarbeiter auf, KI-Tools in ihrer täglichen Arbeit zu verwenden. Indiens IT-Dienstleister ersetzen einige Einstiegspositionen durch Automatisierungstools. Das geschieht meist im Stillen. IBM ist eines der wenigen Unternehmen, das offen darüber spricht: Im März teilte der IT-Riese bei der Ankündigung von rund 9000 Entlassungen mit, dass KI ganze Kommunikations- und Marketingabteilungen ersetzen werde.
»Da sich Künstliche Intelligenz rasend schnell verbreitet und in immer mehr Branchen Einzug hält, werden ihre Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt immer greifbarer«, erläutert Martin Cohen vom Analyseportal NewsworthyData. »Zahlreiche Unternehmen ersetzen Hunderte von Mitarbeitern durch Automatisierungstools, Chatbots und sogar programmierbare KI.« Betroffen seien insbesondere Arbeitsplätze in den Bereichen Verwaltung, Kundensupport oder repetitive Programmieraufgaben, wie er gegenüber »nd« sagt. Dabei gebe es ein »Missverhältnis«: In diesem Jahr würden weltweit auch Zehntausende von KI-bezogenen Stellen ausgeschrieben, darunter Machine-Learning-Ingenieure sowie Positionen in den Bereichen KI-Ethik, Infrastruktur und Produktintegration. »Diese Stellen sind jedoch oft hochspezialisiert und konzentrieren sich auf wenige Zentren wie Silicon Valley, Seattle, London und Shenzhen.« Man stehe aber noch am Anfang einer »wahrscheinlich langfristigen Transformation«, meint Cohen. »Mit zunehmender Reife der KI-Systeme werden diese gleichzeitig eine Nachfrage nach neuen Rollen in den Bereichen Aufsicht, Technik und Zusammenarbeit zwischen Mensch und KI schaffen.« Dies führe nicht zwangsläufig zu einem dauerhaften Nettoverlust an Arbeitsplätzen.
Der Trend zur Effizienzsteigerung mit weniger Personal wird indes in der Branche derzeit geradezu gefeiert, heißt es in einem Beitrag des Finanzportals Eulerpool. »Revenue per Employee« (Umsatz je Mitarbeiter) sei im Tech-Bereich zu einer zentralen Kennzahl geworden. Start-ups und Unternehmen setzten auf minimalistische Teams, um maximale Effizienz zu erreichen. Das sei durchaus problematisch: Schlankere Organisationen könnten bei Schocks wie Lieferkettenkrisen oder KI-Fehlfunktionen zum Problem werden. Zudem könne technologischer Fortschritt Routine ersetzen, nicht aber zwischenmenschliche Fähigkeiten. Kreativität und emotionale Intelligenz gewännen aber an Bedeutung, so Eulerpool Research.
Die Weiterbildung von Mitarbeitern könnte Entlassungen sogar vermeiden. Für letztere entscheiden sich viele Unternehmen, die unter finanziellem Druck etwa durch ihre Aktionäre stehen, erläutert Datenanalyst Cohen. »Unternehmen, die in Umschulungen investieren, sind in der Regel besser in der Lage, sich an die sich wandelnden Herausforderungen im Zusammenhang mit KI anzupassen.« Dadurch lasse sich institutionelles Wissen bewahren, Talentlücken vermeiden und das Arbeitsklima aufrechterhalten.
Hingegen sorgt die Entlassungswelle für Verunsicherung bei Beschäftigten. »Für marginalisierte Gruppen sind Kündigungen potenziell verheerend«, heißt es in einem Bericht bei »Golem Karrierewelt« über die Situation in den Vereinigten Staaten. Nicht-US-Staatsangehörige sind von Abschiebung bedroht, wenn sie nicht innerhalb einer vorgegebenen Zeit einen neuen Job finden.[3] Ein erhöhtes Kündigungsrisiko träfe Frauen, die bereits mit niedrigen Gehältern sowie erschwerten Einstiegs- und Aufstiegschancen zu tun hätten: Zuletzt seien 56 Prozent der Entlassenen Frauen gewesen – obwohl gerade einmal ein Drittel der Beschäftigten in der Tech-Branche weiblich ist.
Allerdings haben die Beschäftigten laut dem Bericht Chancen, schnell einen neuen Job zu finden, auch wenn der womöglich schlechter bezahlt ist. Alte Industrien versuchen, Tech-Experten abzugreifen, um ihre IT-Infrastruktur zu aktualisieren oder lange hinausgeschobene Projekte anzugehen. In den Vereinigten Staaten betrage die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit für Tech-Arbeiter 8,1 Wochen. Es gebe mehr offene Stellen in der Branche als Menschen, die sie besetzen könnten. Der quasi über Nacht gefeuerte Microsoft-Mitarbeiter wird daher womöglich schon woanders angeheuert haben.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193518.technologiebranche-ki-wie-kuendigung-international.html