Die Berliner Jugendhilfe schlägt Alarm. Im aktuellen Haushaltsentwurf des schwarz-roten Senats für die Jahre 2026 und 2027 sind keine Mittel für die Tarifvorsorge für die Träger vorgesehen. Um ihre Arbeit auf gewohntem Niveau fortsetzen zu können, müssen die Träger aber die Erhöhungen, die der neue Tarifvertrag der Länder mit sich gebracht hat, stemmen. Zuletzt wurde ihnen im April versichert, dass trotz Kürzungshaushalt[1] das Land Berlin diese Kosten tragen würde. Jüngst ausgestellte Bescheide sprechen aber eine andere Sprache.
Der Tarifvertrag, an dem das Gehalt für Mitarbeitende von freien Trägern angelehnt sein soll, stieg zuletzt im Februar um 5,5 Prozent. Nachdem im Dezember die Koalition eine umstrittene Kürzung der Tarifvorsorge zurückgenommen hatte, wurde die Deckung der Finanzierung noch einmal im April bestätigt. Das habe große Erleichterung bei den Trägern ausgelöst, sagt Felix Korff, Vorstandsvorsitzender des Landesjugendrings Berlin. Im Juli aber erhielten die Verbände Bescheide, die nur zwei Prozent statt der 5,5 Prozent Erhöhung abdeckten.
»So könnte man kein Unternehmen seriös führen«, sagt Korff. Träger sind nun mit der Situation konfrontiert, die restlichen Steigerungen mindestens für ein halbes Jahr selbst zu tragen. Das sei besonders fatal, da dies einen Bruch mit der seit 2012 bestehenden Praxis, Tariferhöhungen vollständig zu finanzieren, bedeute, so Korff. Die Konsequenzen würden der Planungssicherheit der Träger[2] stark zu schaffen machen. Falls die Kosten in der Zukunft nicht übernommen werden, hätte dies dramatische Einschnitte bei den Arbeitsstunden zur Folge, um aus dem existierenden Budget Mitarbeitende gerecht zu bezahlen.
Andere Möglichkeiten, mit der fehlenden Finanzierung umzugehen, gebe es nicht. In der Vergangenheit seien die Träger in der Lage gewesen, Sachkosten zu reduzieren, so Korff. Berichte wurden nur online veröffentlicht oder die Verpflegung bei Veranstaltungen gestrichen. »Aber uns geht die Fantasie aus, wie wir das ohne Reduktion von Personalstellen hinkriegen sollen.«
Korff hat die Sorge, dass selbst bei Nachverhandlungen in der Zukunft öffentliche Träger[3] von dem Senat keine Mittel für eine volle Tariferhöhung erhalten werden. Dies könne zu einer Fachkräfteabwanderung in der Branche führen. Bis zu einem gewissen Punkt würden Mitarbeitende sehr viel Verständnis zeigen, doch wenn keine Besserung eintrete, dann folge der Jobwechsel. »Diese suchen sich dann nicht etwa einen anderen Job in der Jugendhilfe«, so Korff. »Deren Expertise ist dann weg.«
Weniger Personal oder eine reduzierte Stundenzahl für die Beschäftigten würde erhebliche Konsequenzen für die Arbeit mit sich bringen. »Die meisten Träger werden signifikant von selbstorganisierten Jugendlichen als Ehrenamtliche unterstützt. Diese Ehrenamtlichen bieten Angebote an, die durch Hauptamtliche unterstützt werden«, sagt Korff. Ohne die Hauptamtlichen würden es die Ehrenamtlichen schwer haben, insbesondere da manche Aufgaben nicht von 16- oder 17-Jährigen übernommen werden könnten.
»Träger wissen im Dezember nicht, wie sie im Januar planen.«
Felix Korff Landesjugendring Berlin
Der Abbau von Angeboten und Strukturen habe katastrophale Konsequenzen, so Korff. Diese seien bereits nach Corona spürbar gewesen. »Die Jüngsten übernehmen die Verantwortung, wenn sie älter werden und engagieren sich weiter bei den Verbänden«, erklärt Korff. Das bleibe aus, wenn diese keinen Zugang zu Angeboten hätten. »Das ist fatal, da der Nachwuchs bereits jetzt schon zu gering ist«, so Korff. »Hier sägt man an dem Ast, auf dem man sitzt.«
Daher fordert er bei der Aufstellung des Doppelhaushaltes für 2026/27 Transparenz und Klarheit. »Träger wissen im Dezember nicht, wie sie im Januar planen.« Die Geduld und Belastbarkeit von Mitarbeitenden sei endlich. Korff sagt, dass man klare und auskömmliche Verhältnisse benötige, um der eigentlichen Arbeit nachgehen zu können. Der Senatsentwurf der Haushaltsplanung liegt inzwischen den Abgeordneten vor, planmäßig soll der Haushalt für 2026/27 bis Jahresende beschlossen werden.
Klara Schedlich, Sprecherin für Jugendpolitik der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, sieht die Entwicklungen mit Sorge. »Was die CDU hier tut, ist verantwortungslos. Sie verschlechtert die Arbeitsbedingungen der Menschen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten – so lange, bis sie aufgeben und sich andere Jobs suchen. Kurze Finanzierungszusagen, schlechte Kommunikation und ständige Kürzungen zerstören die wichtige Arbeit freier Träger«, teilt Schedlich dem »nd« mit.
Die Senatsbildungsverwaltung will von gebrochenen Versprechen nichts wissen. »Unsere Senatsverwaltung weist den Vorwurf nicht eingehaltener Finanzierungs-Zusagen zurück. Dass die Träger von möglichen Kürzungsmaßnahmen betroffen sein könnten, wurde ihnen bereits im Dezember 2024 kommuniziert«, teilt Sprecherin Susanne Gonswa auf nd-Anfrage mit. Die Debatte um die Finanzierung der Tarifmittel sei nicht neu, und allen Beteiligten sei klar gewesen, »dass eine Entscheidung über die Bereitstellung zusätzlicher Mittel getroffen werden muss«.
Dass die nun getroffene Entscheidung die Träger in große Schwierigkeiten bringt, sei bekannt, die Kürzung sei aber aufgrund der Haushaltslage notwendig, heißt es aus der Bildungsverwaltung. Man habe eine grundsätzliche Bereitschaft und den politischen Willen zur fairen Lohnentwicklung in den sozialen Trägerstrukturen. »Ich bedaure sehr die Abweichung vom üblichen Verfahren, die uns erstmals in die Situation bringt, Träger nicht auskömmlich an den Tarifmittelsteigerungen zu beteiligen. Die Finanzierungssicherheit für soziale Arbeit muss gewährleistet bleiben«, teilt Senatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) dem »nd« mit.