nd-aktuell.de / 25.08.2025 / Kultur

Realität go home

Die Gegenwart besteht nur noch aus Fake! Fragt mal Kirsten Dunst oder den Maler Malewitsch

Klaus Ungerer
In der Realität unserer Wahl wäre mehr Lametta, und Kirsten Dunsts Name würde stets richtig ausgesprochen.
In der Realität unserer Wahl wäre mehr Lametta, und Kirsten Dunsts Name würde stets richtig ausgesprochen.

Sorry, Realität, jetzt ist mal langsam gut gewesen. Vieles hast du uns geben können über die Jahre, immer mal wieder haben wir uns bei dir willkommen gefühlt. Manchmal waren wir für Momente glücklich in deiner, wenn auch etwas seltsamen, überkandidelten, oftmals wenig glaubwürdigen Welt voll bizarrer Nachrichten, absurder Lüste und schlechter Musik. Aber das ist jetzt bald mal vorbei! Deine Übergriffe auf unser Wohlbefinden, deine Attacken auf unsere eigene Welt – gesund, vernünftig und frei von Unsinn und Gewalt – sind nicht unbemerkt geblieben. Etwa schlugen wir heute Morgen mal wieder das Internet auf, und ganz im Ernst, liebe Realität, kannst du uns bitte sagen, was du dir bei all diesem Krams wieder gedacht hast? Nehmen wir Emily Portman, diese britische Folksängerin mit dem ausgedacht klingenden Namen, von der wir bis heute noch nie etwas gehört haben, einfach, weil Folksängerinnen in unserer eigenen Realität nichts zu suchen haben: Diese gewiss sehr nette Frau – Folksängerinnen stellen wir uns als Frauen vor, die mindestens die ersten zwei, drei Stunden supernett erscheinen irgendwie, ehe man in die dunklen Schluchten ihres Narzissmus gestürzt wird – ist für ihr jüngst erschienenes neues Album »Orca« ausgiebig gelobt worden, es hat Menschen Glück, Sinn und etwas zum Bequatschen gebracht.

Die Leute lieben Emily Portmans neues Album! Völlig egal, dass es gar nicht von ihr ist.

Da meldest du dich, Realität, in deiner schnöden Stumpfheit, und drückst uns Menschen draußen an den Geräten rein: Dieses Album sei gar nicht von ihr, der netten Emily. Sondern irgendein Jemand habe es vermittels KI generiert, weswegen es gar nicht als ein Album von Emily zu werten sei, weswegen, so schließen wir, alle im Zuge des Musikkonsums entstandenen und intensiv genossenen Gefühle somit unauthentisch, nicht folkloretauglich und somit nichtig sind, zurückgenommen und ent-fühlt gehören. Ja, was! Kommst du dir jetzt besser vor? Ist es besonders cool, den armen Folkies das zu nehmen, was ihnen das Liebste ist, die vermeintliche Authentizität, die Tiefe und Geborgenheit ihrer Musik?

Emily selbst, von der BBC zum Thema befragt (wenn sie es wirklich war), hat bekannt: Die Musik sei schon sehr nah an ihrer eigenen, und einige der Songtitel (»Wuthering Thighs«, »Cloakh of Falballa«, »Kein schoner Länd«) – okay, ja, diese drei stammen jetzt mal wieder aus unserer Realität, nicht deiner – könnten auf fast unheimliche Weise nahezu von ihr sein. Ist doch super! Warum hat man der guten Frau nicht lassen können, was ihr so gut wie gehört?

Deine Welt, liebe Realität, ist ein beamtischer Entwurf voll starrer Regeln, Naturgesetze und schnöder Urheberrechte, eine Welt ohne Fantasie, Überschwang und Üppigkeit! Und wir verurteilen das. Auch in Rumänien unten, liebe Realität, sollst du ja harsch eingegriffen haben, erzählt uns ebenfalls BBC, die Geschichtenmaschine: Eine großartige Bukarester Malewitsch-Ausstellung mit einer tollen Hintergrundstory, ein solches Event, das Malerei-Fans glücklich macht, wird von dir und deiner säuerlichen Vergnatztheit gesprengt: Die drei dort gezeigten Malewitsch-Bilder im Werte von Zigmillionen (circa), die unter der Matratze eines rumänischen Rentners, ist das nicht toll, gefunden wurden – sollen jetzt, folgt man dir, vermutlich gar nicht von Malewitsch sein. Als ob das wichtig wäre! Müssen denn Malewitsch-Bilder immer unbedingt vom Malewitsch selbst gemalert sein, der hatte doch sicher auch noch viele andere Sachen zu tun: Aufstehen, Kaffee machen, Pyjama falten, Zeitung lesen …

Zum Beispiel diese News über Hollywood-Schauspielerin Kirsten Dunst. Die hätte Malewitsch sicher gern gelesen, und wer weiß, vielleicht hätten sie ihn zu neuen Bildern voll schöner Trapeze inspiriert. Kirsten Dunst hat jetzt der Welt zu verstehen gegeben: Immer schon sei ihr Name falsch ausgesprochen worden! Die Amerikanerinnen, die Engländer, die Schwedinnen, die Ungarn – alle haben sie immer einen Namen verbalisiert, der dem ihren nur vage ähnlich klang, wie verwirrend, doof und unangenehm für sie. Daher, liebe Realität, wollen wir dir hiermit den ultimativen Verweis erteilen, bevor wir ernsthafte Konsequenzen ziehen aus unserer Beziehung mit dir: So etwas tut man einfach nicht! Eine nette Frau wie Kirsten Dunst immer wieder solchen Launen auszusetzen – stop it, Realität! Lass einfach alle es aussprechen, wie es ausgesprochen gehört, nämlich: »Kirsten.« Kirsten, Kirsten, Kirsten. Danke, Realität. Letzte Warnung.