Es gibt Reisen, die beginnen mit der Hoffnung auf Erkenntnis – und enden mit der Erkenntnis, dass Hoffnung oft auf dem Bahnsteig stehen bleibt. Diesen Sommer wollte ich meinen Kindern zeigen, dass man Europa auch klimaschonend, interessant und komfortabel mit dem Zug entdecken[1] kann. Dass es nicht immer das Abfertigungsband der Flughäfen sein muss, das Einpferchen im Billigflieger, das absurde Ritual, Wasserflaschen vor der Sicherheitskontrolle wegzuwerfen, um sie danach für das Doppelte neu zu kaufen. Ich wollte beweisen: Zugfahren ist anders, besser – zivilisierter.
Das war der Plan. Die Realität bestand aus nicht kommunizierten Ersatzfahrplänen[2], Umleitungen, verpassten Anschlüssen, die von Anfang an gar keine Chance hatten, Verspätungen[3], die in Stunden gemessen wurden, und einem Schlafwagen, der plötzlich wegen »technischer Defekte« geschlossen wurde.
Die Bahnangestellten[4], die uns hätten helfen können, wirkten zunehmend wie Teilnehmer*innen einer großangelegten Resilienzstudie. Manche waren schlicht genervt, andere ratlos, fast alle überfordert. Anruf beim Servicetelefon? Eine Stunde Warteschleife mit Jingles aus der Hölle, bevor die Verbindung zusammenbrach. Infopoints auf den Bahnhöfen? Dort wusste man vor allem, dass man nichts wusste. Irgendwann fühlten wir uns wie in einem Dada-Gedicht.
Und dann, nach der Rückkehr, begann die eigentliche europäische Odyssee: das Entschädigungsroulette. Jede Bahngesellschaft erklärte, die andere sei zuständig, keine ehrliche Entschuldigung, nur Verweise auf Konstrukte wie das Servicecenter Fahrgastrechte, das nur postalisch erreichbar ist.
Gleichzeitig verkünden Politiker*innen und Bahnvorstände [5]mit glänzenden Broschüren, dass die Zukunft der Schiene gehört. Man sieht dort strahlende Familien in blitzsauberen Zügen, die durch malerische Landschaften rauschen. Wir haben dagegen gelernt: Die Landschaft rauscht selten, sondern vor allem das kochende Blut in den Ohren.
Vielleicht ist das die eigentliche Erkenntnis dieser Reise: Nachhaltiger Konsum klingt nach hehrer Tugend, erfordert in Wahrheit aber eine buddhistische Gelassenheit. Wer klimafreundlich reist, spart nicht nur CO2, sondern übt sich in Demut, Geduld und Tiefenatmung.
Das soll kein billiges Bahn-Bashing sein. Was hier vielmehr sichtbar wird, ist, was wir in der Soziologie das Drama der Nicht-Passung von Struktur und Agency nennen: Wir wollen ja anders handeln und buchen brav Bahntickets, nehmen längere Wege und Umwege in Kauf, zahlen meist sogar mehr. Doch die Infrastrukturen, die uns tragen sollten, tun lieber so, als hätten sie gerade was Wichtigeres vor. Vielleicht ist die europäische Bahn damit der ehrlichste Spiegel unserer Klimapolitik: Der Wille ist da, die Technik wäre es theoretisch auch – aber zusammen funzt es einfach nicht. Statt nachhaltigem Konsum üben wir uns also im langmütigen Konsum. Und die eigentliche Reise ist die ins Nirwana der Geduld.