nd-aktuell.de / 27.08.2025 / Wirtschaft und Umwelt

Brechstange löst Wohnproblem nicht

Verbändebündnis fordert erhebliche Nachbesserungen beim schwarz-roten Bauturbo

Jörg Staude
Bauturbo ohne oder doch mit Sinn und Verstand?
Bauturbo ohne oder doch mit Sinn und Verstand?

Lars Klingbeil möchte, dass die Bagger rollen und das auch möglichst schnell, Das erklärte der SPD-Finanzminister mehrfach angesichts des Geldsegens durch das Sondervermögen.

Neu ist die Idee, per Bauboom die Wirtschaft anzukurbeln, nicht. [1]Wahrscheinlich brauche man in Deutschland – so wie in den 1970er Jahren – 20 neue Stadtteile in den am meisten gefragten Städten und Regionen, hatte Ex-Kanzler Olaf Scholz (SPD) den Bedarf umrissen. Entsprechend forderte Scholz ein radikales Umdenken in der Baupolitik und prangerte fehlendes Bauland an. Seine Ampel-Regierung kam nicht mehr dazu, so einen Bauturbo in Gang zu setzen.

Dagegen legte die jetzige schwarz-rote Koalition im Mai eine Novelle des Baugesetzbuches vor. In dieses soll ein Paragraf 246e eingefügt werden, der sogenannte Bauturbo. Zu dem gehört eine Experimentierklausel, die es bis Ende 2030 erleichtern soll, auf bisher nicht bebauten Flächen Bauvorhaben mit mindestens sechs Wohnungen umzusetzen oder neuen Wohnraum im Bestand zu schaffen. Zustimmen muss nur noch die jeweils betroffene Gemeinde.

Der Bauturbo erweitert auch die Möglichkeiten, auf einen Bebauungsplan zu verzichten. Auch sollen Nachverdichtungen oder die Bebauung von Grundstücken »in zweiter Reihe« gefördert werden. Auch hierbei reicht künftig die Zustimmung der Gemeinde. Lärmschutz soll den Wohnungsbau ebenfalls nicht länger ausbremsen. So soll auch in lärmbelasteten oder gemischt genutzten Gebieten schneller gebaut werden dürfen.

»Schneller Wohnungsbau darf nicht heißen, dass wir soziale, ökologische und baukulturelle Standards über Bord werfen.«

Die »Brechstange im Baurecht«, wie Bundesbauministerin Verena Hubertz (SPD) die Änderungen nennt, hat die erste Lesung im Bundestag bereits hinter sich. In zwei Wochen ist eine Anhörung geplant.

Ein Verbändebündnis hält den Bauturbo indes für wie aus der Zeit gefallen. Die Novelle verschärfe in ihrer jetzigen Fassung die sozialen, ökologischen und städtebaulichen Probleme massiv, kritisierten am Mittwoch die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die Bundesarchitektenkammer, der Paritätische Wohlfahrtsverband sowie die Architects for Future. Für DUH-Geschäftsführerin Barbara Metz läuft der Turbo auf »Bauen, Bauen, Bauen ohne Sinn und Verstand« hinaus. Die künftigen Projekte kämen im Wesentlichen der Immobilienbranche und ihren Profiten zugute. In ohnehin zu stark versiegelten Gebieten würden weitere Agrar- und Naturflächen verschwinden.

Vor Flächenspekulation, die der Bauturbo auslöst, warnte auch Andrea Gebhard. In die Novelle gehört laut der Präsidentin der Bundesarchitektenkammer ein sogenanntes Baugebot, um lukrativen Weiterverkauf der Flächen zu verhindern. Ein Bauturbo könne ein richtiger Ansatz sein, der vorliegende habe aber noch Schwachstellen: »Schneller Wohnungsbau darf nicht heißen, dass wir soziale, ökologische und baukulturelle Standards über Bord werfen.«

Die Verbände fordern ihrerseits einen Umbau-Turbo für leer stehende Gebäude, zu große Wohnungen und ungenutzte Dachflächen. Mindestens die Hälfte der neuen Wohnungen solle dabei im sozialen Wohnungsbau errichtet werden. In Deutschland seien 17,5 Millionen Menschen von Wohnarmut betroffen, beklagte Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands. [2]Alle Geschwindigkeit und Beschleunigung nütze nichts, wenn man in der falschen Richtung unterwegs sei. Nötig sei keine Baupolitik mit der Brechstange, sondern bezahlbares Wohnen für breite Schichten der Bevölkerung.

Zum Umbau-Turbo gehört für das Verbändebündnis weiter, dass Erdgeschosse möglichst für andere Nutzungen freigehalten werden. Nachverdichtung müsse so erfolgen, dass auf einstigen Brachflächen auch mehr Grün entsteht. Ins Gesetz gehörten zudem eine Solardachpflicht sowie Standards für Kühlung und Energieeffizienz.

Elisabeth Broermann von den Architects for Future bemängelte die fehlende Flächeneffizienz. Deutschland habe ein riesiges Potenzial an leer stehenden Büros und Kaufhäusern sowie für Ausbau und Aufstockung – laut einer Studie könnten so 4,3 Millionen Wohnungen entstehen, erklärte Broermann, die an der TU Berlin lehrt. Die Freigabe der Außenbereiche durch den Bauturbo werde auch dazu führen, dass vor allem Siedlungen mit Einfamilienhäusern entstehen. In Deutschland gibt es inzwischen aber mehr Einfamilienhäuser als Familien[3], sagte die Architektin. Deutschland sei im Prinzip »fertig gebaut«, konstatierte sie – nur sei der bestehende Wohnraum nicht gerecht verteilt.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1182695.stadtentwicklung-bauturbo-von-oben.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190887.paritaetischer-wohlfahrtsverband-armutsbericht-armen-bleibt-weniger-zum-leben.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193539.sachsen-saechsische-provinz-drei-zimmer-kueche-bad-keine-mieter.html