Dass vor einem Bundeswehrgebäude uniformierte Personen anzutreffen sind, ist eigentlich nichts Besonderes. Anders sieht das aus, wenn die Uniformen aus Sturmhauben in Regenbogenfarben und weißen Maleranzügen bestehen, wenn die Träger*innen »Nie, nie, nie wieder Wehrpflicht«[1] skandieren und wenn sie mit einer Blockade versuchen, den Arbeitsablauf in dem Anwerbezentrum der Bundeswehr zu stören.
Rund 70 Personen des Bündnisses »Rheinmetall entwaffnen«[2] beteiligten sich am frühen Mittwochmorgen an der Aktion gegen die Einführung des neuen Wehrdienstes in Köln, die noch im Laufe des Vormittags von der Polizei beendet wurde. Nach Angaben der Bundeswehr kam es dabei zu keinen größeren Störungen. Ein Protestcamp von »Rheinmetall entwaffnen« im Kölner Grüngürtel soll noch bis Sonntag dauern.
Ortswechsel. In Berlin berichten wenig später Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) von der ersten Kabinettssitzung im Verteidigungsministerium seit knapp 20 Jahren[3]: Die Regierung billigte ein Gesetz zum besseren Schutz der Armee gegen Drohnen. Demnach darf Bundeswehr-Personal verdächtige Personen in der Nähe von Kasernen oder Konvois überprüfen. Das Gesetz sieht außerdem mehr Rechte für den Militärischen Abschirmdienst vor, um Soldat*innen und deren Familien im Ausland besser zu schützen, so Merz. Außerdem beschloss das Kabinett die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates. Dieses Gremium, dem der Bundeskanzler vorsitzt, soll bei Krisen zusammenkommen und schnelle Entscheidungen herbeiführen können.
Das bedeutendste Ergebnis des Regierungstreffens ist wohl aber dieses: Das Kabinett hat das umstrittene Gesetz zur Einführung eines neuen Wehrdienstes[4] auf den Weg gebracht. Sollte dieser Beschluss auch den Bundestag passieren, wird ab dem kommenden Jahr ein Fragebogen an alle 18-Jährigen eines Jahrgangs versandt, den Männer ausfüllen müssen und Frauen ausfüllen können. Geeignete Kandidat*innen werden anschließend zur Musterung eingeladen. Ab 2027 sollen dann alle 18-jährigen Männer zu einer verpflichtenden Musterung vorgeladen werden.
Sollten damit die Rekrutierungsziele von 80 000 zusätzlichen Soldat*innen absehbar nicht erreicht werden, ist dem Gesetz zufolge die Wiedereinführung einer Wehrpflicht vorhergesehen. Diesem Schritt müssten Kabinett und Bundestag allerdings separat zustimmen.
Teile der Union sind mit dieser Regelung unzufrieden, weil der Kabinettsbeschluss keine konkreten Zielwerte für ein mögliches Umschwenken auf einen Pflichtdienst enthält. Pistorius rechtfertigte die Vorgehensweise mit den derzeitigen Kapazitäten etwa an Ausbilder*innen in der Bundeswehr, die für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht nicht ausreichen.
»Zu sagen, wir drohen schon mit einer Pflicht, weil wir nicht an den Erfolg des eigenen Gesetzes glauben – das finde ich nicht überzeugend.«
Katharina Dröge Ko-Fraktionsvorsitzende der Grünen
Katharina Dröge, Ko-Fraktionsvorsitzende der Grünen, brachte gegenüber RTL und NTV zwar ihre Zustimmung zur Einführung eines Fragebogens zum Ausdruck, kritisierte aber gleichzeitig den Fokus auf einen verpflichtenden Dienst seitens der CDU: »Zu sagen, wir drohen schon mit einer Pflicht, weil wir nicht an den Erfolg des eigenen Gesetzes glauben – das finde ich nicht überzeugend.« Die Grünen-Politikerin geht davon aus, dass der Kabinettsbeschluss im Bundestag noch verändert wird. Dass dies eine realistische Option ist, betonten auch Merz und Pistorius.
Vor einer Verschärfung des neuen Wehrdienstes hin zu einer Wehrpflicht warnte die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner*innen (DFG-VK) gemeinsam mit der Greenpeace-Jugend: Vor dem Verteidigungsministerium vernichtete die DFG-VK am Mittwoch mit einem Schredder symbolisch den Erfassungsfragebogen. Statt über Zwangsdienste zu debattieren, sollten strukturelle Defizite bei der Bundeswehr, etwa bei Ausbildung, Führung und Attraktivität, behoben werden, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der beiden Organisationen. Dadurch ließe sich die hohe Abbruchquote von rund 25 Prozent bei freiwillig Wehrdienstleistenden senken.