nd-aktuell.de / 27.08.2025 / Berlin

A100: »Rückschlag für Verkehrswende«

Neukölln und Treptow sind jetzt per Autobahn verbunden – Proteste gegen die Eröffnung

David Rojas Kienzle
»Kein Weiterbau der A100« - Demonstration vor dem Estrel Hotel gegen die Eröffnung des 16. Bauabschnitts der Stadtautobahn A100.
»Kein Weiterbau der A100« - Demonstration vor dem Estrel Hotel gegen die Eröffnung des 16. Bauabschnitts der Stadtautobahn A100.

»Jetzt weint sogar der Himmel«, sagt Harald Moritz und lacht. Ein kurzer Regenschauer ergießt sich über die rund 100 Demonstrant*innen, die am Mittwochvormittag am Ende des neuen 16. Bauabschnitts der Berliner Stadtautobahn A100 in Treptow-Köpenick stehen. Ein breites Bündnis hat zu Protesten am Treptower Park aufgerufen. Moritz, vom Interessenverband Fuß e.V., steht neben einem Auto-Anhänger, auf dem riesige rote Buchstaben das Wort »Ende« bilden. Die Demonstrant*innen fordern, dass dieser Abschnitt wirklich der letzte der Autobahn bleibt.

»Dass diese Autobahn gebaut wurde, ist ein herber Rückschlag für die Verkehrswende[1]«, sagt der Aktivist Moritz zu »nd«. Er hoffe, dass irgendwann auch wieder in die Berliner Verkehrspolitik Vernunft einziehe. »Aber Berlin ist da piefig in den 60er Jahren[2] geblieben«, sagt er. Der Berliner Senat erhofft sich von dem Bau der Autobahn, dass die anliegenden Kieze entlastet werden. »Jetzt werden Autobahnen damit begründet, dass man die Leute vor dem Verkehr beschützt«, sagt Moritz sarkastisch. Aber die Autos blieben ja nicht nur auf der Autobahn, sondern führen in die Kieze hinein.[3]

Während die Demonstrant*innen »A100 – nicht mit uns« rufen, werden die letzten Vorkehrungen getroffen, damit noch am Mittwoch tatsächlich Autos auf der Autobahn unterwegs sein können. Die blauen Straßenschilder stehen schon. Mit einer Hebebühne nimmt ein Arbeiter Abdeckungen von Ampeln ab, die den Verkehr von und zu der Autobahn regeln sollen.

»Heute ist ein trauriger Tag«, ruft Briti Beneke von der Bürgerinitiative A100 in ein Megafon. Es entstehe eine »lebensfeindliche, tote Fläche«. Optimistisch ironisch ruft sie: »Wir feiern heute das Ende der Autobahn.« Denn wenn die Planungen verwirklicht werden, folgt auf den 16. der 17. Bauabschnitt. Unter oder über die Spree[4], auf dem Weg durch den Rudolfkiez Wagenplätze und Clubs zerstörend, soll er unter dem Ostkreuz hindurchführen, um schließlich nach einer Brücke über das Einkaufscenter an der Frankfurter Allee an der Storkower Straße in Lichtenberg zu enden.

»Der Kampf ist ja leider nicht vorbei«, sagt Beneke dazu im Gespräch mit »nd«. Sie trauert auch den Möglichkeiten nach, die die jetzt versiegelten 100 000 Quadratmeter hätten bieten können. »Wir brauchen ganz andere Flächen als die Autobahn, die man nicht betreten darf.« Und auch die Weiterbaupläne sieht sie mehr als kritisch. »Das trifft unsere Kultur, unsere Clubs – vor allem Alternativkultur.« Und für diese gebe es in Berlin keine Ausweichflächen mehr. »Wenn das alles weg ist, dann ist auch ein bisschen die Seele Berlins weg.«

Mittags ist ein Großteil der Demo schon weitergezogen, zum zentralen Protest vor der feierlichen Eröffnung im Estrel-Hotel in Neukölln. Drei Dutzend sind aber geblieben. Denn am Morgen hat die Autobahn GmbH angekündigt, dass es doch eine Eröffnung auf der Autobahnstrecke geben soll. Ursprünglich hatte es geheißen, dass dies wegen Sicherheitsbedenken nicht möglich sei. Aber die Politprominenz will es sich nicht nehmen lassen, standesgemäß ein Band in Schwarz-Rot-Gold zu durchschneiden. Dafür sind dann auch bei dem kleinen Protest an der Auffahrt rund 200 Polizist*innen und Personenschützer in Zivil mit Knopf im Ohr, während ein Hubschrauber über der neuen Autobahn schwebt. Als die Politikerlimousinen auf die für den Normalverkehr noch gesperrte Auffahrt fahren, werden sie mit Buh-Rufen begrüßt.

Patrick Schnieder (CDU, mitte), Bundesminister für Verkehr und Kai Wegner (CDU, 2.v.r.), Regierender Bürgermeister von Berlin, eröffnen den neuen Autobahnabschnitt der A100.
Patrick Schnieder (CDU, mitte), Bundesminister für Verkehr und Kai Wegner (CDU, 2.v.r.), Regierender Bürgermeister von Berlin, eröffnen den neuen Autobahnabschnitt der A100.

Vor dem Estrel-Hotel [5]haben sich derweil rund 300 Demonstrant*innen versammelt. Sicher durch Absperrgitter von der Straße getrennt und eingepfercht auf dem Gehweg, leiten sie den Protest mit einer abgewandelten Version von »Freude schöner Götterfunken« ein, begleitet von Gitarre und Geige. »Feinstaub, Lärm und Stickoxide: A100 wollen wir nicht«, trällert ein Teil der Menge. Auch hier gibt es Buh-Rufe für die eintreffenden Politiker.

Im Hotel selbst ist dem ausgewählten Publikum eher nach Applaus. Als Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU)[6] auf der Bühne erklärt, mit der Eröffnung des Bauabschnitts trage man dazu bei, den Osten und Westen Berlins besser zu verbinden, klatschen die rund 200 Anwesenden. Schnieder sagt, der heutige »Meilenstein« sei nur ein Zwischenschritt. »Die A100 ist mit dem 16. Abschnitt noch nicht vollendet.« Dieser ergebe nur Sinn, wenn man den 17. anschließe.

Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) versteckt seine Begeisterung für die neue Autobahn nicht. »Als wir da gerade langgefahren sind, habe ich gedacht: Wahnsinn!«, berichtet er von der Fahrt vom Treptower Park nach Neukölln. Der eine oder andere Kritiker könne sicher davon überzeugt werden, wie wichtig dieser neue Bauabschnitt sei, wenn er benutzt werde. Wegner erhofft sich von der Stadtautobahn, dass sie die Kieze entlastet. Die neue Strecke werde den Verkehr aus den Wohngebieten herausziehen, so der Regierende. Auch er sagt, dass der nächste Bauabschnitt kommen müsse.

Auch stehe eine »leistungsfähige Infrastruktur« nicht im Widerspruch zur Verkehrswende, so Wegner. »Menschen, die mit E-Mobilität in der Stadt unterwegs sind, brauchen auch Infrastruktur – auch eine Stadtautobahn.« Die A100 sei die Hauptschlagader der Stadt. »Ich erlebe das ja auch sehr häufig mit, Bänder durchzuschneiden«, sagt der Regierende. »Aber ich gebe zu, für einen Regierenden Bürgermeister ist es etwas Besonderes, einen Autobahnabschnitt zu eröffnen.« Bevor es zu Sekt und Häppchen weitergeht, hat die Autobahn GmbH noch ein Schmankerl vorbereitet. Der besondere Moment des Banddurchschneidens wurde auf Video festgehalten und wird für alle Anwesenden, mit tragender Musik unterlegt, vorgespielt.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193467.verlaengerung-a-in-berlin-klimaautobahn-n-voelliger-unfug.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191237.autobahn-a-berlin-muss-den-autobahnwahnsinn-stoppen.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190647.verkehr-a-in-berlin-nadeloehr-elsenbruecke.html
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191312.verkehr-berlin-bass-rebellion-gegen-den-asphalt.html
  5. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189471.richtfest-estrel-tower-kein-ufo-fuer-neukoelln.html
  6. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190870.regierungsbildung-ministerienverteilung-wirtschaftslobby-im-kabinett.html