Ein herrschaftliches Jugendstil-Eckhaus im barcelonischen Stadtteil Eixample unweit der Plaça Catalunya. Tür an Tür mit dem gambischen Honorarkonsulat, mehreren Anwaltskanzleien und einem Facelifting-Massagestudio befindet sich ein Büro, das auf den ersten Blick als eine weitere Anwaltskanzlei durchgehen könnte. Diese aber legt nicht nur das Gesetz aus, sondern es schreitet auch zur Tat.
»Was wir tun, ist notwendig, weil der reguläre Weg in Spanien so schleppend ist«, sagt Jorge Sorbera, Anwalt und Gründer von »Okupas Fuera«[1], einer Räumungsfirma, die sich auf besetzte Häuser und Wohnungen spezialisiert hat. Eigentümer*innen schalten sie ein, wenn sie Probleme mit besetzten Wohnungen haben. Sie griffen auf sie zurück, um sich den langwierigen Weg über die Gerichte zu ersparen, sagt Sorbera. »Wir üben Druck aus, damit die Besetzer schneller die Wohnung verlassen. Wäre die Lage wie in Deutschland, würde es uns gar nicht geben«, behauptet er.
An einer kahlen, weißen Wand des Konferenzraums prangt ein Foto, das eine Handvoll muskulöser Männer in Firmen-T-Shirts zeigt. Allesamt tätowiert und mit Vollbart. Das seien seine Mitarbeiter, versichert Sorbera. Er selbst zeigt sich auf der Internetseite im Anzug und ohne Bart oder sichtbare Tattoos. Sein Foto verkörpert die juristische Expertise neben der körperlichen Dominanz seiner Angestellten.
Das Konzept der Firma scheint so simpel wie ihr Name: Hausbesetzer*innen (»okupas«) raus (»fuera«). Auf welche Weise die Mitarbeiter die unerwünschten Bewohner*innen zum Gehen bewegen, das komme auf den Fall an, so der Chef. »Es geht darum, zwischen den beiden Seiten zu vermitteln«, erklärt er und betont: »Unsere Methoden sind dabei völlig legal.«
In Spanien gelten Hausbesetzungen nicht immer als politisches Statement, sondern gelten als pragmatische Antwort auf den Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Hausbesetzungen seien auch ein organisiertes Geschäft, davon ist Sorbera überzeugt. Manche schlügen aus der Lage Profit, indem sie die Schlösser leerstehender Wohnungen austauschten und die Schlüssel an Wohnungssuchende verkauften.
In der spanischen Gesetzgebung wird dabei das Recht auf Eigentum weniger stark geschützt als etwa in Deutschland. Wird die Besetzung eines leerstehenden Objektes erst nach mehr als 48 Stunden entdeckt, muss für dessen Räumung zunächst ein Gericht eingeschaltet werden. Auch wenn eine im April in Kraft getretene gesetzliche Verschärfung Schnellverfahren vorsieht, die zu schnelleren Räumungen führen sollen, so sind in der Praxis die Gerichte oft überlastet.
Wenige Kilometer entfernt macht sich Mario von »Okupas Fuera« auf den Weg zu einer ersten Kontaktaufnahme. Im Auto erhält er von seinem Koordinator über Whats-App noch die Eckdaten zum Fall. »Ich weiß nie, was mich an einer Adresse erwartet«, sagt der Boxer und ehemaliger Personenschützer. Die Lösung für die Situation sei jedoch häufig die gleiche: Es fließt Geld, damit die unerwünschten Bewohner*innen ausziehen.
Bis zu drei Fälle besucht Mario in der Regel an einem Tag. Manchmal stellt er für Verhandlungen direkt den Kontakt zwischen Besetzer*innen und seinen Kolleg*innen im Büro her. Manche Adressen besucht er mehrmals. Für den Fall, dass die Bewohner*innen nicht zu Hause sind, hat er Sticker zur Kontaktaufnahme im Handschuhfach. Die Aufforderung unter Firmenlogo und Telefonnummer wirkt drohend: »Für Angelegenheiten in Ihrem Interesse kontaktieren Sie uns.«
In die muskulösen Arme der Räumungsunternehmen werden allerdings immer wieder auch etablierte Mieter*innen getrieben. Etwa, wenn ihr Vertrag nicht verlängert wird, sie sich jedoch aufgrund ihrer prekären Situation weigern, ihre Wohnung zu verlassen. »Einige unserer Mitglieder sind direkt von Anti-Okupa-Unternehmen bedroht worden«, sagt Carme Arcarazo, Sprecherin der katalanischen Mietervereinigung.
In der Regel geschehe dies bei dem Versuch, einen ganzen Wohnblock zu räumen, um dort beispielsweise lukrative Ferienwohnungen[2] einzurichten. »Die Vermieter*innen beginnen, einige Leute rauszuwerfen, dann schicken sie diese harten Typen, die versuchen, sie einzuschüchtern, bis sie aus Angst ihre Wohnung verlassen.« Auch Mieter*innen, die einen gültigen Vertrag haben, sind davon oft betroffen.
Natürlich wird über die teilweise brachialen Methoden der Räumungsunternehmen geredet. Ziel der Firmen sei es auch, den Diskurs um das Recht auf Wohnen zu verschieben, ist sich Arcarazo sicher. »Früher bestand ein großer gesellschaftlicher Konsens darüber, dass Vermieter*innen und deren Profitinteressen das Problem waren. Mittlerweile haben es diese Akteur*innen geschafft, dass gewöhnliche Bürger*innen, die einen Platz zum Wohnen brauchen, als die Kriminellen wahrgenommen werden.«
Mario hat es heute mit zwei Fällen zu tun. Einer internen Familienangelegenheit und einer Ex-Mieterin, die die Mietzahlungen ausgesetzt und die Wohnung mutmaßlich untervermietet hat. Da es die erste Begegnung sei, ließe er heute noch die Unschuldsvermutung gelten, sagt Mario und verspricht: »Die nächsten Besuche werden dann nicht mehr so nett.«
Er klingelt an der besagten Adresse. Der junge Mann ist zu Hause. Im Treppenhaus zückt Mario sein Handy, um die Interaktion zu filmen. »Als Absicherung«, erklärt er. »Dann kann uns im Nachhinein niemand was.«
Das Gespräch verläuft problemlos. Die eigentliche Mieterin wird per Telefon dazugeschaltet, und beide Beteiligten willigen ein, sich für eine gewisse Summe aus der Wohnung zurückzuziehen. »Das war Business«, lautet Marios Einschätzung. »Der Typ sagt, er sei mit der Mieterin befreundet, aber wusste nicht mal ihren Namen. Sie macht das wahrscheinlich professionell.«
Auch der nächste Stopp am Stadtrand lässt sich schnell abhacken. Mario besichtigt und filmt das gesamte Grundstück der Familie und beruhigt die ältere Kundin, die sich um ihre Sicherheit sorgt, seit die erwachsene Tochter und die Nichte Drogen konsumierten und zwielichtige Besucher*innen empfingen. »Vielleicht können wir einen Investor finden, der das Grundstück kauft«, schlägt er vor. »Dann sind die beiden hier automatisch nicht mehr gemeldet.«
Auch wenn sich manche Firmen den Anstrich einer smarten Vermittlung zwischen den Konfliktparteien geben, wird auch öffentlich vor ihnen gewarnt. Erst im Februar hat das spanische Abgeordnetenhaus über den Antrag der linken Partei Podemos abgestimmt, die Räumungsfirmen zu verbieten, was jedoch abgelehnt wurde. Podemos-Generalsekretärin Ione Belarra sprach in dem Zusammenhang von »paramilitärischen, faschistischen und gewalttätigen Organisationen«.
Das linke Online-Medium »Sistema 161« fand heraus, dass es Verbindungen von spanischen Zwangsräumungsunternehmen und dem rechtsextremen Milieu gibt. Bei mehr als 40 Prozent dieser Unternehmen lasse sich eine »faschistische Militanz« nachweisen. Weite man die Fragestellung auf Personen aus, die sich zu ultrarechten Positionen oder Organisationen wie der Partei Vox bekennen, seien es sogar mehr als die Hälfte der 50 Unternehmen davon betroffen, die für die Recherche befragt wurden.
Ein besonders prominentes Beispiel ist das Unternehmen »Desokupa«. Betreiber Daniel Esteve positioniert sich in sozialen Netzwerken an der Seite der politischen Rechten und trug zuletzt etwa dazu bei, im Netz die fremdenfeindlichen Mobs im spanischen Süden mit anzustacheln.
Auch Mario macht keinen Hehl draus, wo er politisch steht.[3] Er sei Vox-Wähler seit Tag eins. Die Migration sei eines der Hauptprobleme Spaniens, erläutert er am nächsten Tag auf dem Weg zu seinem heutigen Fall. »Raus mit den ganzen kriminellen Einwanderern, und wenn du dich in einem fremden Haus breit machst, gehörst du ebenfalls rausgeworfen«, so einfach sei das. »Sind beides meistens Ausländer.« Eigentlich sollte man das Recht haben, auf Eindringlinge zu schießen, findet er im Übrigen. Aber das sei nur seine private Meinung, nicht die der Firma. Ob er dieser Meinung auch wäre, wenn er nicht diesen Beruf ausüben würde? Er überlegt: »Nein, wahrscheinlich nicht so extrem.«
An einem anderen Tag geht es um die Vorstadtwohnung eines Piloten, der diese vor einiger Zeit gekauft hat und nun selbst einziehen möchte. Es ist nicht das erste Mal, dass Mario hier vorbeikommt. Der Umgang mit dem senegalesischen Migranten, der die Wohnung bewohnt, sei jedoch bisher recht unkompliziert.
Als der Tür-Buzzer des fünfstöckigen Mietshauses summt, lässt Mario sein Handy in der Hosentasche verschwinden. »Diese Interaktion filmen wir nicht.« Oben angekommen, öffnet sich die Tür. »Wie geht’s?«, fragt er den Mann, der sich als Samba vorstellt. »Etwas zu essen?«, bietet dieser an. Es gebe Reis mit Soße. Mario lehnt dankend ab und setzt sich an den Küchentisch. »So eine saubere Wohnung«, lobt er den 42-jährigen Hausbesetzer. Sonst kriege er ja so einiges zu sehen.
Dann kommen sie zum Organisatorischen. Samba soll die Wohnung in den nächsten Tagen verlassen und eine Abfindung erhalten. Zeitlich einigen sie sich auf den kommenden Freitag. Zu 1500 Euro habe sich der Besitzer bereits durchgerungen. »Wenn er mehr geben kann, nehme ich das auch gerne«, bemerkt Samba. Er werde sein Bestes versuchen, verspricht Mario.
»Ich kann dem Besitzer natürlich nicht davon erzählen, was für ein guter Kerl sein Hausbesetzer doch ist«, sagt Mario draußen, nachdem er den Eigentümer per Anruf auf den neusten Stand gebracht hat. »Für ihn ist das ja ein Krimineller. Aber ich habe ihm noch ein bisschen mehr Geld für Samba obendrauf abgerungen.« Der habe das von beiden mehr nötig. Aber das einzige Opfer hier, sagt er, sei ganz klar der Besitzer. Dann ist erst mal Feierabend.
»Das Phänomen Desokupa ist extrem gefährlich«, sagt Mietaktivistin Carme Arcarazo. »Es wird eine gebündelte Macht geschaffen, die eine Art Selbstjustiz an den Tag legt und sich jeglicher öffentlichen Kontrolle entzieht.«
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193607.naeher-ran-die-rausschmeisser.html