nd-aktuell.de / 28.08.2025 / Kultur

»Abyss« von Anika: Alle Karten neu gemischt

Die deutsch-britische Sängerin Anika besingt auf ihrem neuen Album »Abyss« die apoka­lyp­tische Gegenwart

Luca Glenzer
Annika Henderson vor zwei Jahren in der Berliner Kulturbrauerei
Annika Henderson vor zwei Jahren in der Berliner Kulturbrauerei

Ganze 15 Jahre ist es mittlerweile her, dass eine damals noch weitgehend unbekannte Musikerin unter dem Alias Anika mit ihrem gleichnamigen Debüt und elektro-folkloristischen Dark-Noir-Songs für merklich Furore im Pop-Underground sorgte. Nicht nur ihr Künstlername erweckte damals Assoziationen an die große Sängerin Nico: Auch und vor allem ihre tiefe, mitunter ungelenk und zugleich mystisch aufgeladene Stimme erinnerte an die Femme fatale der popkulturellen Avantgarde, die im New York der 60er mit ihrer Band The Velvet Underground Geschichte geschrieben hatte.

Anders aber als die gebürtige Kölnerin, deren teutonisch-staksiger Akzent die Kälte ihrer englischsprachigen Musik nochmals potenzierte, ist Anika der englischen Sprache mächtig. Was nicht weiter verwundert, wurde sie doch 1987 im britischen Surrey geboren. Doch auch sie hat eine Verbindung nach Deutschland, genauer gesagt nach Berlin, wo sie bereits seit geraumer Zeit lebt und neben der Musik auch in den Bereichen Theater und Film künstlerisch aktiv ist.

Nachdem sie 2021 ihr Zweitwerk »Change« veröffentlicht hat, folgt nun mit »Abyss« Album Nummer drei. Und wie bereits auf dem Vorgänger gilt auch dieses Mal: Alle Karten werden neu gemischt. Denn statt elektronisch-flächigen Klanglandschaften präsentiert sich Annika Henderson – so ihr bürgerlicher Name – dieses Mal im gitarrenlastigen Post-Punk-Gewand. Maßgeschneidert wurde es innerhalb weniger Tage in den legendären Berliner Hansa-Studios, wo sie die Songs mitsamt ihrer Band live auf Tape aufgenommen hat – was den rohen Klangcharakter des Albums zusätzlich zementiert.

Dass Henderson neben ihrer künstlerischen Tätigkeit zugleich als politische Journalistin tätig ist, verwundert beim Hören kaum. Denn die insgesamt zehn neuen Songs lesen sich durchweg wie ein mal wütender, mal resignierter Kommentar auf eine Welt, die nicht erst seit der Wahl Donald Trumps aus den Fugen geraten ist. Im Opener »Hearsay« etwa prangert sie die Macht der Medienkartelle an: »And you’re making up stories to push your narrative/ And you’re making up tales to be provocative«, heißt es da. Dazu peitschen Drums und Bass im Gleichschritt voran und unterstreichen damit den apokalyptischen Charakter des mehr gesprochenen als gesungenen Wortes.

Auch die übrigen Songs schlagen dabei textlich wie lyrisch in eine ähnliche Kerbe: In der Vorabsingle »Oxygen« etwa singt sie gegen den klaustrophobischen Charakter der binären Geschlechterkonstruktion an. »Give me Oxygen/ Give me what I want«, wiederholt sie darin mantraartig. Immer wieder streift sie dabei musikalisch den Noise-Rock der 80er und frühen 90er, als Bands wie die Pixies, The Breeders oder The Birthday Party mit minimalen Mitteln maximale musikalische Wirkung entfalteten.

Ebenso wie auf den zwei Vorgängern ist es erneut schier beeindruckend, in welchem Maße es Anika auch auf »Abyss« gelingt, ihr künstlerisches Konzept auf Albumlänge zu entfalten und stringent zu verfolgen. Waren Synthesizer auf »Changes« noch das Lebenselixier der Musik, sind sie nun gänzlich aus dem Klangbild verschwunden. Stattdessen beschränkt sie sich auf das altbewährte Zusammenspiel aus Gitarre, Schlagzeug und Bass. Diesem kann sie zwar keine gänzlich neuen, dafür aber viele überzeugende Impulse entlocken.

Anika: »Abyss« (Sacred Bones)