Die Anfahrt ist großartig. Kaum hat man die Touristenhochburg Roses hinter sich gelassen, geht es auf endlosen Serpentinen durch die bizarre Landschaft des Naturparks Cap de Creus an der östlichsten Spitze der Iberischen Halbinsel. Karge Berge, hier und da Relikte aus der Megalithkultur, tief unten blitzt das Mittelmeer auf.
Nach rund 20 Minuten erreicht man die Cala Montjoi. An einer der schönsten Buchten Spaniens befand sich früher das »El Bulli«, das mehrmals zum weltbesten Restaurant gekürt wurde. Weitab von Barcelona erfand Ferran Adrià hier seine Molekularküche und zelebrierte sie in Menüs mit bis zu 40 Miniatur-Gängen. Seeigel-Nguiri, Soja-Kristall, dekonstruiertes Curry, Brombeer-Risotto oder Spargel mit Lakritze – die Kreationen sorgten für immer neue Überraschungen. Bis das Konzept ausgereizt schien. 2011 schloss das legendäre Restaurant, um vor zwei Jahren als Museum zu öffnen.
Seitdem können sich alle, die früher keinen Platz ergattert haben oder denen die Menüs zu teuer waren, für stolze 27,50 Euro an den rekonstruierten Häppchen zwar nicht satt essen, aber zumindest satt sehen. Wobei das Panorama der idyllischen Bucht am Mittelmeer die Exponate dann doch toppen dürfte.
»Gleich betrittst du den Ort, der den Paradigmenwechsel in der Gastronomie eingeleitet hat«, verkündet ein Schild am Eingang. Und ja, das muss man Adrià schon lassen: Er hat die Küche weltweit revolutioniert. Auch wenn seine mitunter erbsengroßen Gelatinen, Schäume oder Infusionen museumsreif sind, hat er entscheidend dazu beigetragen, dass Katalonien derzeit »Weltregion der Gastronomie« ist.
»Ausschlaggebend ist aber nicht nur die Innovation und Kreativität unserer Küchenchefs, sondern auch die lange Tradition der katalanischen Küche«, ist Arantxa Calvera, Direktorin der Katalanischen Tourismusagentur, überzeugt und wirbt mit dem Titel für die Region im Nordosten Spaniens. Bereits 1324 erschien das erste Kochbuch, »El Llibre de Sent Soví«, das überhaupt eine der ersten Publikationen in katalanischer Sprache und eines der ersten Kochbücher der Iberischen Halbinsel, wenn nicht Europas, ist.
Im Prinzip ist die katalanische Küche eine typische Mittelmeerküche, die mit Olivenöl, Obst, Gemüse, Fisch, Meeresfrüchten, Fleisch und Hülsenfrüchten arbeitet. Besonders charakteristisch ist zum einen die Kombination von süß und salzig – zum Beispiel Spinat mit Rosinen und Pinienkernen –, zum anderen das, was »Mar i Montanya« genannt wird: Meer und Gebirge, also Fleisch und Fisch, die Bestandteile von Gerichten wie Hühnchen mit Languste sind.
Die Grundlage vieler Gerichte bildet der sogenannte »Sofregit«, bei dem Zwiebeln, Knoblauch und Tomaten in Olivenöl angebraten werden. Gewürzt wird gern mit einer »Picada«, einer Mischung aus fein geriebenen Mandeln, Nüssen, eventuell auch Safran, Knoblauch und Petersilie. Fleischragouts werden schon mal mit dunkler Schokolade abgeschmeckt.
Es ist also eine lange und reiche Kochtradition, die die Küchenchefs der letzten Jahrzehnte mit verschiedensten Techniken immer weiter hochgetrimmt haben, sodass nach dem »El Bulli« auch Drei-Sterne-Restaurants wie der »Celler de Can Roca« in Girona oder – zuletzt – das »Disfrutar« in Barcelona zu weltbesten Restaurants avanciert sind. Aber heißt das auch, dass man in Katalonien überall gut isst?
Wenn man sich in Barcelona oder an der Küste umsieht, gibt es genügend Lokale, die Touristen mit industriell hergestellten Paellas, mehrmals aufgewärmten Kroketten oder zweifelhaften Tapas abspeisen. Tapas sind ohnehin nichts typisch Katalanisches – sie haben ihren weltweiten Siegeszug von Andalusien aus angetreten.
Wer gut essen will, sollte sich am ehesten in kleineren Orten abseits der Küste und der touristischen Zentren umsehen. Da können ganz simple Dinge wundervoll munden. Zum Beispiel das beliebte »Pa amb tomàquet«: Weißbrot, das mit reifen Tomaten eingerieben und mit Salz und Olivenöl gewürzt zu einer köstlichen Beilage für Fleisch- oder Fischgerichte, gegrillte Sardinen, Tintenfisch oder Salate wird. Mit Schinken, Omelette, Anchovis oder Käse belegt wird daraus wiederum ein saftiges Sandwich. Diese geniale Erfindung können auch die Moden der Globalisierung nicht verdrängen.
Anderes dagegen schon. »Ein typisch katalanisches Gericht wie ›Escudella‹, ein Eintopf mit Gemüse, Fleisch und Nudeln, gibt es wahrscheinlich nur noch in drei oder vier Restaurants in Barcelona. Dagegen findest du 100 Lokale, die Ramen servieren, obwohl das fast das Gleiche ist«, hat Oriol Rovira beobachtet. Der Küchenchef betreibt selbst das Restaurant »Els Casals«, das in Sagàs, einem winzigen Ort auf halbem Weg in die Pyrenäen liegt und versucht, an den katalanischen Traditionen festzuhalten. »Das Fine Dining ist ja überhaupt etwas Elitäres, Dekadentes und hat seine eigene Dynamik«, sagt er. »Dazu gehört, dass man anspruchsvolle Kunden und vor allem Gastrokritiker mit immer neuen kulinarischen Erlebnissen überraschen muss.«
Obwohl er entgegen dem Trend an bewährten, wohlschmeckenden Rezepturen festhält, kann er seit 2007 einen Michelin-Stern behaupten. Wie ihm das gelingt? Er überzeugt durch Qualität. In seinem ausgebauten Bauernhof stammt ein Großteil der Produkte vom landwirtschaftlichen Betrieb der Familie. Wo Schweine und um die 100 Kühe mit viel Auslauf gehalten werden, gedeihen neben 48 Tomatensorten (!) und anderem Gemüse auch der Weizen für das Sauerteigbrot. Mit seiner Null-Kilometer-Küche liegt Rovira voll im Trend. Doch er selbst kann darüber nur lachen: »Das mit der Regionalität ist auch wieder so eine Mode. Ich mache das seit 25 Jahren. Außerdem ist es Etikettenschwindel. Woher kommen denn die Gewürze? Und der Kaffee?«, fragt er spöttisch.
Mit seiner Haltung ist er nicht allein. Neben vielen traditionellen Gasthäusern in ländlichen Gegenden, die schlichte, aber schmackhafte Menüs mit drei Gängen und Wein für 15 Euro anbieten, kocht auch das »Motel Empordà« in Figueres trotzig gegen die Trends an. »Das Restaurant, das keinen Moden folgt«, schreibt es auf seiner Website, nachdem ihm nach etlichen Jahren sein Michelin-Stern aberkannt wurde. Der Grund war nicht etwa die nachlassende Qualität des Essens, sondern die Einrichtung, die nicht mehr zeitgemäß sein soll.
Die treue Kundschaft lässt sich davon nicht abhalten. Im Gegenteil: »Wir lieben die weißen, frisch gestärkten Tischdecken, das Mobiliar und die alte Telefonzelle«, sagt Stammgast Carles-Jordi Guardiola. »Das hat ja inzwischen schon Kultcharakter.«
Aber wie die meisten kommt auch er wegen der Klassiker, die das Lokal bekannt gemacht haben: der Salat aus grünen Saubohnen, feinem Schinken und Minze, der im Ofen gegarte Fisch mit Bratwurststückchen, die kalte Tomatensuppe mit Stockfisch und schwarzen Oliven oder mit Frischkäse, Roter Bete und Basilikum gefüllten Zucchiniblüten. »Bloß nichts verändern!«, hat schon 1979 der katalanische Schriftsteller und damalige Stammgast Josep Pla dem Küchenchef geraten, als dessen Schwiegervater, Josep Mercader, der das Restaurant eröffnet hatte, starb. Das hat Jaume Subirós beherzigt, auch wenn er an seinen Rezepturen und Techniken stetig weiterfeilt und auch schon mal mit ausgebackenen Sardinengräten experimentiert. Seine Küche soll vor allem den Gästen schmecken – und wird garantiert nicht museumsreif.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193642.spanien-in-kataloniens-kochtoepfen.html