nd-aktuell.de / 28.08.2025 / Berlin

Linke Neukölln: Solidarität lässt sich nicht spalten

Vom Umgang mit einer scharfen Klinge: Der Bezirksverband über Angriffe von rechts und unteilbare Palästina-Solidarität

Jule Meier
Für Die Linke Neukölln lässt sich die Melone gut spalten, doch nicht die Palästina-Solidarität.
Für Die Linke Neukölln lässt sich die Melone gut spalten, doch nicht die Palästina-Solidarität.

Palästinasolidarische Arbeitsgemeinschaften würden bundesweit gerade an allen Ecken und Enden aufploppen, sagt Vedi Emde im Gespräch mit »nd«. Emde ist sichtlich erfreut über diese neue Entwicklung innerhalb der Linkspartei, in der sie seit 2022 Mitglied ist. Als Teil des Vorstands im Bezirksverband Berlin-Neukölln hat sie sich in den vergangenen Jahren internationalistisch engagiert.

Dafür hat Emde die Arbeitsgemeinschaft (AG) Palästinasolidarität in Neukölln mitgegründet und beteiligt sich auch an der AG auf Landesebene (LAG). Besonders stolz ist sie auf die Basisarbeit innerhalb ihres Bezirks. »In Neukölln sagen wir: Basis ist Boss«, so Emde. Soll heißen: Der Bezirksverband stärkt Diskurse auf Landesebene und schafft niedrigschwellige Angebote für die Nachbarschaft. Zu den Erfolgen zähle, dass sich die Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus (JDA) im Mai in der Partei durchsetzen konnte und dass das Soli-Kiez-Event »Neukölln steht zusammen für die Menschen in Palästina« am 9. August in Berlin stattfand.

Selten hat eine Veranstaltung der Linken wohl derart viel mediale Aufmerksamkeit erfahren wie das Kiez-Event. »Skandal in Berlin: Linke feiert Sommerfest mit Hamas-Anhängern«, titelte beispielsweise das Boulevardblatt »Bild«, »Neuköllner Linkspartei lädt zum Kiezfest mit der Hamas«, las man in der »Berliner Zeitung«. Sogar der Parteivorsitzende Jan van Aken distanzierte sich kürzlich im ARD-Sommerinterview von dem Event. »Das ist nicht unsere Veranstaltung«, erklärte er.

Anlass für die Aufregung war die Beteiligung der Organisation Vereinigtes Palästinensisches Nationalkomitee (VPNK)[1] an dem Event. Im Netz findet man kaum Informationen zum VPNK – lediglich zwei Absätze der Berliner Verfassungsschutzberichte 2023 und 2024 verweisen auf die Organisation. Anhänger*innen der Hamas mobilisierten unter der Bezeichnung Vereinigtes Palästinensisches Nationalkomitee, heißt es in dem Bericht von 2023. Im Bericht von 2024 wird das VPNK als »Dachbezeichnung« für Berliner Anhänger der Hamas bezeichnet.

Für Emde ist klar, dass der Verfassungsschutz »keine legitime Quelle für politische Bewertungen oder die Auswahl unserer Bündnispartner*innen« ist. Im Gespräch macht sie deutlich, wie es ein offener Brief der LAG bereits zwei Tage vor dem Kiezfest getan hat: Die Linke Neukölln hat kein Fest mit der Hamas organisiert.

Emde klärt stattdessen auf, was das VPNK aus Sicht der Linken Neukölln ist: Das Komitee setze sich für »Solidarität, Bildung, politisches Engagement und gegen Unterdrückung und Besatzung« ein. Es stehe für die palästinensische Diaspora in Berlin und sei ein »etablierter Akteur in der Bewegung. «Sie sind fast jede Woche auf Kundgebungen auf der Straße, zum Teil auch mit großen NGOs wie Amnesty International», betont Emde.

Für Linke sei es wichtig, sich nicht unkritisch auf die Einschätzungen des Verfassungsschutzes zu verlassen. Die Linkspartei wurde von 2007 bis 2013 selbst von der Behörde beobachtet. Emde verweist auf die Verstrickungen des Verfassungsschutzes im NSU-Komplex und darauf, dass die Behörde politischen Zwecken diene: «Organisationen wie die ›Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost‹ werden wegen ihrer Israel-Kritik sogar als extremistisch eingestuft», so Emde. Dies erkläre sie sich unter anderem mit «einer uneingeschränkten Solidarität mit der rechtsextremen israelischen Regierung».

Doch Emde betont auch, dass sich auf staatstragender Ebene etwas bewege, und verweist darauf, dass Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU)[2] angekündigt hat, teilweise keine Waffen mehr nach Gaza zu liefern. «Auch wenn das mehr Symbolpolitik als einen tatsächlichen Kurswechsel bedeutet, es zeigt: Druck von unten wirkt», so Emde. Jüngere Umfragen wie das ZDF-Politbarometer zeigen eine wachsende Kritik in Deutschland an der israelischen Kriegsführung. Dass der Druck von unten wirke, spüre man auch innerhalb der Partei, so Emde.

Dem Bezirksverband Neukölln sei wichtig, dass man sich auch bei Konflikten mit «revolutionärer Freundlichkeit» begegne, wie Parteivorsitzende Ines Schwerdtner es fordert. Gefährlich findet Vedi Emde hingegen, wenn «innerhalb der Partei unhinterfragt Narrative und Kampagnen der Springerpresse und unserer politischen Gegner*innen öffentlich» reproduziert werden, statt dass man auf die Stellungnahmen der Genoss*innen verweise.

In dem offenen Brief vom 7. August hatte die Landesarbeitsgemeinschaft Palästinasolidarität Kritik an der Landesvorsitzenden Kerstin Wolter geübt, da sie statt sich hinter «die palästinasolidarische Basisarbeit in der Partei zu stellen», einen Springer-Diskurs gestärkt habe. Im ARD-Sommerinterview vom 17. August nahm van Aken keinen Bezug auf den Brief und sagte stattdessen, dass in Neukölln eine Grenze überschritten worden sei. Auf Anfrage dazu antwortete er nicht innerhalb der Frist. Ein Sprecher des Landesverbands teilte «nd» mit, dass man mit den Bezirksverbänden und auch mit der LAG Palästinasolidarität regelmäßig im Gespräch sei. «Auch zum aktuell verständlicherweise viele unserer Mitglieder bewegenden Thema des Krieges in Gaza und dem Kampf gegen antiarabischen Rassismus und Antisemitismus in Berlin.» Zur Auswahl der Gäste auf dem Soli-Kiez-Event in Neukölln hätten die Landesvorsitzenden bereits mehrfach öffentlich Stellung bezogen.

«Versuche, die Bewegung zu schwächen und zu spalten in eine konstruierte ›gute‹ Solidarität und eine vermeintlich ›böse‹ Solidarität, dürfen wir nicht zulassen.»

Vedi Emde Vorstand Linke Neukölln

Je stärker Die Linke werde, desto härter würden auch die Angriffe, meint Emde und betont den Mitgliederzuwachs seit dem Ausstieg Sahra Wagenknechts aus der Partei. Für Die Linke Neukölln ist wichtig, dass man sich nicht spalten lasse. Weder innerhalb der Partei noch als Klasse und auch nicht in der Palästina-Solidarität. Sie spricht von der Konstruktion einer vermeintlich «bösen» Solidarität, wie sie auf dem Neuköllner Kiez-Event gelebt werde, und der vermeintlich «guten» Solidarität wie auf der geplanten Massendemonstration «Zusammen für Gaza – Stoppt den Genozid[3]», zu der die Linke am 27. September vor dem Bundestag aufruft. Jene Versuche der Spaltung dienten dazu, die Partei wie auch die Palästina-Solidarität zu schwächen, so Emde.

Eben weil die Angriffe auf die propalästinensische Bewegung so stark sind, brauche es Räume zum Austausch, so Emde. «Wo wir gemeinsam trauern und wütend sein können, aber uns auch gegenseitig bestärken, dass wir etwas bewirken können, wenn wir uns gemeinsam wehren». Für die Menschen aus ihrem Kiez, die von Rassismus betroffen sind, will sie nicht sprechen. «Aber klar ist: Diffamierungen und Repressionen[4] sollen Angst machen und bewirken, dass sich Menschen zurückziehen, vereinzeln und zum Schweigen gebracht werden, dass sie von ihren demokratischen Rechten, etwa auf freie Meinungsäußerung, keinen Gebrauch mehr machen», so die Neuköllnerin. Es brauche nun eine «mutige Linke, an der Seite der Bewegung, die ihren Kampf gegen Antisemitismus nicht gegen die Solidarität mit Palästina ausspielen lasse».

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193209.gaza-krieg-neukoelln-gaza-event-trotzt-diffamierung.html?sstr=vpnk
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193638.rechtsruck-ab-aus-der-mitte.html?sstr=merz
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193585.demonstration-zusammen-fuer-gaza-linke-mobilisiert-zu-einer-nahost-demo.html?sstr=patrick
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193635.repression-frankfurt-untersagt-united-gaza-demonstration.html