Kein Thema hat die deutsche Linke so lange begleitet und gespalten wie das Themenfeld Palästina und Antisemitismus – seit Jahrzehnten entzünden sich immer wieder dieselben Debatten. Mit Beginn des Gaza-Krieges am 7. Oktober 2023 hat die Auseinandersetzung eine neue Aktualität erhalten. Seitdem steht die Partei Die Linke regelmäßig im Fokus öffentlicher Diskussionen – stets verbunden mit dem Vorwurf des Antisemitismus[1] auf der einen oder ungenügender Palästina-Solidarität auf der anderen Seite.
Zu ersten heftigen Auseinandersetzungen nach Beginn des Krieges in der Linkspartei kam es auf dem Landesparteitag der Berliner Linken am 11. Oktober[2] 2024. Ein Antrag des israel-solidarischen Flügels um Ex-Kultursenator Klaus Lederer, der Antisemitismus verurteilte und Solidarität mit den israelischen Opfern des Hamas-Angriffs betonte, sollte ergänzt werden, um auch palästinensische Opfer und anti-palästinensischen Rassismus zu berücksichtigen. Als diese Änderungen auf dem Parteitag eine Mehrheit fanden, zog Lederer seinen Antrag zurück und verließ mit Petra Pau, Elke Breitenbach und weiteren Delegierten unter Protest den Saal.
Was folgte, waren massive Antisemitismus-Vorwürfe gegen die Linke. Währenddessen versuchte die Parteispitze die Lage zu beruhigen. Auf dem Bundesparteitag vom 18. bis 20. Oktober in Halle/Saale wurde ein im Bundesvorstand erarbeiteter, breit getragener Kompromiss beschlossen[3], in dem Solidarität mit den Opfern auf beiden Seiten[4] bekundet und betont wurde, dass antisemitische und rassistische Positionen keinen Platz in der Partei haben dürfen. Drei Tage später, am 23. Oktober 2024, traten prominente Parteimitglieder mit Lederer aus der Partei aus[5]. Die Begründung: Die Linke stelle sich nicht entschlossen gegen Antisemitismus.
Im Dezember 2024 wurde Ramsis Kilani[6], trotzkistisches Basis-Mitglied aus Neukölln und palästinensischer Aktivist, wegen »parteischädigenden Verhaltens« aus der Partei ausgeschlossen. Ihm wurde außerdem die »Verherrlichung« der Hamas vorgeworfen. Bekannt wurde Kilani durch einen Schlagabtausch mit Petra Pau auf »X«[7] zur Situation auf dem Berliner Landesparteitag. Teile der Palästina-Solidaritätsbewegung stellten sich hinter Kilani.
Für Antisemitismusvorwürfe sorgte am 6. Mai auch ein auf »X« gepostetes Bild vom Parteivorstandsmitglied Ulrike Eifler[8]. Neben dem Spruch »All United for a free Palestine« waren grüne, rote und weiße Hände in der Form Israel-Palästinas abgebildet. Der Parteivorstand[9] distanzierte sich am 8. Mai 2025 in einem Beschluss[10] von »jedweder bildlichen Darstellung«, die »die Auslöschung Israels propagiert« und bekannte sich zum Existenzrecht Israels. Eifler betonte, eine solche Lesart nicht zu teilen.
Tags darauf, beim Bundesparteitag in Chemnitz, beschlossen die Delegierten, die »Jerusalemer Erklärung[11]« als Grundlage für die Antisemitismusdefinition innerhalb der Linken zu übernehmen – als Alternative zur umstrittenen IHRA-Definition, die genutzt werde, um Kritik an Israel zu delegitimieren. Auch dieser Schritt führte zu Antisemitismusvorwürfen[12].
Der jüngste Anlass für Kritik war ein Solidaritätsfest der Linken in Berlin-Neukölln »für die Menschen in Gaza« [13]am 9. August unter dem Titel »Neukölln steht zusammen für die Menschen in Palästina«. Die Teilnahme des »Vereinigten Palästinensischen Nationalkomitees« führte erneut zu Vorwürfen, denn dem Komitee wird im Verfassungsschutzbericht eine Nähe zur Hamas vorgeworfen. Die Parteispitzen distanzierten sich von den Neuköllnern.
In diesem Kontext findet am 27. September die Demonstration »Zusammen für Gaza[14]« samt Kundgebung »All Eyes on Gaza[15]« in Berlin statt, zu der die Linke mobilisiert und an deren Organisation sie beteiligt ist. Die bereits im Juni angekündigte und auf September verschobene Veranstaltung gilt vielen als Gradmesser der Palästina-Solidarität der Linken – einer Partei, die sich seit Monaten im Spagat übt. Palästina-Solidarische Arbeitsgruppen[16] werfen ihr mangelnde Unterstützung vor, israel-solidarische[17] sehen antisemitische Tendenzen. Gleichzeitig wächst der Druck von außen. Dass die Linke dennoch einen Konsens für die Veranstaltung gefunden hat, zeigt, dass sie fähig ist, eine universalistische und menschenrechtsgeleitete Position zum Krieg in Gaza zu vertreten.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193738.krieg-in-nahost-die-linke-und-palaestina.html