Am 27. September findet die Großdemonstration »Zusammen für Gaza – Stoppt den Genozid!« in Berlin statt, die an die Kundgebung »All Eyes on Gaza« anknüpft. Was ist die Kernbotschaft dieser Demonstration und wie ist Die Linke involviert?
Wir wollen Druck auf die Bundesregierung ausüben, damit sie ihre Unterstützung von Israels Kriegsverbrechen in Gaza beendet. Deshalb fordern wir einen Stopp der Waffenexporte. Ines Schwerdtner und Özlem Demirel gehören zu den Initiatorinnen der Demonstration. Die Linke mobilisiert zur Kundgebung [1]und der Demonstration[2]. Bei der Demonstration – die bei der Kundgebung enden wird – werden wir als Partei mit einem Block präsent sein.
Warum gibt es zwei Veranstaltungen?
Es geht darum möglichst viele Menschen zu erreichen. Daher gibt es eine Kundgebung mit Künstler*innen und NGOs und eine Demonstration. Denn nur, wenn wirklich viele Menschen zusammenkommen, können wir die Regierung unter Druck setzen. Große Mobilisierungen wie ›Unteilbar[3]‹ oder Demos gegen Rechts haben gezeigt, dass überparteiliche Bündnisse besonders viele Menschen anziehen.
Die Demonstration wurde ursprünglich für Juli angekündigt und dann auf den September verschoben. Warum?
Die Verlegung hatte vor allem organisatorische Gründe. Ein bundesweites Bündnis für dieses Thema aufzubauen ist nicht einfach und braucht Zeit, besonders für Mobilisierung und Kommunikation. Außerdem wäre der Juli-Termin in der Sommerpause ungünstig gewesen – dass hätte deutlich weniger Menschen erreicht.
Welche konkreten Nulltoleranz-Regeln gelten am 27. September?
Wir machen unmissverständlich deutlich, dass wir keine antisemitischen Äußerungen auf dieser Demonstration dulden. Da sind sich alle Initiatorinnen und Initiatoren einig. Wenn jemandem etwas auffällt, soll er sich unbedingt an die Ordner*innen vor Ort wenden. Die werden reagieren und sicherstellen, dass sich alle Teilnehmenden wohlfühlen und die Demonstration respektvoll abläuft.
Gefordert werden unter anderem ein Waffenstillstand, die Freilassung von illegal Gefangenen – in Israel und in Gaza – sowie Meinungs- und Versammlungsfreiheit in dem Thema. Woher kommt diese neue Deutlichkeit der Partei in der Palästina-Frage?
Alle diese Forderungen haben wir immer schon vertreten. Fast jeder einzelne Punkt wurde zum Beispiel auch letztes Jahr beim Parteitag in Halle[4] beschlossen. Was sich verändert hat, ist die gesellschaftliche Stimmung, denn die öffentliche Meinung zu diesem Krieg ist komplett gekippt.
Welche Bedeutung hat der Punkt der Meinungs- und Versammlungsfreiheit für Die Linke?
Es ist eine Schande, dass viele Menschen, deren Verwandte in Gaza sterben, hier oft nichtdagegen demonstrieren dürfen. Wir haben von Anfang an gesagt, dass die Repression gegen die Palästina-Solidaritätsbewegung[5] völlig unverhältnismäßig ist. Sie steht unserem Land, das gerade heute die Demokratie immer wieder betont, nicht gut zu Gesicht.
Hat Die Linke in diesem Kontext nicht selbst harte Kritik geübt? Sie selbst kritisierten Parteivorstandsmitglied Ulrike Eifler[6] wegen eines geteilten Bilds einer israelisch-palästinensischen Landkarte mit palästinensischen Farben. Gibt es in der Linken die Tendenz, palästinasolidarische Äußerungen vorschnell negativ zu interpretieren?
Diese Tendenz gibt es auf jeden Fall in den bürgerlichen Medien. Der Vorwurf des Antisemitismus schadet sowohl der Palästina-Solidaritätsbewegung als auch unserer Partei. Deshalb müssen wir von unseren Vertreter*innen besonderes Verantwortungsbewusstsein erwarten. Klar ist: Unsere Solidarität gilt den Menschen, die jetzt in Gaza unter der unglaublichen Zerstörung leiden – und genauso auch denjenigen, die am 7. Oktober ermordet oder entführt wurden. Unter den Opfern waren auch viele internationale Genoss*innen aus der Friedensbewegung. Die Linke darf hier keine doppelten Standards anwenden. Karten, auf denen nur eine Flagge abgebildet ist, suggerieren, dass ein Volk da nicht leben darf – das werde ich nie akzeptieren.
Es gibt unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten. Gleiches gilt umgekehrt für das Existenzrecht Israels: Meint Die Linke damit ein Israel unter jüdischer Vorherrschaft oder ein demokratisches Israel, in dem alle die gleichen Rechte haben?
Selbstverständlich müssen alle Bevölkerungsteile – Jüdinnen und Juden, Palästinenser*innen sowie Christen, Drusen und Beduinen – gleichermaßen geschützt und als gleichberechtigte Bürger*innen in einem Staat leben können. Israel muss ein Staat für alle seine Bewohner*innen sein. Wir stehen ebenso für ein freies Palästina als Staat ein. Voraussetzung dafür ist ein Ende der Besatzung des Westjordanlands.
Warum fällt es der Linken so schwer in der Nahost-Frage eine einheitliche Linie oder klare Worte zu finden, wenn viele linke Parteien weltweit von Apartheid oder Genozid sprechen?
Wenn andere diesen Begriff für die Kriegsverbrechen und den Hunger in Gaza nutzen, verstehe ich das. Wir verwenden »Apartheid« oder »Genozid« bisher nicht, da es juristische Begriffe sind. Es gibt jedoch immer mehr Expert*innen, die diese Begriffe verwenden, und deshalb war es für uns vertretbar, die Demonstrationen unter diesem Titel zu unterstützen. Der Bundestag hat mit den Stimmen der Regierung vor drei Jahren den Holodomor in der Ukraine als Völkermord eingestuft. Nimmt sie ihre eigenen Kriterien ernst, müsste sie den Hungerkrieg in Gaza auch als Völkermord bezeichnen. Persönlich tue ich mich, vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte, damit schwerer. Grundsätzlich bin ich aber kein Fan von Streitigkeiten um Begriffe. Wichtiger ist, was politisch passiert. Gleichzeitig gibt es in der Partei unterschiedliche Generationen und Sichtweisen und das müssen wir respektieren: Viele ältere Genoss*innen kämpfen beispielsweise seit Jahrzehnten gegen Antisemitismus – Seite an Seite mit Jüdinnen und Juden – viele jüngere Menschen politisieren sich aber gerade an der Gaza-Frage. Ich finde beides wichtig und beides gehört zusammen. Die Herausforderung besteht darin, diese Perspektiven zusammenzubringen.
Wie geht es für Die Linke in der Nahost-Frage weiter?
Wir sind da auf einem sehr guten Weg: Der Konsens zur Demonstration und die letzten Bundesparteitage zeigen, dass wir in der Lage sind, gute Einigungen zu erzielen. Interne Diskussionen gehören zu einer lebendigen Parteidemokratie dazu. Das müssen wir in einem konstruktiven Fahrwasser halten – mit offenen Ohren und Verständnis füreinander. Anders geht es nicht.