nd-aktuell.de / 03.09.2025 / Kultur

Teufel im TV

Alles war klar: Andreas Maier würdigt das alte Fernsehen, kurz vor Frankfurt

Christof Meueler
Wo ist der Teufel in und außerhalb der Stadtkirche von Friedberg?
Wo ist der Teufel in und außerhalb der Stadtkirche von Friedberg?

Unter den autofiktionalen Romanen, Aufgüssen und Shows sticht der südhessische Schriftsteller Andreas Maier besonders hervor. Seit 2010 veröffentlicht er die Romanserie »Ortsumgehung« und verhandelt darin gleichermaßen den gesellschaftlichen Wandel und Stillstand in der Wetterau. Das ist eine Gegend bei Frankfurt/Main, in der Maier (geboren 1967) aufgewachsen ist, in Friedberg. In dieses Städtchen fuhr man noch in den beginnenden 90ern aus den umliegenden Dörfern für die wichtigen Einkäufe, heutzutage ist es eine unauffällige Frankfurter Vorstadt geworden.

Das Schöne, Kluge wie Sympathische an Maiers »Ortsumgehung« ist die von ihm bevorzugte Mischform aus Erzählung und Essay. Er schreibt »in diesem unverwechselbar entschlackten, spröden, kühlen Maier-Sound« (Jürgen Roth) eine Art Familienchronik[1] von innen, als ein Beteiligter und Beobachter. Dabei untersucht er mit leichter Hand die ihn prägenden Sozialisationsformen, Begrifflichkeiten und Vorstellungen.

Mit »Der Teufel« ist im Frühjahr der zehnte und vorletzte Band dieser Serie erschienen. Ging es in den vorherigen Teilen um Studieren, Urlaubsreisen und um den Begriff »Heimat«, handelt das neue Buch von einem »untergegangenen Leitmedium«, dem Fernsehen, und darüber hinaus von Tanzunterricht, Mauerfall und Männern, die keine »Macker« sein wollen.

Die Älteren werden sich erinnern: Das lineare Fernsehen strukturierte einmal die Weltwahrnehmung als Dichotomie: die Guten gegen die Bösen. Diese Aufspaltung fängt mit den Sendungen an, die Maier als Kind in zwei Kategorien unterteilt: »Die einen liefen einfach so und wurden in sich hineingetan, als ginge es darum, bloße Zeit zu vernichten.« Das waren die »Frühnachmittagsserien und Wochenendvormittagsserien«. Die Sendungen der anderen Kategorie aber waren »unhintergehbare, quasi gottesdienstähnliche Termine«, sie zu verpassen war schmerzvoll, beispielsweise eine Folge der nur selten laufenden »Augsburger Puppenkiste«.

Im Kalten Krieg war die Gut-Böse-Aufteilung obligatorisch. Im Westfernsehen war die Sowjetunion »konnotiert mit Eismeer, U-Booten und Felsmützen«, der Generalsekretär »bewegte sich immer, als sei er eigentlich starr«. Die wechselnden US-Präsidenten dagegen »lächelten, schüttelten Hände und liefen viel freier herum. Sie hatten ihre Massenvernichtungswaffen nur aufgestellt, um uns vor den anderen zu schützen.« Die Systemkonfrontation reicht bis in Maiers Familie. Wenn Tante Lenchen aus dem Osten, dem »Repressivhammerdunkelstaatsblock«, anreiste, wurde sie »mit einer gewissen Reserviertheit empfangen«. Denn sie verteidigte den Osten, auch als die Mauer gefallen war, dabei war sie noch nicht mal in der SED, sondern in der Bauernpartei.

Bei näherer Betrachtung erscheinen auch die Eltern (die Mutter verachtet den Vater, wenn sie was getrunken hat) gespalten. Das gilt ebenfalls für die nähere Verwandtschaft (wegen Erbstreitigkeiten), wie für Frauen- und Männer-AGs (in beiden wird vor der »bloßen Schwanzsteckerei ohne Romantik« gewarnt) und die politische Sichtweise (»als rechts galt, was nicht links war«).

Doch diese schwierige Gemengelage wird durch den effektiven Vereinfachungsapparat Fernsehen übersichtlich gestaltet: durch die Markierung des Teufels. Als solcher erscheint Saddam Hussein nicht nur in der »Tagesschau«, als die USA und ihre Verbündeten 1991 den Irak angreifen[2], nachdem sich dieser zuvor Kuwait einverleibt hat. »Da war es, das Böse, das Dunkle, das Nein«, im schnauzbärtigen irakischen Diktator, der von Hans Magnus Enzensberger im »Spiegel« als »Hitlers Wiedergänger«[3] ausgerufen wurde und der ein bisschen so aussah wie der geistig eingeschränkte Onkel von Maier.

Dass Hussein vorher vom Westen im Krieg gegen den islamischen Iran unterstützt worden war, interessierte keinen Menschen. Dieser Krieg hatte acht Jahre gedauert und mindestens 500 000 Menschenleben gekostet. Als er begann, ging Maier in die siebte Klasse, als er endete, studierte er im dritten Semester. Manchmal wurde im Fernsehen an diesen Krieg erinnert, war von ihm mal zwei Wochen lang nicht die Rede, war er schon wieder vergessen.

Wer aber ein Teufel ist, der fordert von den Guten den Krieg geradezu heraus, natürlich um den Frieden zu retten. Derzeit wird Putin so genannt. Bei Trump ist man sich unsicher. Merz fällt wohl aus. Die Ausrufung des Teufels an und für sich war eine der letzten kulturprägenden Leistungen des alten Fernsehens, bevor es in Internet und Streaming versank. Maier schildert, wie ihm als Jugendlichem in der Stadtkirche Friedberg einmal das Bild eines nackten Teufels vorgeführt wurde. Später wird ihm ein Kunsthistoriker sagen, das sei eine Verwechslung. Der nächste, abschließende Band von »Ortsumgehung« soll »Gott« heißen.

Andreas Maier: Der Teufel. Suhrkamp, 160 S., br., 25 €.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/189430.mit-einem-bein-im-paradies.html?sstr=andreas|maier|heimat
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1148754.kadhim-habib-schmutziger-und-grausamer-krieg-gegen-den-irak.html?sstr=Golfkrieg|Iran
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1158565.die-linke-und-die-erinnerungspolitik.html?sstr=hitlers|wiedergänger