nd-aktuell.de / 04.09.2025 / Politik

Argentinien: Präsident Milei hat Ärger wegen der Chefin

Argentiniens Präsident Milei kommt wegen Korruptionsvorwürfen gegen seine Schwester in die Bredouille

Jürgen Vogt, Buenos Aires
Argentiniens Präsident Javier Milei könnten die »Geschäfte« seiner Schwester Karina (l.), Generalsekretärin des Präsidialamts, auf die Füße fallen.
Argentiniens Präsident Javier Milei könnten die »Geschäfte« seiner Schwester Karina (l.), Generalsekretärin des Präsidialamts, auf die Füße fallen.

Am Sonntag wird in der argentinischen Provinz Buenos Aires ein neues Parlament gewählt. Die Wahl wäre nicht besonders erwähnenswert, wenn nicht ein Drittel der Wahlberechtigten des Landes hier leben würde und es sich um die letzte Hochburg der ehemaligen Präsidentin Cristina Kirchner (2007–2015) handeln würde. Deshalb hat der rechtslibertäre Präsident Javier Milei sie zu einer entscheidenden Abstimmung für oder gegen ihn erklärt.

»Kirchnerismo nunca más – Nie wieder Kirchnerismus« lautet Mileis provozierender Wahlkampfslogan. Dass der bei einigen nicht gut ankommt, musste der Präsident bei einer Wahlkampfveranstaltung erfahren, die er nach Steinwürfen fluchtartig verlassen musste. Glücklicherweise wurde dabei niemand verletzt.

Mileis Popularität ist im Sinkflug

Der Nimbus des Präsidenten als Kettensägen schwingender Kämpfer gegen die Korruption ist angekratzt, seit ein Skandal täglich für neue Schlagzeilen sorgt. Es geht um Staatsaufträge, die zu überhöhten Preisen in Rechnung gestellt und bezahlt wurden, wobei ein gewisser Prozentsatz der Beträge zurückfloss. Dabei fällt auch der Name der Generalsekretärin des Präsidialamts: Karina Milei, die Schwester des Präsidenten. Und wer »el jefe«, den Chef, wie sie von allen genannt wird, angreift, der greift den Präsidenten an.

Alles begann am 19. August mit der Veröffentlichung von Audios des damaligen Direktors der Behörde für Menschen mit Behinderung, Diego Spagnuolo, die ohne dessen Wissen aufgenommen wurden. Bereits der Zeitpunkt der Veröffentlichung einen Tag vor der Sitzung des Abgeordnetenhauses, in der über das Veto des Präsidenten gegen ein Notstandsgesetz für Menschen mit Behinderungen abgestimmt wurde, war kein Zufall. Zum ersten Mal überstimmten die Abgeordneten das Veto eines Präsidenten mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit. Mit dem Gesetz sollen die staatlichen Zuwendungen für Behindertenhilfeeinrichtungen sowie die beitragsunabhängige Mindestrente für Behinderte leicht angehoben werden. Sowohl das Abgeordnetenhaus als auch der Senat hatten das Gesetz mit großer Mehrheit angenommen. Milei hatte jedoch sein Veto eingelegt. Sollte der Senat ebenfalls mit einem Zweidrittelvotum gegen das Veto stimmen, würde erstmals ein Veto Mileis im Kongress überstimmt. Das käme einer schweren Niederlage gleich. Die Abstimmung war für den 4. September angesetzt.

Spagnuolo, ein Anwalt und bis vor Kurzem persönlicher Freund von Javier Milei, behauptet in den Audios, dass hochrangige Beamte Bestechungsgelder durch ein angebliches Provisionssystem beim staatlichen Kauf von Medikamenten erhalten würden. Seine Aussagen belasten nicht nur Karina Milei, sondern auch die Drogeriekette Suizo Argentina, die sich auf den Verkauf und Vertrieb von Produkten für die Gesundheitsversorgung von Menschen mit Behinderungen spezialisiert hat. »Die Leute von Suizo Argentina rufen die Hersteller an und sagen ihnen: ›Hören Sie, fünf Prozent Aufpreis gelten nicht mehr, jetzt sind es acht Prozent. Die bringen sie zu Suizo und wir leiten es an die Präsidentschaft weiter. Alles wird per Telefon erledigt‹«, beschreibt Spagnuolo den Ablauf.

Wo, wann und gegenüber wem Spagnuolo dies alles gesagt hat, ist unklar. Klar ist, dass die Aufnahmen bearbeitet wurden. Nur Spagnuolo ist zu hören, andere Personen wurden herausgeschnitten. Hintergrundgeräusche deuten auf ein Treffen in einem Café hin. Der Inhalt lässt auf einen Zeitraum von August bis Oktober 2024 schließen. Die Aufnahmen sind zwar gespickt mit Anschuldigungen und Behauptungen, liefern aber keine konkreten Beweise. Kurz nachdem die Aufnahmen über einen Streamingkanal veröffentlicht wurden, wurde Spagnuolo gefeuert.

Eine ganze Woche verdrängte die Regierung die Angelegenheit und vermied jede Erklärung, während jeden Tag neue Details ans Licht kamen und die Spekulationen ins Kraut schossen. Das lange Schweigen der Regierung beweist, wie unvorbereitet sie auf die Aufnahmen war. Erst vergangene Woche äußerte sich schließlich Mileis Kabinettschef Guillermo Francos. »Ich lege meine Hand für keinen Beamten ins Feuer«, so seine zentrale Botschaft, die auf ein Klima des gegenseitigen Misstrauens in der Regierung hindeutet.

Justiz kommt um Ermittlungen nicht herum

Kein Zweifel besteht daran, dass es sich bei der Veröffentlichung um eine gezielte Aktion gegen die Regierung handelt. Es ist jedoch völlig unklar, wer die Aufnahmen in der Öffentlichkeit lanciert hat. Die Spekulationen darüber reichen von der kirchneristischen Opposition bis hin zu einer Provokation aus den Reihen der Regierung selbst, in denen seit geraumer Zeit zunehmend Risse, Rivalitäten und Feindseligkeiten zu beobachten sind.

Inzwischen hat die Justiz eine Untersuchung eingeleitet, in deren Zusammenhang die Räumlichkeiten des Drogerieunternehmens Suizo Argentina durchsucht wurden. Dokumente, Computer und die Telefone der Firmeninhaber wurden beschlagnahmt. Pikant ist, dass der Wert der staatlichen Einkäufe bei dem Unternehmen seit dem Amtsantritt von Präsident Javier Milei um mindestens 150 Prozent gestiegen ist. Ob sich der Korruptionsvorwurf belegen lässt, wird die Auswertung der beschlagnahmten Sachen ergeben.

Ob der Skandal Milei Stimmen kostet, wird sich am Sonntag bei der Wahl zum Provinzparlament zeigen. Umfragen sagen voraus, dass das kirchneristische Wahlbündnis Fuerza Patria (Vaterländische Kraft) die meisten Stimmen erhalten wird. Die spannende Frage ist, wie groß der Abstand zu Mileis Kandidatenliste sein wird. »Für die Kirchneristen wird das Wahlergebnis ihre endgültige Obergrenze sein, während unser Ergebnis nur das Fundament sein wird, auf dem wir aufbauen können«, sorgte der Präsident schon mal vor.