Nach der brutalen Auflösung der Abschlussparade des Antikriegs-Camps in Köln[1] hält die Diskussion um das Vorgehen der Polizei an. Die lokale CDU hatte dazu für Donnerstag eine Aktuelle Stunde im Rat der Stadt beantragt – darin spricht sie von »Gewaltexzessen gegen Polizisten« und bezeichnet das Camp des »Rheinmetall entwaffnen«-Bündnisses als Ausgangspunkt von Straftaten und gewalttätigen Aktionen. Verantwortliche des Zeltlagers sollten auch für etwaige Schäden im Grüngürtel haften, heißt es in dem Antrag[2].
Gegen das CDU-Narrativ sprechen aber schon die Zahlen: 13 Beamt*innen sollen beim Angriff auf die Parade am Samstag verletzt worden sein – auf der anderen Seite berichten die unabhängigen Sanitäter*innen von 147 verletzten Demonstrant*innen, 18 mussten demnach ins Krankenhaus gebracht werden.
Die CDU knüpft mit ihrer Deutung an die Darstellung der Kölner Polizei[3] an – obwohl deren am Montagabend veröffentlichter Bericht festhält, dass der überwiegende Teil der rund 3000 Teilnehmer*innen friedlich protestierte. Trotzdem wurde ihr Aufzug nach dem Start am Heumarkt viermal gestoppt – angeblich, weil sich einige Teilnehmende vermummten und »Eisenstangen« mitführten, Pyrotechnik einsetzten sowie Banner verknoteten. Gegen 17.40 Uhr sei es dann in der Mechthildisstraße zu Angriffen auf zwei Verbindungsbeamt*innen gekommen, die verletzt worden seien.
Anschließend setzte die Polizei den revolutionären Block nach ausgiebigem Knüppel- und Pfeffersprayeinsatz elf Stunden fest und nahm Personalien von 524 Gekesselten auf. Nachträglich heißt es, diese hätten »der gesamten Versammlung in der öffentlichen Wahrnehmung einen unfriedlichen Charakter verliehen«.
Schon am Sonntagmorgen ergaben Berichte von Betroffenen, Beobachter*innen und der Anwältin eines Anmelders ein anderes Bild[4]. Am Donnerstag haben sie diese Fakten auf einer Pressekonferenz vor dem Polizeipräsidium Köln-Kalk zusammengetragen. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie kritisierte den Polizeieinsatz als massiven Eingriff in die Versammlungsfreiheit. Das Stoppen der Parade sei jedes Mal grundlos erfolgt, daher habe diese nicht einmal den Ort der ersten Zwischenkundgebung und schon gar nicht ihr Ziel erreicht – eine Bundeswehrkaserne im Süden Kölns.
Für eine ernsthafte Debatte über die Repression gegen das »Rheinmetall entwaffnen«-Bündnis hätte womöglich geholfen, wenn die Polizei ihre Einsatzprotokolle offengelegt hätte.
Besonders scharf wendet sich das Komitee gegen das Vorgehen in der Mechthildisstraße und zweifelt den angeblichen Angriff auf die zwei polizeilichen »Verbinder« an – diesen nennt die Polizei als Grund für ihr gewaltsames Vorgehen. Das Video eines Anwohners dokumentiert jedoch, dass nicht Angriffe aus der Menge heraus, sondern das Eindringen von Polizeieinheiten mit Schlagstöcken und Pfefferspray die Eskalation auslöste – und erst danach die »Verbinder« bedrängt wurden. Anders als die Polizei behauptet, blieben diese Beamt*innen auch – dem äußeren Anschein nach – unverletzt. Hinzu kommt: Einer von ihnen hatte selbst mindestens eine Person aus der Parade in den Schwitzkasten genommen und erfolglos versucht, diese aus der Menge zu zerren.
Das Grundrechtekomitee kritisiert auch die Behandlung der Eingekesselten: Über drei Stunden habe kein Kontakt zwischen Anmeldern und Polizei bestanden, die Versammlung sei ohne Rücksprache aufgelöst, spontane Ersatzversammlungen zunächst untersagt worden. Rund 500 Menschen hätten bis zu viereinhalb Stunden im Kessel ohne Wasser oder Toiletten gestanden. Für deren Benutzung machte die Polizei die Abgabe von Personalien zur Bedingung.
Auf der Pressekonferenz berichtete auch die Linke-Bundestagsabgeordnete Lizzy Schubert von massiver Repression: Menschen seien auf dem Weg zur Demonstration bereits an der U-Bahn schikaniert worden, am Heumarkt habe es erste Verletzte gegeben. Das unverhältnismäßige Auftreten der Polizei habe sich durch die gesamte Versammlung gezogen – mit martialisch aufgefahrenen Wasserwerfern und Räumpanzern. In der Mechthildisstraße sei es dann zu einer »immensen Eskalation« gekommen, bei der neben unabhängigen Presseleuten auch sie selbst als parlamentarische Beobachterin angegriffen wurde. Schubert sah blutende Menschen, Ohnmachtsanfälle und Panikattacken, Sanitäter*innen hätten die Polizei während der Versorgung von Verletzten mehrmals zurückdrängen müssen. Ihre Bilanz: »Diese Gewalt ging bis 5 Uhr morgens.«
Die NRW-Regionalgruppe des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV) sprach auf der Pressekonferenz von einem »schlicht und ergreifend demokratiefeindlichen« Polizeieinsatz. Rechtsanwältin Anna Busl betont, dass es zu keinem Zeitpunkt zureichende Gründe für eine Auflösung gegeben, die Polizei Kommunikation verweigert und stattdessen auf Gewalt gesetzt habe.
So hätten die Verbindungsbeamt*innen nach dem vierten Stopp der Demonstration zunächst erklärt, der Lautsprecherwagen müsse durchsucht werden, da von ihm Pyrotechnik ausgegeben worden sei; die übrige Demonstration könne aber weiterziehen. Dann sei laut der Kölner Anwältin plötzlich Bereitschaftspolizei in die Menge gestürmt – obwohl die »Verbinder« zu diesem Zeitpunkt noch im Gespräch mit der anwaltlichen Begleitung standen. Dass der Grund für das Eingreifen ein Angriff auf die beiden Polizist*innen gewesen ist, wie von offiziellen Stellen und der CDU behauptet wird, sei deshalb auch aus Sicht von Busl »schlicht falsch«. Das sei auch durch Videomaterial belegbar.
Sehr deutlich kritisierte am Donnerstag der Kölner Fraktionsgeschäftsführer der Linkspartei Michael Weisenstein die Repression gegen die Parade – aber auch die Konservativen, die mit dem Antrag »vom völligen Fehlverhalten und Versagen der Kölner Polizei« abzulenken versuche. Das Kölner Ratsmitglied Sarah Niknamtavin erklärt: »Gerade in Zeiten von Krieg, Gewalt und Völkermord und der deutschen Beteiligung daran ist es wichtig, dass es Demonstrationen für Frieden, gegen Aufrüstung und gegen Wehrpflicht geben kann. Auch die Stadt Köln ist über Gewerbesteuereinnahmen ein Kriegsgewinnler.« Die linke Ratsfraktion kündigt an, das Thema auch im Polizeibeirat – einem Diskussionsforum mit der Bevölkerung – weiterverfolgen zu wollen.
Dass diese Kritik in der letzten Ratssitzung vor der Kommunalwahl wenig Raum finden würde, war absehbar. In der Aktuellen Stunde am Donnerstagnachmittag wurde der Tagesordnungspunkt dann aber gar nicht behandelt, da er für die Behandlung nicht die erforderliche Mehrheit fand.
Die CDU wollte mit ihrem Antrag auch über das Camp diskutieren. Dort waren revolutionäre, marxistische und kommunistische Gruppen auffällig zahlreich vertreten – die CDU spricht in ihrem Antrag aber von »Links-Autonomen«. Aus einem lokalen Grund: Den Kölner Konservativen geht es um die Zukunft des Autonomen Zentrums, das demnächst einen von der Stadt zugewiesenen Ausweichort[5] im Stadtteil Kalk beziehen soll. Dafür gestimmt hatten letztes Jahr Grüne, Linke, Volt und Klimafreunde, dagegen die FDP – während sich SPD und CDU enthielten.
Dass die Polizeigewalt noch im Landtag aufgearbeitet wird, ist mangels linker Opposition nicht zu erwarten. Ebenso wenig dürfte die Polizei der Forderung des Grundrechtekomitees nachkommen und ihre Einsatzprotokolle offenlegen, um die Widersprüche zwischen ihrer Version und dokumentierten Beobachtungen aufzuklären.
Womöglich gibt es aber auch eine Rückrunde: Das »Rheinmetall entwaffnen«-Bündnis will sich von der Repression nicht einschüchtern lassen und die auseinandergeknüppelte Antikriegs-Parade in Köln wiederholen.