Ein großer Teil des Berliner Senats steht am Montagmorgen am U-Bahnhof Deutsche Oper, um einen besonderen Neuwagen zu begrüßen. Es ist der erste neue U-Bahn-Zug vom Typ JK, der nun tatsächlich in den Fahrgastbetrieb auf der U2 geht.
Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner, Verkehrssenatorin Ute Bonde (beide CDU) und Betriebe-Senatorin Franziska Giffey (SPD) sind die Festredner auf dem Bahnsteig. Außerdem verlieren noch BVG-Chef Henrik Falk und der Deutschlandchef des Fahrzeugherstellers Stadler Rail[1], Jure Mikolčić, einige Worte.
Die Botschaften ähneln sich stark. Viele Danksagungen an alle Beteiligten, Schulterklopfen und die Verbreitung von Zuversicht, dass es nun mit der Zuverlässigkeit bei der U-Bahn langsam wieder nach oben geht.
Dem gewählten Motto »Neuwagen für alle« treu bleibt auch ein kurzes Video im Instagram-Stil, in dem das Bestreicheln und Beschnuppern einer Luxuskarosse durch eine junge Frau verschnitten wird durch ähnliches Agieren einer Sockenpuppe in BVG-Uniform am neuen JK-Zug. Ob die BVG so den autovernarrten CDU-Teil der Koalition abholen will? BVG-Chef Henrik Falk gefällt das Filmchen zumindest so gut, dass es noch ein zweites Mal gezeigt wird.
»Der heutige Tag ist wirklich ein wesentlicher Punkt, damit wir sagen können, man kann sehen, dass es besser wird«, sagt Franziska Giffey. Kai Wegner wird in der Feierlaune sogar als »oberster Neuwagenhändler« Berlins bezeichnet.
Nach Reden und Fotos darf sogar Wegner den Zug gen Osten zum Alexanderplatz steuern. Dafür habe er tagelang geübt, berichtet er, bevor er im Führerstand verschwindet.
Die Premierenfahrt des Acht-Wagen-Zuges ist der Beginn der lange ersehnten Flottenerneuerung der U-Bahn. Woche für Woche soll nun ein weiterer Zug in Betrieb gehen, bis zum Jahresende dann die 140 Wagen der ersten Bestellung ausgeliefert sind. Sie sollen zunächst ausschließlich auf der U2 eingesetzt werden.
Es war ein langer Weg bis zum Einsatz. 2016 gab der Senat grünes Licht für die Bestellung neuer Züge, 2019 erhielt Stadler Rail den Zuschlag für die Lieferung von bis zu 1500 Wagen für alle Linien, unterzeichnet werden konnte der Vertrag wegen einer Klage des unterlegenen Bieters Alstom jedoch erst 2020. Lieferketten- und Softwareprobleme sorgten für weitere Verzögerungen[2].
Währenddessen zerbröselte die überalterte Flotte immer weiter – ein Viertel der Wagen steht permanent in der Werkstatt. Auf Notfahrpläne folgten Not-Notfahrpläne[3] und chaotische Ausfälle mehr oder minder spontaner Natur. Seit Monaten fährt die U1 nur hin und wieder zu ihrer eigentlichen Endstation[4] an der Warschauer Straße, die U4 ist oft nur alle 20 Minuten unterwegs, obwohl selbst der Notfahrplan dreimal so viele Züge vorsieht.
Mit den 140 neuen Wagen wird die U2 nicht komplett betrieben werden können, aber weitgehend. Dafür würden 216 Wagen benötigt, wie U-Bahn-Fahrzeugchef Stefan Kärgel erläutert. Und parallel zur Inbetriebnahme der neuen Züge werden auch die Fahrzeuge der Baureihe im schlechtesten Zustand abgestellt.
Es ist der 1993 bis 1995 gebaute A3L92, dessen Aluminiumkarosserien inzwischen praktisch irreparabel sind. »Damals wurde noch viel mit Legierungen experimentiert, die sich als nicht so haltbar erwiesen haben«, sagt Kärgel. Damit würden bis zu 74 Altwagen noch dieses Jahr abgestellt. Gleich verschrottet werden sollen sie allerdings nicht, schließlich können sich bei Neufahrzeugen noch Kinderkrankheiten zeigen, die größere Ausfälle zur Folge haben können.
Die rund 60 Jahre alten Stahlwagen vom Typ A3E seien wesentlich robuster und blieben erstmal in Betrieb, so Kärgel weiter. Regelrecht »unkaputtbar« seien auch die zu DDR-Zeiten in Hennigsdorf gefertigten Züge, die liebevoll »Gisela« genannt werden, aber formal GI/1E heißen.
Ab Ende Oktober sollen dann mit den freiwerdenden Wagen von der U2 alle Umläufe der U3 auf die volle Länge von acht Wagen verlängert werden – bisher verkehren hauptsächlich Züge mit sechs Wagen.
»Das würde ich erstmal nicht im Vordergrund sehen«, antwortet Kärgel auf die Frage, wann die U1 wieder verlässlich bis zur Warschauer Straße fährt und nicht nur als Pendelzug zwischen Uhlandstraße und Wittenbergplatz unterwegs ist. Das ist derzeit mit Ausnahmen der Regelfall.
Immerhin für die U4 kann Meike Brännström kurzfristige Besserung versprechen. Denn seit Montag wird sie von Personal der Großprofillinie U5 gefahren, wie die für das Personal zuständige U-Bahn-Bereichsleiterin sagt. In den letzten Monaten verkehrte sie meist nur alle 20 Minuten, obwohl selbst laut Notfahrplan das Angebot dreimal so dicht sein soll.
Da die Schulung der U2-Fahrerinnen und -Fahrer auf den neuen Zugtyp inzwischen abgeschlossen ist, hat sich die Personallage auch hier entspannt. Zehn Fahrpersonale täglich fehlten dadurch im Betrieb. Dass das angesichts von rund 250 Fahrerinnen und Fahrern für die Kleinprofillinien U1 bis U4 so im Betrieb durchschlägt, wirft ein Schlaglicht auf die angespannte Personalsituation. Auch hier verspricht Brännström Besserung: »Wir haben die Ausbildungskapazität um 30 Prozent gesteigert«, sagt sie.
Ab Juli 2026 sollen auch die ersten neuen Züge die Fahrzeugsituation im Großprofil entspannen[5]. Dann beginnt laut Planung der Fahrgastbetrieb auf der U5. Meike Brännström versichert, dass die Fahrerschulung nicht so große Lücken in den Fahrplan reißen wird, wie es zuletzt im Kleinprofil der Fall war. Allein schon, weil für U5 bis U9 rund 500 Fahrpersonale zur Verfügung stünden, doppelt so viele wie im Kleinprofil.
236 Wagen des Typs J für das Großprofil sollen von Juli bis Ende Dezember 2026 in den Fahrgasteinsatz kommen. Damit soll zunächst die U5 komplett auf die neue Baureihe umgestellt werden, anschließend soll die U9 folgen.
Entgegen ursprünglicher Ankündigungen soll auch der neue Zugtyp als durchgängiger Sechs-Wagen-Zug verkehren. Entsprechende Testzüge sind bereits unterwegs. Bisher hieß es, dass nur gekuppelte Zwei- und Vier-Wagen-Züge eingesetzt werden sollen. Weil die Fahrzeuge im Großprofil länger sind als im Kleinprofil, können dort keine Acht-Wagen-Züge eingesetzt werden.
Bereits abgerufen sind weitere 108 Großprofilwagen, die Stadler Rail im Laufe des Jahres 2027 liefern soll.
Damit sind zusammengenommen erst 484 der 606 als Mindestabnahmemenge vereinbarten Wagen bestellt. Wann die 122 Wagen kommen, die die BVG also noch abnehmen muss, kann Betriebe-Senatorin Franziska Giffey nicht sagen. »Das wird noch ein Kampf«, sagt sie »nd«.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193887.nahverkehr-bvg-neue-u-bahn-zuege-fahren-endlich.html