Jim Jarmusch wurde früher oft gefragt, ob er sich die Haare weiß färben würde? Nein, sagte er dann, als er 15 war, wurden sie weiß. Das sei in seiner Familie halt so. Heute wird er das nicht mehr gefragt. Er ist 72 und gewann jetzt den Goldenen Löwen von Venedig, dem drittwichtigsten Filmfestival Europas, das am Sonntag zu Ende ging. Der Film heißt »Father Mother Sister Brother«. Darin geht es um dysfunktionale Familien. Achtung, fertig, Familie: Nachwievor ein großes Problem der Menschheit. Kommen da nicht alle Sorgen her? Naja, nicht alle, aber viele schon, oder? Der »Spiegel« meint vorwurfsvoll, diese Komödie hätte nur eine einzige Idee, man könnte den Film als den »allerkleinsten gemeinsamen« Nenner des diesjährigen Festivals betrachten. Seine Auszeichnung ist sozusagen der Preis fürs Lebenswerk von Jarmusch, den ewigen Weißhaarigen.
Der Titel ist auf jeden Fall gut. Und die Schauspieler*innen ebenfalls: Adam Driver, Mayim Bialik, Tom Waits, Charlotte Rampling, Cate Blanchett und Vicky Krieps. Die »Taz« nennt den Film ein »elegant lakonisches Spätwerk«. Der Witz an Jarmusch ist natürlich der, dass das Frühwerk schon wie das Spätwerk wirkt. Die Leute in seinen Filmen sind immer sehr abgeklärt, aber das macht sie nicht ausgeglichener, ganz im Gegenteil. Das treibt die Handlung in seinen betont nichtdramatischen Filmen voran. Das Motto von Jarmusch lautet »nichts ist originell«, alles sei schon da, man müsse es nur neu zusammensetzen. Aber nur »die Dinge, die direkt zu deiner Seele sprechen«. So läuft es auch in den Familien, wenn es gut läuft.
Jarmusch kommt aus der New Yorker Punkszene der 70er Jahre. Wie so viele wollte er Musiker und Dichter werden. Ersatzweise Journalist. Deshalb hat er sehr gute Dokumentarfilme über Neil Young und Iggy Pop gedreht. Filmemachen ist sowieso poetischer, von »Stranger than Paradise« (1983) über »Ghost Dog« (1999), »Broken Flowers« (2005) bis zu »The Dead don't die« (2019). Das sind alles gute Filme. Der letzte handelt von Zombies. Ein Zombie war Jarmusch nie.