Bei der Vuelta a España[1] stellen die Proteste gegen den Gaza-Krieg[2] zunehmend das sportliche Geschehen in den Schatten. Vor allem die zweite Woche war von vielen propalästinensischen Bekundungen[3] gekennzeichnet, die sowohl die Radsportler als auch die Durchführung der Rundfahrt schwer beeinflussten. So gab es auf der 11. Etappe gar keinen Tagessieger: Wegen massiver Demonstrationen im Zielbereich und deshalb aufkommender Sicherheitsbedenken wurde die Strecke verkürzt und die Fahrer ohne Zielsprint direkt zu den Bussen geleitet. Diese Entscheidung wurde von Profis, Betreuern und den Teams als die richtige gelobt.
Auf der 13. Etappe hielten Demonstranten mit einem Banner die Ausreißer des Tages für etwa 30 Sekunden am Fuße des Anstiegs zum Angliru auf, was deren Chancen auf einen Etappensieg zunichtemachte. »Bei einer Bahnschranke wäre auch das Feld nachher angehalten worden, hier aber passierte das nicht«, monierte später Christian Knees als Sportlicher Leiter vom Ineos-Team, dem einer der Ausreißer angehört. Völlig machtlos waren die Vuelta-Organisatoren auf der 15. Etappe am Sonntag, als eine Person mit Palästina-Fahne[4] auf die große Fluchtgruppe des Tages zustürzte, sich dann aber mit der Fahne und dem Pflanzenbewuchs am Straßenrand verhedderte und in den Graben fiel. Von der anderen Straßenseite eilte ein Polizist herüber. Dieses Chaos auf der Straße verunsicherte die Fahrer derart, dass der Spanier Ivan Como und der gebürtige Berliner Maximilian Schachmann[5] stürzten.
»Ich verstehe nicht, wie man gegen Terror[6] demonstrieren kann, indem man selbst Terror ausübt. Das ist wirklich vergleichbar, wenn man aus dem Wald springt und sich vor eine Gruppe wirft, die mit 55 km/h unterwegs ist«, meinte Schachmann[7] sichtlich sauer gegenüber »nd«. Zuvor hatte er noch Verständnis geäußert. »Es ist völlig legitim und gut, Flagge zu zeigen oder Meinungsfreiheit zuzulassen«, hatte er nach dem Abbruch der 11. Etappe gesagt, dabei aber auch schon gemahnt: »Es geht darum, es friedlich und ohne Hass auf irgendwelche Menschen zu tun.«
Die Diskussionen über die Sicherheit des Rennens erreichten danach eine derartige Intensität, dass Vuelta-Chef Javier Guillen sich gezwungen sah, zu betonen, dass die Gerüchte, die 21. Etappe werde wegen Sicherheitsbedenken abgesagt, nicht der Wahrheit entsprächen. Die Spanien-Rundfahrt[8] geht also erst mal weiter. Auch mit dem Team Israel Premier Tech, an dem sich der Unmut der Kriegsgegner ganz speziell entzündet. Es tilgte jedoch inzwischen den Schriftzug »Israel« nicht von den Teamfahrzeugen und der Kleidung der Rennfahrer. Es ist der Versuch einer Deeskalation.
Sylvan Adams finanziert Israel Premier Tech und versteht sich und das Team ausdrücklich als »Botschafter Israels[9]«. Bislang stand er aber nicht zu Gesprächen zur aktuellen Situation bereit, obwohl er bei der Vuelta auch selbst vor Ort war. Ganz sicher eine schwierige Situation für ihn, aber als selbsternannter Botschafter sollte man auch in komplizierten Situationen Rede und Antwort stehen. Im Rennen selbst spielt der israelische Rennstall nur eine untergeordnete Rolle. Immerhin: Der US-Amerikaner Matthew Riccitello liefert sich mit dem italienischen Kletterjuwel Giulio Pellizzari aus dem Red-Bull-Rennstall ein packendes Duell um das Weiße Trikot des besten Jungprofis. Und der Brite Ethan Vernon holte bei Massensprints zwei zweite Plätze.
Den sportlichen Stempel drückten der Vuelta bisher zwei Dänen sowie die angriffslustige Emirates-Equipe auf. Jonas Vingegaard[10] führt seit der zehnten Etappe die Gesamtwertung an, Landsmann Mads Pedersen trägt seit der 4. Etappe das Punktetrikot. Sie könnten für ein noch nie dagewesenes Ereignis sorgen: Zwei Wertungstrikots für Dänemark bei einer Grand Tour. Das Emirates-Team holte schon sieben Etappensiege. Diese Erfolgsserie hat einen kuriosen Nebeneffekt: »Wenn du einmal oder zweimal gewinnst, ist das etwas Besonderes. Wenn es aber immer wieder passiert, geht dieser spezielle Moment verloren«, erklärte Juan Ayuso, der selbst zwei Tagessiege beisteuerte. Beim letzten Erfolg am Sonnabend in La Farrapona wurde noch nicht einmal mehr die obligatorische Flasche Wein zum Abendessen herausgeholt, berichtete der Spanier.
Nun hofft der Rest des Pelotons darauf, dass Emirates sich in der dritten Woche darauf beschränkt, den eigenen Kapitän Joao Almeida so zu unterstützen, dass er in der Gesamtwertung noch an Vingegaard vorbeizieht – und deshalb die Jagd auf Etappensiege aus Fluchtgruppen heraus einstellt.