nd-aktuell.de / 10.09.2025 / Berlin

Haushalt Berlin: Den Sparhammer abwehren

Bündnis stellt sich gegen Kürzungen im neuen Doppelhaushalt

Hannah Blumberg
Bei einer Protestaktion bereits im Juni machten Studierende auf Kürzungen an Hochschulen aufmerksam.
Bei einer Protestaktion bereits im Juni machten Studierende auf Kürzungen an Hochschulen aufmerksam.

Mal wieder hat man sich verkalkuliert in der Hauptstadt. Mit den am Donnerstag beginnenden Beratungen des Doppelhaushalts für die Jahre 2026/2027[1] im Abgeordnetenhaus heißt es für viele soziale Projekte in Berlin wieder: bangen um Stellen, Angebote und Sprechzeiten. Das ist nicht nur nach den fast drei Milliarde Euro schweren Kürzungen des vergangenen Jahres, durch die bereits die Arbeit eingeschränkt wurde, besonders hart. Die ursprünglich versprochene Deckung der Tariferhöhung durch den Senat fällt jetzt plötzlich zu einem großen Teil weg. Das Bündnis für ein soziales Berlin versammelt am Donnerstag um 10 Uhr zum Beginn der ersten Haushaltsrunde über 100 freie Träger, Verbände und Gewerkschaften zu einer Kundgebung vor dem Berliner Abgeordnetenhaus.

»Unsere Arbeit in den Einrichtungen verhindert Einsamkeit, sie verhindert Ausgrenzung, sie verhindert Gewalt«, sagt Oliver Bürgel. Gemeinsam mit Verdi ist der Landesgeschäftsführer der Berliner Arbeiterwohlfahrt Initiator des Bündnisses. Wenn Projekte wegfielen, hätten besonders Kinder und Jugendliche[2], Behinderte, Arme, Geflüchtete und Alleinerziehende das Nachsehen. »Für sie sind soziale Angebote keine Extras. Sie sind lebensnotwendig«, so Bürgel.

Da freie Träger im Sozial- oder Bildungsbereich wichtige Arbeit leisten und dabei Aufgaben des Landes Berlin übernehmen, kündigte der Senat Ende 2024[3] im Zuge der Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst an, die Tariferhöhungen auch bei freien Trägern zu finanzieren. Aus einer Anfrage der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus geht nun hervor, dass fast zwei Drittel dieser Finanzierung wegfallen.

»Unsere Arbeit in den Einrichtungen verhindert Einsamkeit, sie verhindert Ausgrenzung, sie verhindert Gewalt.«

Oliver Bürgel
Landesgeschäftsführer AWO Berlin

»Wir haben die Erfahrung, dass das alles sehr intransparent lief«, sagt Markus Galle, Pressesprecher der Arbeiterwohlfahrt mit Blick auf die Kürzungen des vergangenen Jahres. »Es herrscht eine große Verunsicherung, weil alles passieren kann.« Da freie Träger nicht gewinnbringend arbeiteten, gebe es keine Rücklagen, auf die man mit dem Wegfall der Finanzierung zurückgreifen kann. Im schlimmsten Fall bedeuten die Kürzungen Kündigungen und das Ende von Angeboten. So musste nach der Verabschiedung des Nachtragshaushalts 2025 eine der zwei Beratungsstellen »Integration statt Ausgrenzung – Kleiderwerkstatt« (ISA-K) schließen. Statt straffällig gewordenen Frauen die Möglichkeit zu bieten, in Freiheit ihre Strafe abzuarbeiten, geraten sie nun in Haft, verlieren Wohnung und Kinder.

»Wenn wir die Schicksale der Betroffenen außen vor lassen, die sind für manche Parteien ja vielleicht nicht wichtig, wird es trotzdem teuer für Berlin, wenn das alles wegfällt«, sagt Galle. Die Einsparungen seien kurzsichtig, so der Pressesprecher. Nicht nur, weil der »Rekordhaushalt« 2026/2027 sich aus Krediten speist, die dann zukünftig bedient werden müssten, statt jetzt schon zusätzliche Einnahmemöglichkeiten wie Anwohnerparken, Grunderwerbs- oder Vermögenssteuer zu nutzen.

»Soziale Arbeit ist kein Kostenfaktor, sie ist eine Zukunftsinvestition.«, sagt Bürgel. Fallen diese Angebote weg, zahlt die Stadt Berlin, ob für die Haft der vormals von der ISA-K betreuten Frauen, die ordnungsrechtliche Unterbringung von obdachlosen Menschen oder fehlende Fachkräfte durch mangelhafte Bildung. Investitionen in diesen Bereichen sorgen eben nicht nur für gute Stimmung, sondern entlasten die Gesellschaft monetär. »Die Kürzungen sind entsprechend absurd«, so Galle. »Besonders im sozialen Bereich kommen diese Kosten auf Berlin zurück. Dann eben in einem Jahr oder spätestens bei der nächsten Haushaltsrunde.«

»Was jetzt geschieht, kann ich nicht zu 100 Prozent nachvollziehen«, sagt Sven Meyer (SPD) zu »nd«. Der Sprecher für Arbeit und Ausbildung sagte nach dem Beschluss der Finanzierung von freien Trägern im vergangenen Dezember noch stolz: »Wir haben gemeinsam deutlich gemacht, dass die Tarifbindung sich nicht nach der Haushaltslage richten darf.« Als der Topf, aus dem die Tariferhöhung gedeckt wird, dezentralisiert wurde, hätten somit eigentlich keine Mittel wegfallen sollen. Dazu, dass sie faktisch zu einem beträchtlichen Teil weggefallen sind, sagt der Politiker: »Ehrlich gesagt, ich verstehe das nicht.«

An einigen Stellen würde die Rückfinanzierung funktionieren, etwa bei der Senatsverwaltung für Justiz, die die Tariferhöhungen komplett deckt. Von Kürzungen spricht Meyer nicht, stattdessen soll Planungssicherheit weiterhin gewährleistet werden. Doch auch ihn erreichten schon Anfragen von freien Trägern, die sich in Finanzierungsplänen gar nicht wiederfinden. »Ohne freie Träger wird ganz, ganz, ganz viel nicht funktionieren«, sagt Meyer. Andererseits gebe es bei einem Sparhaushalt immer Diskussionen, wo Geld wegfallen soll. Obwohl es ihm also ein Anliegen ist, sagt auch Sven Meyer, dass die zugesicherte Deckung der 5,5 Prozent Tariferhöhung nicht gewährleistet sei.

Das Bündnis für ein soziales Berlin nimmt das nicht einfach so hin. Ab 10 Uhr ruft es Beschäftigte aller freien Träger, Organisationen und Bündnisse dazu auf, vor dem Abgeordnetenhaus zu demonstrieren. Mit Musik und Beiträgen von verschiedenen Gruppen kommen alle Betroffenen der Kürzungen zu Wort. Vom Sozialbereich mit Beratungsangeboten für marginalisierte Gruppen über Kita-, Jugend- und Hochschul-Bildung bis zu Kultur und Umwelt.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193858.schwarz-rot-haushalt-in-berlin-zwischen-rekordausgaben-und-kahlschlag.html?sstr=haushalt|berlin
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193543.landesjugendring-jugendhilfe-in-berlin-traeger-vor-dem-kollaps.html?sstr=kürzung|berlin
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1187475.haushalt-grossdemo-gegen-kuerzungen-geplant.html?sstr=kürzung|berlin