Berlin. Polen hat nach der Verletzung seines Luftraums durch mutmaßlich russische Drohnen die Aktivierung des Artikels 4 der Nato – Diskussionen im Nordatlantikrat, dem wichtigsten politischen Entscheidungsgremium des Kriegsbündnisses – beantragt.
In der Nacht zum Mittwoch drangen während einer russischen Angriffswelle auf die Ukraine mehrere Drohnen nach Polen ein. Eine Drohne stürzte auf ein Haus in Ostpolen ab und beschädigte das Dach, verletzt wurde niemand. Einige Flughäfen waren vorübergehend geschlossen worden, darunter auch der internationale Flughafen in Warschau sowie die Airports in Lublin und Rzeszów im Osten des Landes.
Nach polnischen Angaben wurden mehrere Drohnen auch mit der Hilfe niederländischer Kampfjets abgeschossen. Erstmals seit Kriegsbeginn wurden damit tatsächlich Flugobjekte im polnischen Luftraum abgeschossen. Nato-Chef Mark Rutte lobte am Mittwoch die Flugabwehr, die sehr effektiv gearbeitet habe. Allerdings soll sie lediglich einen kleinen Teil der Flugobjekte vom Himmel geholt haben.
Was genau in der Nacht in den polnischen Luftraum eindrang und wie viele Objekte, scheint nicht eindeutig geklärt zu sein, zunächst war von sechs die Rede, dann von zehn, zwischendurch von 23 und letztendlich von 19. Die Sprecherin des polnischen Innenministeriums, Karolina Gałecka, sprach in einem Brief von sieben gefundenen Drohnen und Teilen einer Rakete unbekannter Herkunft.
Am Morgen nach den Vorfällen schlug die Stunde der Falken. Auf X schrieb die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas, Hinweise würden darauf deuten, dass Moskau Polen absichtlich beschossen habe, später schlug Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius in dieselbe Kerbe, ohne Beweise vorzulegen. Schwedens Regierung rief gar dazu auf, sich auf den Krieg vorzubereiten. Ähnlich hatte sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj geäußert, der die Nato indirekt zu einem stärkeren Kriegsengagement aufforderte. Polen selbst sprach von einer »direkten Bedrohung« und einer »beispiellosen« Nacht, ohne jedoch direkte Vorwürfe zu erheben. Auch die Nato zeigte sich besonnen, sah in der Luftraumverletzung keinen Angriff auf das Bündnis.
Moskau äußerte sich zunächst nicht zu dem Vorfall. Aus dem Verteidigungsministerium hieß es, man habe keinesfalls bewusst nach Polen geschossen und erwarte ein Gesprächsangebot der polnischen Seite. Zuvor hatte Litauen bereits erklärt, dass es keinen geplanten Beschuss durch Russland sehe.
Unerwartete Hilfe bekam Polen aus Belarus. Während des nächtlichen »Austauschs von Drohnenschlägen zwischen Russland und der Ukraine« habe Belarus Flugapparate, die vom Kurs abgekommen seien, verfolgt und teilweise zerstört, sagte der belarussische Generalstabschef Pawel Murawejko in einer bei Telegram verbreiteten Erklärung. Das habe Polen bei der Abwehr geholfen. Polens Außenminister Radosław Sikorski bestätigte am Nachmittag, dass Minsk in der Nacht Warschau vor den Drohnen gewarnt habe.
Welche Folgen der Vorfall im polnischen Luftraum haben wird, steht in den Sternen. Zumal sich sehr schwer sagen lässt, welche Version über die Drohnen stimmt. Neben einem bewussten russischen Austesten der Nato-Flugabwehr stehen auch technische Störungen zur Debatte. Auch Flugverteidigungssysteme können die unbemannten Systeme vom Kurs abbringen. Die Folgen für das Kriegsgeschehen sind ebenso noch nicht absehbar. Aktuell haben die Kriegsbefürworter die Oberhand, fordern einen härteren Einsatz. Allerdings haben die USA bis auf ein paar Floskeln noch nicht reagiert. Möglicherweise, wenn auch wenig wahrscheinlich, könnten Friedensbefürworter mehr Gehör erhalten.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193954.ukraine-krieg-russische-drohnen-in-polen-abgeschossen.html