nd-aktuell.de / 10.09.2025 / Kultur

Wem gehört die Stadt?

»Umkämpftes Eigentum« – eine notwendige gesellschaftliche Debatte

Till Hahn
Wer glaubt, sich Städte anzueignen, bekommt Protest zu spüren.
Wer glaubt, sich Städte anzueignen, bekommt Protest zu spüren.

Eigentum ist eine dieser Kategorien, von der man zu wissen scheint, was sie bedeutet, bis man versucht, ebendiese Bedeutung in konkrete Worte zu fassen. In unserer kapitalistischen Gesellschaft scheint sie zunächst selbstverständlich zu sein, eine genaue Untersuchung derselben zeigt aber, dass es sich um einen vielschichtigen, gesellschaftlich umkämpften und in sich widersprüchlichen Begriff handelt.

Zur Klärung desselben haben nun die Oldenburger Sozialphilosophen Niklas Angebauer, Jacob Blumenfeld und Tilo Wesche den umfangreichen Band »Umkämpftes Eigentum« vorgelegt. Dieser schickt sich an, in fünf Teilen die brennendsten Fragen, die die gesellschaftliche Kategorie des Eigentums gegenwärtig aufwirft, zu beleuchten. Sind die ersten beiden Teile erwartbar theoretisch gehalten – sie beschäftigen sich mit Konzepten und Kritiken des Eigentums sowie seinen Grenzen – werden die nachfolgenden Teile erfreulich konkret. So widmet sich der umfangreiche dritte Teil dem Feld, auf dem wohl die meisten von uns die Problematik des Eigentums im Alltag erfahren: der Frage nach dem Wohneigentum. Ein weiterer Teil widmet sich dann der Frage nach dem Zusammenhang von Ökologie und Eigentum, ein letzter schließlich jener nach immateriellem Eigentum.

Tilo Wesche konstatiert zunächst die »Eigentumsvergessenheit« der Sozialforschung bis zur Finanzkrise 2008. Eigentum wurde bis dahin zumeist einfach als Privateigentum verstanden. Ein Verständnis, das auch heute noch gesellschaftlich vorherrschend ist. »Ganz gleich, ob es sich heutigentags um die Umverteilung von unten nach oben, Konzentrationen sozialer Macht, die globale Kluft zwischen Arm und Reich, das Überschreiten planetarer Grenzen oder die gefährdete Privatsphäre im digitalen Raum handelt: Gesellschaftliche Konflikte dieser Art werden von Eigentumsrechten angetrieben, verschärft und verstetigt.« Insbesondere in den beiden »theoretischen« Teilen folgen die Autor*innen der These, dass die Kategorie des Eigentums, die sich in der liberalen Gesellschaft aus dem Freiheitsbegriff rechtfertigt, diesen im Kapitalismus zusehends unterläuft.

Diese These – die anfangs noch erwartbar abstrakt bleibt – wird spätestens in den Texten, die sich mit der Wohnungsfrage beschäftigen, im Konkreten plausibiliert. So schafft es die Berliner Philosophin Rahel Jaeggi am Beispiel Kreuzbergs zu zeigen, warum die begriffliche Verengung des Eigentums auf Privateigentum zur Auflösung des gesellschaftlichen Zusammenhalts führen muss. »Wohnen«, so ihre These »ist, selbst wenn es im Privaten stattfindet, keine Privatangelegenheit, sondern eine öffentliche Angelegenheit.« Dies mag zunächst paradox anmuten. Was damit gemeint ist, wird jedoch deutlich, wenn wir uns die einfache Tatsache vor Augen führen, dass sich die Praxis des Wohnens nicht in dem erschöpft, was wir in den »eigenen« vier Wänden tun, sondern auch das nachbarschaftliche Zusammenleben betrifft: In welchem Viertel lebe ich, welche Arbeits-, Bildungs- und Vergnügungsmöglichkeiten gibt es hier usw.

Das Eigentum an Wohnraum, versteht man es wie in unserer Gesellschaft als Privateigentum zum Zwecke der Verwertung (vulgo: zur Vermietung), wird dadurch paradox, dass es diese gesellschaftliche Komponente zugleich negiert und ausbeutet. Einerseits rechtfertigen sich in der Marktlogik die horrenden Mietpreise in sogenannten Szenevierteln durch das gesellschaftliche Leben in diesen Vierteln, andererseits wird dieses durch die Kapitalisierung zerstört, indem sie einen Verdrängungsprozess ins Werk setzt. Rahel Jaeggi fasst dieses Paradoxon pointiert zusammen: Es stellt sich nicht nur die Frage, wem die Stadt gehört, sondern vor allem, wie sie wem gehört.

Dass dieses Paradoxon des bürgerlichen Eigentums in unserer Zeit in ganz materiellem Sinne globale Züge angenommen hat, zeigen die Texte, die sich mit der Frage nach »Ökologie und Eigentum« beschäftigen. Hier, etwa bei der Frage des menschengemachten Klimawandels, muss der Begriff, der auf die exklusiven Nutzungsrechte Einzelner abzielt, an seine Grenze stoßen. Es ist daher nur konsequent, dass ein erheblicher Teil des Klima-Aktivismus sich an Eigentumsfragen abarbeitet. Nicht nur theoretisch, sondern ganz praktisch durch Blockaden und Sabotage-Aktionen. Es gelingt den Autor*innen, diesen Zusammenhang zwischen dem gesellschaftlich vorherrschenden Eigentumsbegriff, den Konsequenzen für den Klimawandel und den Aktionsformen der Gegner herzustellen, ohne zu skandalisieren.

Was der Band also angekündigt hat, hält er auch: Eigentum zeigt sich hier als vielschichtiger, zuweilen paradoxer Begriff, der weit mehr zu leisten vermag als seine einseitige Verengung auf privates Sacheigentum. Es zeigt sich zudem als Begriff, dessen Verständnis nicht nur in der Wissenschaft, sondern vor allem in der Gesellschaft dringender Reform bedarf, wollen wir uns den Herausforderungen der allseits beschworenen »Polykrise« stellen. Ein erster Schritt zu dieser Reform ist sicherlich mit diesem tiefgründigen Debattenbeitrag aus dem Hause Suhrkamp getan.    

Niklas Angebauer/ Jacob Blumenfeld/ Tilo Wesche (Hg.): Umkämpftes Eigentum. Eine gesellschaftstheoretische Debatte. Suhrkamp, 703 S., br., 34 €.

Wohnen ist, selbst wenn es im Privaten stattfindet, keine Privatangelegenheit, sondern eine öffentliche Angelegenheit.

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