nd-aktuell.de / 11.09.2025 / Kultur

»Ich bin immer unter Strom«

Käthe Kruse über Die Tödliche Doris, ihr spätes Kunststudium und den Flow bei der Arbeit

Interview: Anita Wünschmann
Käthe Kruse – »Ich bin immer unter Strom«

Was hat es mit Ihrem Pseudonym auf sich?

Mein Name ist Elke Kruse aber seit der Kindheit riefen mich immer alle Käthe, also mit dem Namen der berühmten Puppenmacherin[1]. Ich hieß quasi gar nicht mehr anders. Da habe ich gesagt, dann soll es so sein.

Wenn man in Ihre Biografie schaut, dann steht das Schlagzeug am Beginn Ihrer Karriere. Sind Sie ein Energiebündel?

Oh ja! Ich wirke nach außen mitunter ganz ruhig, obwohl ich nicht mal auf einem Stuhl still sitzen kann. Ich bin immer unter Strom und das ist ganz toll, weil man mit der überschießenden Energie auch viel zustande kriegt. Aber es ist mitunter auch anstrengend für mich.

War das Schlagzeugspielen die richtige Wahl?

Ich hatte als Kind ein bisschen Blockflöte und später auch Gitarre spielen gelernt. Das hat mich aber beides nicht so interessiert. Das Schlagzeug war das passende Instrument für mich. Ich hatte immer so eine innere Wut in mir, die konnte da am besten heraus.

Wo kommt diese Wut her?

Mein Vater war Kriegskind, Schulabbruch nach der dritten Klasse, Ende des Lebensplans. Er hatte später mit viel Willenskraft etwas aus seinem Leben gemacht, war aber Alkoholiker und hat mich körperlich misshandelt. Das wurde einfach unter den Teppich gekehrt. Meine Mutter war krebskrank und ist früh gestorben. Meine Kindheit war ein einziger Widerspruch aus Angst, Überforderung, Selbstorganisation, behütet und geschlagen werden. Es gab auch viele tolle Sachen, aber eben auch diese körperliche Gewalt, die mein Vater, selbst als er eine große Firma geleitet hat, nicht ablegen konnte.

Sie sagten mir, Sie seien ein Kriegsenkel. Inwiefern spielt das eine Rolle?

Es geht um die Weitergabe von ungelösten Prozessen über Generationen hinweg. Meine Großeltern haben mich vor allem politisch geprägt. Besonders der eine Großvater. Er war im offenen Widerstand und wurde am 1. September 1939 verhaftet. Bis zum Kriegsende blieb er politischer Gefangener, der von seinem Bruder, einem in Hamburg tätigen NS-General, zumindest so weit geschützt wurde, dass er überleben konnte.

Ihre künstlerische Laufbahn ist verknüpft mit der Gruppe »Die Tödliche Doris«. Wie sind Sie zueinander gekommen?

Am 4. September 1981 hatte ich Die Tödliche Doris[2] auf dem Festival der Genialen Dilettanten zum ersten Mal gesehen. Der Rest war Zufall. Wolfgang Müller und Nikolaus Utermöhlen hatten mich an einem Heiligabend auf einer Bühne des SO36 als Feuerspuckerin gesehen und mich daraufhin zu einer ihrer Proben eingeladen. Ich hatte zu dem Zeitpunkt noch nicht Kunst studiert, aber spielte ja Schlagzeug. Wir arbeiteten schließlich sieben Jahre lang zusammen. Ende 1987 hatten wir uns aufgelöst, aber ein letztes Konzert fand noch 1988 in Tokio statt.

Was bedeutet der Name Die Tödliche Doris?

Den Namen hatten Wolfgang und Niki schon kreiert. Die haben gesagt, Doris sei der häufigste Mädchenname im Telefonbuch. Aber wenn man nur einen Buchstaben vertauscht, ergibt sich die »tödliche Dosis«.

Sie wollten damals dilettantisch entstandene Kunst emanzipieren?

Ja. Es war ein wichtiges Thema in den frühen Achtzigerjahren. Dilettantismus heißt ja, niemand hat mich vorher vorgeprägt. Ich bin selber in meine Spur gekommen, auch mit den möglichen Fehlern. Man konnte enorm schnell eine Schallplatte produzieren. Es genügte quasi schon, zwei Topfdeckel aneinanderzuschlagen. Das haben wir genutzt und daraus ist diese ganze Bewegung entstanden. Es hat natürlich auch mit Energie und Ideen zu tun.

Waren das die Nachwirkungen der Achtundsechziger? Oder waren die Achtzigerjahre noch mal ganz anders?

Die waren völlig anders. Wir haben uns ja auch sehr vom Hippietum oder auch vom Feminismus der Achtundsechziger distanziert. Wir wollten anders sexy sein. Wir waren super gestylt und geschminkt. Wir waren die Nutznießerinnen, weil die Achtundsechziger und die frühen Feministinnen schon seit fast 100 Jahren immer wieder gekämpft hatten.

Bleibt etwas von diesem Lebensgefühl?

Ich hoffe! Ich würde sagen, erst jetzt bin ich auch eine aktive Feministin. Jetzt muss man zusehen, dass all die ganzen Errungenschaften eines Jahrhunderts nicht auf dem Müllhaufen landen.

Trotz Dilettantismus: Ab 1990 haben Sie dann doch noch Kunst studiert.

Ja, genau. Ich war da längst keine Dilettantin mehr. Und Die Tödliche Doris war es zum Ende auch nicht mehr in dem ursprünglichen Sinn. Wir waren da bereits im Moma in New York, auf der Documenta 8 in Kassel, und im Musée d’Art Moderne in Paris.

Was kam für Sie mit dem Studium noch dazu?

Ich habe mich mit Anfang dreißig gefragt: Wer bin ich als Künstlerin, ohne die Band? Ich wollte mich noch einmal umschauen, dazulernen. Das Studium habe ich geliebt. Es hat natürlich mein Selbstbewusstsein gestärkt, als ich als Jahrgangsbeste das Diplom in der Tasche hatte. Da wusste ich, jetzt habe ich es geschafft. Jetzt bin ich Akademikerin.

Aber den Dilettantismus als Begriff halten Sie weiter hoch?

Ich halte den nicht hoch. Der wird mir jetzt von außen angeheftet. Es ging in der Berlinischen Galerie im Frühsommer um meine Retrospektive[3], da gehören die Erinnerungen an meine Anfänge mit der Tödlichen Doris mit dazu. Ich liebe die Arbeiten aus dieser Zeit, auch wenn es nicht immer einfach war, und ich möchte die Ideen der Gruppe mit in eine neue Zeit nehmen.

Wie politisch ist Ihre Kunst heute?

Ich bin ein politischer Mensch, aber ich mache keine Politkunst. Jeder soll sich Gedanken machen und jeder macht sich eben etwas andere. Ich hatte auch eine Arbeit über Abtreibung gemacht. Da hat mich am nächsten Tag eine ältere Dame angerufen und gesagt, wie sehr sie noch nach der Performance bewegt war. Wenn ich Leute erreiche und bewirke, dass sie meine Kunst beim Glas Sekt nicht schon wieder vergessen haben, ist die Arbeit richtig.

Wie würden Sie Ihren Schaffensprozess beschreiben?

Wenn ich mich für etwas entschieden habe, höre ich nicht auf. Ich bin dann im Flow und im Tunnel. Diese Konzentrationsfähigkeit ist für mich ein enormes Potenzial. Wenn ich eine Idee entwickle, die ich für richtig halte, dann sind mir alle Anstrengungen egal.

Wann wissen Sie, bezogen auf Ihr serielles Arbeiten, wann genug ist? Braucht man dreißig Blätter, genügen zehn?

Nehmen wir hier diese Näharbeit auf Papier, die verfolge ich schon mehrere Jahre und habe immer noch nicht das Gefühl, dass es reicht. Ich komme aus einer Schneider-Familie. Da hatte ich nebenbei viel über Qualität von Stoffen und Kleidung gelernt. Das bearbeite ich jetzt.

... mit monochromen linearen Nähten auf Papier. War das ein Auftrag?

Gewissermaßen, ja. Das 100-jährige Bauhaus-Jubiläum war der Anlass. Der Galerist Matthias Seidel bat mich, etwas dazu zu machen. Es sollte aber unbedingt eine Papierarbeit sein. Da habe ich gesagt, einverstanden, aber ich nähe, denn ursprünglich wollte ich Teppiche knüpfen. Er war dann ganz begeistert und ich selber auch.

Was hat es mit der Arbeit der »366 Tage« auf sich?

366 Tage lang habe ich Überschriften aus Tageszeitungen gesammelt. Ich wollte ein Jahr lang die Entwicklung des Rechtsrucks, der sich ja immer mehr in unsere Gesellschaft einschleicht, beobachten. Die Arbeit, es sind Fotodrucke, zog sich durch Auslandsaufenthalte hin und wurde schließlich in einem Schaltjahr beendet. So kam ich auf die 366 Tage als Maß.

Was genau haben Sie analysiert?

Ich wollte an einem signifikanten Bereich untersuchen, woran sich der Wechsel von einer Demokratie in Richtung Faschismus zeigt. Wie funktioniert das eigentlich? Zehn Jahre später, jetzt also, sehe ich ja überall, wie es funktioniert. Am eigenen Leib hatte ich zuvor das, wovor mein Großvater warnte, nie erfahren. Die Verrohung der Sprache im öffentlichen Raum ist nur ein Anfang.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1094183.kaethe-kruse.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193434.nachruf-alfred-hilsberg-eine-etwas-andere-musik.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191335.retrospektive-aufgeputschte-kontemplation.html