nd-aktuell.de / 11.09.2025 / Berlin

A100 in Berlin: Simulierte Ordnung, reales Chaos

Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) will eine Spur der neuen A100-Teilstrecke schließen, um den Verkehr in Treptow zu beruhigen

Lola Zeller
Unfreiwillige Slalomfahrt: Auf der Elsenstraße in Treptow können sich Fahrradfahrer*innen nicht auf die Einhaltung von Verkehrsregeln verlassen.
Unfreiwillige Slalomfahrt: Auf der Elsenstraße in Treptow können sich Fahrradfahrer*innen nicht auf die Einhaltung von Verkehrsregeln verlassen.

Noch ist die Situation halbwegs überschaubar: Um 7.30 Uhr am Mittwochmorgen biegen dreispurig Autofahrer*innen von der A100 kommend auf die Elsenstraße in Richtung Norden ein. Zwar staut sich der Verkehr bereits vor der Ampel, aber im Gegensatz zur Situation, die sich eine Stunde später ergeben wird, halten sich die Autos immerhin noch an die Lichtsignale und Fußgänger-Überquerungen. Spätestens ab 08.30 Uhr sieht das anders aus.

Radfahrende müssen schon um diese frühe Uhrzeit dem einen oder anderen Auto ausweichen, das auf den Radweg ragt, während es auf der Elsenstraße nicht vorwärtsgeht. Im Laufe des Morgens werden auch diese Ausweichmanöver immer gefährlicher. An der Kreuzung sind Polizist*innen positioniert, um die Sicherheit von Kindern auf dem Weg zur Schule herzustellen. Seit der Eröffnung des 16. Bauabschnitts der A100[1] zwischen Grenzallee und Treptower Park vor zwei Wochen versinkt die Kreuzung zwischen Autobahnausfahrt und Elsenbrücke im Chaos.

»Der Verkehr hat sich jetzt anders verhalten, als die Simulation tatsächlich hergegeben hat«, sagt Berlins Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) zur Situation in Treptow. In den Prognosen[2] habe man angenommen, der Verkehr verhalte sich »gewöhnlich« und »regelkonform« – dem kommen die Berliner Autofahrer*innen[3] anscheinend nicht nach. Der Senat steuere nun nach, so Bonde. Am Mittwoch wurde sie im Verkehrsausschuss des Abgeordnetenhauses dazu befragt.

Gegen das Chaos sollen einige Ad-hoc-Maßnahmen helfen: Der Verkehr von der A100[4] soll »durch Herausnahme einer Abbiegespur weiter gedrosselt werden«, sodass statt drei Spuren nur zwei in der Elsenstraße ankommen, sagt Bonde. »Zudem soll zwischen Am Treptower Park und Puschkinallee der kurze temporäre Bus-Sonderstreifen über die gesamte Länge angeordnet werden.«

Den Oppositionsfraktionen der Grünen und Linken reicht das nicht aus. Sie fordern eine temporäre Schließung des gerade erst eröffneten Autobahnabschnitts – zumindest, bis die Elsenbrücke wieder sechsspurig befahren werden kann. Die Bauarbeiten an der Brücke dauern aber noch bis zum Ende des Jahres. Einer von drei Anträgen der Fraktionen zur A100 wurde am Donnerstag im Abgeordnetenhaus diskutiert und an die Ausschüsse weitergegeben, die anderen beiden gegen die Stimmen von Grünen und Linken abgelehnt.

Der SPD-Abgeordnete Tino Schopf kritisierte zwar Verkehrssenatorin Bonde und die Situation in Treptow scharf. »Das ist kein guter Start und keine verantwortungsvolle Verkehrsplanung«, sagt er. Wenn die von Bonde angekündigten Maßnahmen nicht greifen, dann müsse auch eine temporäre Sperrung oder Sperrungen zu Stoßzeiten des neuen Bauabschnitts in Betracht gezogen werden. Schopf verkündete aber dennoch, die SPD-Fraktion werde nicht anders als die Abgeordneten des Koalitionspartners CDU abstimmen. Die neue Autobahn direkt wieder dichtmachen, weil nichts funktioniert – davon will auch Verkehrssenatorin Bonde nichts wissen. In den vergangenen zwei Wochen kam es bereits zu vorübergehenden Schließungen des Abschnitts, weil der Rückstau auf der A100 zu einem Sicherheitsrisiko auf der Autobahn wurde. Die Busse der Linie M43 steckten auf der Elsenstraße so nachhaltig fest, dass die BVG die Linie sogar zwischenzeitlich unterbrechen musste. Busfahrende waren gezwungen, zu Fuß oder mit der S-Bahn auf die andere Seite der Spree zu kommen.

»Der ÖPNV wird gegenüber dem KfZ-Verkehr benachteiligt, das ist inakzeptabel«, sagte am Mittwochmorgen Annika Gerold (Grüne), Bezirksstadträtin von Friedrichshain-Kreuzberg. Zusammen mit ihrer Treptow-Köpenicker Amts- und Parteikollegin Claudia Leistner begutachtete sie die Verkehrslage an der Kreuzung Elsenstraße/Am Treptower Park, auf der die Autobahn-Fahrer*innen auf die Elsenstraße fahren.

Immer wieder haben die beiden Bezirke vor der Eröffnung darauf aufmerksam gemacht, dass es bei einer Eröffnung des 16. Bauabschnitts vor der Fertigstellung der Elsenbrücke zu einem großen Verkehrschaos kommen wird. »Die Situation in den letzten zwei Wochen war noch schlimmer als befürchtet«, so Claudia Leistner am Mittwoch. Das macht die Verkehrslage im Bezirk zu gefährlich für den Rad- und Fußverkehr, um sie bestehen zu lassen, deshalb fordert auch Leistner die temporäre Schließung des 16. Bauabschnitts. Annika Gerold bezweifelt sogar, dass eine funktionstüchtige sechsspurige Elsenbrücke die aktuellen Probleme lösen kann, denn die Verkehrsknotenpunkte um die Brücke herum seien nicht leistungsfähig genug, um die Massen an Autos aufzunehmen.

»Das Chaos am 16. Bauabschnitt löse ich nicht mit einem noch größeren Chaos am 17. Bauabschnitt.«

Antje Kapek (Grüne)
Verkehrspolitische Sprecherin

Außerdem soll im Dezember dieses Jahres nur eine Hälfte der neuen Brücke fertig sein und die anderen drei Spuren weiterhin durch die aktuell genutzte Behelfsbrücke zur Verfügung gestellt werden. Perspektivisch müsste aber die Behelfsbrücke durch einen weiteren Neubau ersetzt werden. Dann würde die jetzige Überlastung der Straßen erneut zwei Jahre lang eintreten, befürchten die Grünen.

Bei all den Problemen mit dem gerade eröffneten 16. Bauabschnitt streiten sich die Parteien bereits intensiv auch über einen etwaigen 17. Bauabschnitt der A100. Dieser ist zwar in der Verkehrsplanung des Bundes vorgesehen, wird aber in Berlin schon seit Jahren kontrovers diskutiert. Denn für die Autobahn-Teilstrecke durch Friedrichshain müssten zahlreiche Kultureinrichtungen plattgemacht werden. Linke und Grüne prognostizieren außerdem, dass bei einer Eröffnung des 17. Abschnitts eine ähnliche Situation wie die jetzige droht.

»Das Chaos am 16. Bauabschnitt löse ich nicht mit einem noch größeren Chaos am 17. Bauabschnitt«, sagt die Grünen-Abgeordnete Antje Kapek dazu im Abgeordnetenhaus. Statt »Verlängerungsfantasien« nachzugehen solle der Senat das »selbst verursachte Chaos im Berliner Osten« aufräumen, so Kapek. Auch Kristian Ronneburg (Linke) sprach sich am Donnerstag gegen den 17. Bauabschnitt aus. »Der Weiterbau der A100 ist ein Symbol für die Verkehrspolitik von gestern«, so Kristian Ronneburg (Linke) im Abgeordnetenhaus. »Es ist ein Skandal, dass der Regierende und die CDU tatsächlich wollen, dass noch weitere Milliarden in den Weiterbau der teuersten Autobahn Deutschlands fließen sollen, während das Geld dringend für die Stärkung von Bus-, Bahn- und Radinfrastruktur gebraucht wird.«

Die CDU hält am 17. Bauabschnitt fest. Am Donnerstag argumentierte der Abgeordnete Johannes Kraft, dass das hohe Verkehrsaufkommen auf der A100 zeige, wie dringend es den nächsten Abschnitt brauche. Einig ist sich Schwarz-Rot in dieser Frage allerdings nicht: Tino Schopf (SPD) hält eine Verlängerung der A100 für nicht sinnvoll und verwies im Abgeordnetenhaus auf einen SPD-Beschluss, der sich gegen den Bau des 17. Abschnitts richtet.

Gegen die Eröffnung des 16. und den Bau des 17. Abschnitts der A100 protestieren seit Jahren viele zivilgesellschaftliche Organisationen. Auch kurz nach der Eröffnung des 16. Abschnitts stießen Demonstrierende an der Elsenstraße auf entnervte Autofahrer*innen. »Vergangenen Freitag haben wir uns mit mehreren hundert Menschen erfolgreich die Straße zurückgeholt! Wir haben getan, was selbstverständlich sein sollte: Wir haben bei Grün die Fuß-Überwege genutzt«, heißt es in einer Erklärung. An diesem Freitag ist eine weitere Aktion geplant: Um 17.30 Uhr will man sich an der Kreuzung Elsenstraße/Am Treptower Park treffen, um sich für eine bessere Situation für Rad-, Bus- und Fußverkehr und für die Umwandlung der A100 in eine Fahrradstraße einzusetzen.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193982.verkehrspolitik-a-in-berlin-verkehrspolitik-fuer-porschefahrer.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193735.sperrungen-a-in-berlin-nach-eroeffnung-prognostizierte-staus.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193882.berliner-senat-ideologiefrei-geht-berlin-zugrunde.html
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193467.autoverkehr-ausbau-der-a-in-berlin-klimaautobahn-n-voelliger-unfug.html