nd-aktuell.de / 11.09.2025 / Politik

Zerstören und Entvölkern

Der Angriff auf Katar und die geplante Einnahme von Gaza-Stadt sind der Höhepunkt eines Krieges ohne Ausweg

Cyrus Salimi-Asl
Palästinenser suchen Schutz während eines israelischen Luftangriffs auf ein Hochhaus in Gaza-Stadt.
Palästinenser suchen Schutz während eines israelischen Luftangriffs auf ein Hochhaus in Gaza-Stadt.

Kuwait, Jemen, Syrien, Libanon, Iran, Palästina: Immer länger wird die Reihe der Länder, die in den vergangenen Monaten von der israelischen Armee angegriffen worden sind. Die Regierung von Premierminister Benjamin Netanjahu schafft selbst ein feindliches regionales Umfeld, das die Erzählung füttert, Israel sei von Feinden umgeben und in seiner Existenz bedroht. So unterminieren die mittlerweile routinehaft geflogenen Luftangriffe gegen Einrichtungen des syrischen Staates die Stabilität eines Nachbarlandes, das seinen Weg des Wiederaufbaus noch sucht. Gute nachbarschaftliche Beziehungen kann man da nicht erwarten.

Der Luftangriff auf die Hamas-Spitze in der katarischen Hauptstadt Doha ist aus Sicht eines Beobachters ein Eigentor für die israelische Außenpolitik[1], spielt das Emirat doch eine Schlüsselrolle als Vermittler in den Verhandlungen über eine Waffenruhe und die Befreiung der Geiseln in Händen der Hamas. Von Tel Aviv aus betrachtet und mit den Augen der Regierungsverantwortlichen war der fehlgeschlagene Tötungsversuch folgerichtig, wenn das Kriegsziel lautet: Vernichtung der Hamas. Kompromisse will Netanjahu keine eingehen[2], auch nicht um die letzten Geiseln zu befreien. Er will allein die Bedingungen diktieren, unter denen es zu einer Feuerpause kommen könnte.

Der genozidale Krieg im Gazastreifen hat mittlerweile über 64 000 Menschen das Leben gekostet und nach Angaben des arabischen Nachrichtenkanals Al-Jazeera sind seit dem 7. Oktober 2023 mindestens 404 Menschen (darunter 101 Kinder) an Hunger gestorben. Das zeigt, wie rücksichtslos die israelische Armee diesen Krieg führt[3]. Was Netanjahu im Schilde führt, lässt sich Andeutungen entnehmen, die er bei der Grundsteinlegung einer auf »Donald Trump« getauften Strandpromenade südlich von Tel Aviv geäußert hat. Der US-Präsident habe mehrmals mit ihm über »Anlagewerte am Meer gesprochen«, sagte Netanjahu nach Angaben seines Büros. »Er sagte mir, dass wir hier wunderbare Strandgrundstücke haben«, erzählte der Regierungschef. Trump habe dabei allerdings über einen Ort gesprochen, »der etwas südlich von hier liegt – in Gaza«.

Der Gazastreifen als Touristendestination[4] – ohne Palästinenser, versteht sich. Die israelische Armee bereitet die Entscheidungsschlacht vor, um die palästinensische Hamas-Miliz vernichtend zu schlagen. Als Schlachtfeld haben die Militärs Gaza-Stadt gewählt, die größte Stadt im Gazastreifen mit rund einer Million Einwohnern. Die sollen jetzt ganz schnell verschwinden, irgendwohin fliehen, wo es sicher ist.

Aber Sicherheit für das Leben gibt es im Gazastreifen nicht mehr, die von Israel deklarierten »humanitären Schutzzonen« sind Mausefallen: Auf engstem Raum müssen die Menschen dort zusammenhausen und die Armee greift trotzdem regelmäßig an. Das gilt auch für Al-Mawasi, einer von Binnenvertriebenen bevölkerten Zeltstadt an der Küste im Südwesen des Gazastreifens, praktisch an der ägyptischen Grenze. Dorthin sollen die Menschen fliehen, so die Ansage des israelischen Militärs. Für Amnesty International ist der am Dienstagmorgen vom israelischen Militär erlassene Evakuierungsbefehl[5] daher »grausam, rechtswidrig und verschärft die völkermörderischen Lebensbedingungen, denen Israel die Palästinenser aussetzt, noch weiter«, sagte Heba Morayef, Regionaldirektorin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International.

Evakuation als Zwangsumsiedlung

Jacqui Corcoran, Leiterin Medien und Kommunikation bei der NGO Oxfam in Jerusalem, sieht das ähnlich. Nach internationalem Recht müssten Evakuierte in sicheren Gebieten mit angemessenen Unterkünften und Versorgung unterkommen und nach Beendigung der Kämpfe zurückkehren dürfen. »Aber die von Israel ausgewiesenen Gebiete sind bereits überfüllt und bieten weder Sicherheit noch die Deckung grundlegender Bedürfnisse. Und es gibt keine Garantie, dass die Menschen zurückkehren können«, sagte sie bei einem Pressebriefing. Die Anordnung komme also einer Zwangsumsiedlung gleich. »Ein schwerwiegender Verstoß gegen das Völkerrecht.« Mahmud Al-Saqqa, Koordinator für Ernährungssicherheit und Lebensgrundlagen bei Oxfam, arbeitet in Gaza-Stadt und spricht von einem »Albtraum, in dem die Menschen seit zwei Jahren leben«. Nach der offiziellen Feststellung vom 22. August, dass im Gazastreifen eine Hungersnot herrscht[6], die bereits über eine halbe Million Menschen betrifft, seien 126 Personen verhungert, so Al-Saqqa. Die mit humanitärer Hilfe befassten internationalen NGOs berichten übereinstimmend, dass die von den israelischen Behörden verhängten Restriktionen es ihnen unmöglich mache, Hilfsgüter in den Gazastreifen zu bekommen und Essen zu verteilen. Und jetzt sollen diese erschöpften Menschen zum wiederholten Male fliehen, um ihr Leben zu retten.

»Die Menschen sind am Ende und haben auch kein Geld, um sich die Lebensmittel, die auf den lokalen Märkten angeboten werden, zu leisten«, berichtet Al-Saqqa. Nach seinen Angaben würden durch die Vertreibung der Palästinenser[7] in den Süden die rund zwei Millionen Einwohner des Gazastreifens auf einer Fläche von nur 13 Prozent des Territoriums zusammengepfercht. All das sei »Teil des Genozids, den Israel im Gazastreifen verübt«.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193958.gaza-krieg-israel-erneuert-fluchtaufruf.html?sstr=gaza
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193956.israel-faust-statt-recht.html?sstr=gaza
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193197.gaza-krieg-apocalypse-now-in-nahost.html?
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193375.nahost-konflikt-gaza-krieg-ein-historischer-wendepunkt.html?
  5. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193928.gaza-stadt-netanjahu-verschwinden-sie.html?
  6. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193601.israel-eskaliert-seine-offensive-hungerkatastrophe-in-gaza-n-zeit-fuer-sanktionen.html?
  7. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193198.gaza-krieg-volle-kontrolle-ueber-gaza.html?sstr=westjordanland