nd-aktuell.de / 12.09.2025 / Sport

Verena Volkmer: »Die Bundesliga verliert den Anschluss«

Österreichs Fußballerin des Jahres Verena Volkmer über den Fußball der Frauen und die Doppelbelastung als Studentin und Profi

Interview: Johann Caspar Nilius
Ihren Gegnerinnen enteilt: Verena Volkmer war in Österreich die beste Spielerin des Jahres.
Ihren Gegnerinnen enteilt: Verena Volkmer war in Österreich die beste Spielerin des Jahres.

Verena Volkmer, Sie haben in der Bundesliga[1] für Werder Bremen und Carl Zeiss Jena und dann in Österreich für Austria Wien gespielt. Was erwarten Sie von der neuen Spielzeit[2]?

Ich hoffe auf eine spannende[3] Saison und dass der Abstand zwischen den Teams ganz oben in der Tabelle und denen, die gegen den Abstieg kämpfen, nicht ganz so groß wird wie zuletzt. Diese Art Zweiklassengesellschaft[4] ist für niemanden schön. Vorne hat Leverkusen[5] zuletzt gute Schritte gemacht und ich könnte mir vorstellen, dass RB Leipzig, Union Berlin[6] und auch Werder Bremen bald den Anschluss nach oben finden.

Viele hoffen, dass sich die EM-Euphorie[7] auch auf die Bundesliga überträgt. Was denken Sie dazu?

Am Ende werden es die Zuschauerzahlen verraten. Nach der EM 2021 war die Euphorie[8] auch sehr groß, da gab es den erwünschten Effekt[9] nicht. Aber: Ich habe das Gefühl, dass medial jetzt viel mehr gemacht wird. Es ist leichter, neue Fans für den Fußball der Frauen zu gewinnen, wenn sie wissen, dass er überhaupt stattfindet.

Wie nehmen Sie die Entwicklung im Fußball der Frauen im Allgemeinen wahr?

Insgesamt hat sich in den letzten zehn bis zwölf Jahren schon viel getan: Früher konnte keine Frau davon leben, viele wussten gar nicht, dass es uns gibt – in der vergangenen Saison war das Pokalspiel von Werder beim HSV im Volksparkstadion mit 57 000 Plätzen ausverkauft. Trotzdem gibt es noch viel Nachholbedarf bei der Gleichstellung[10] in den Vereinen, gerade wenn die Männer auch Bundesliga spielen.

Inwiefern?

Es gibt oft Unterschiede in der Ausstattung, den Trainingszeiten – oder Plätzen. Es gibt aber auch Vereine, die sich bemühen, gleiche Bedingungen für Männer und Frauen zu schaffen – weil einfach nichts dagegen spricht. Bei Union Berlin sind sie mit diesem Konzept aktuell sehr erfolgreich.

Was können Vereine noch unternehmen?

Ich glaube, es wäre sinnvoll, so oft wie möglich in den großen Stadien zu spielen. Dass die Vereine nicht erst warten, bis eine gewisse Zuschauerzahl erreicht ist, sondern direkt sagen: »Wir spielen dort und schauen dann, wie viele kommen.«

Warum würde das klappen?

Ein Stadion bietet ein ganz anderes Gefühl, nicht nur für die Spielerinnen und Spieler, sondern auch für die Zuschauer. Ich glaube, dass viele vielleicht gerade deshalb zu einem Spiel kommen, weil es im Stadion stattfindet. Deswegen muss man diese Möglichkeit schaffen. Das findet schon immer öfter statt und zeigt Wirkung. Das schafft auch wieder Sichtbarkeit.

Bei Spielen in Stadien vor großem Publikum herrscht häufig eine andere Stimmung als sonst bei Spielen der Frauen – wie sehen Sie das?

Man kann sich eben leider nicht nur das Positive herauspicken. Natürlich wäre der Idealfall eine gute, familiäre Atmosphäre ohne Hass, Rassismus oder Diskriminierung – bei Männern wie bei Frauen. Aber sobald mehr Zuschauer da sind, verändert sich die Stimmung automatisch. Dieser familiäre Spieltags-Ausflug geht vielleicht verloren. Solange die Atmosphäre insgesamt gut bleibt, ist es trotzdem wichtig, dass sich die Bühne vergrößert.

Mit Jule Brand und Sidney Lohmann sind zwei deutsche Nationalspielerinnen ins Ausland gewechselt – warum verlassen die besten Spielerinnen die Liga?

Die Bundesliga verliert so ein bisschen den Anschluss, vor allem an England und die USA. Klar wünscht man sich, dass die Nationalspielerinnen in der eigenen Liga spielen, weil die Bundesliga lange eine der besten war. Aber andere Ligen haben die Bundesliga überholt.

Andersherum kommen die besten Spielerinnen aus Österreich regelmäßig nach Deutschland. Der HSV hat gleich acht Spielerinnen und die Trainerin aus St. Pölten geholt – was halten Sie davon?

Ich bin sehr gespannt darauf, weil ich glaube, dass die Liga in Österreich ein bisschen unterschätzt wird. Die Bedingungen sind dort sehr gut, das Niveau hoch. Viele Spielerinnen, die den Schritt nach Deutschland gegangen sind, haben sich auch hier durchgesetzt. Ich bin mir sicher, dass gerade die Spielerinnen, die jetzt zum HSV gekommen sind, ihre Qualitäten zeigen werden.

Sie selbst wurden in der abgelaufenen Saison Torschützenkönigin und zur Spielerin des Jahres ernannt – trotzdem haben Sie im Sommer mit 29 Jahren eher früh Ihre Karriere beendet. Warum?

Na ja, ich habe ja auch schon sehr früh angefangen: Ich bin mit 15 von zu Hause weg ins Internat gezogen und habe bis jetzt gespielt. Das ist schon eine lange Zeit, in der ich auch viel verpasst habe. Das habe ich lange in Kauf genommen und fast alles erreicht, wovon ich als Kind geträumt habe. Jetzt war der Punkt erreicht, an dem es mir das nicht mehr wert ist.

Jetzt arbeiten Sie als Juristin in Bremen. Gefällt Ihnen Ihr neues Leben?

Ich habe die Entscheidung nicht von heute auf morgen getroffen, sondern lange darüber nachgedacht und hatte eine gute Vorstellung davon, wie es sein würde. Alles ist natürlich anders, aber bisher bestätigt sich, dass es die richtige Wahl war: der Job, der Alltag mit meiner Freundin und die Zeit mit meiner Familie.

Wie ist es Ihnen gelungen, neben der Karriere auch noch das Studium zu bewältigen?

Beides war nur möglich, weil ich es unbedingt wollte. Es braucht schon viel Ehrgeiz, Disziplin und Zeitmanagement, wenn um 8 Uhr Training ist, du danach Uni hast und abends wieder zum Training musst. Aber andere haben nebenbei noch gearbeitet, es ging damals ja noch nicht so professionell zu. Wir haben wenig verdient und konnten keine Rücklagen bilden. Deswegen war klar, dass man einen Plan B braucht. Aber für mich hatte es auch Positives.

Was denn?

Beides war ein Ausgleich für das jeweils andere. Der Fußball hat mir geholfen, vom Klausurenstress abzuschalten und die Uni hat mich abgelenkt, wenn es sportlich mal nicht so lief.

Was wäre ohne die Doppelbelastung fußballerisch für Sie möglich gewesen?

Das weiß ich nicht. Aber in den drei Jahren, die ich nach dem Examen bei der Austria hatte, lief es sportlich ziemlich gut. Trotzdem ist es komplex, denn da spielen ja auch andere Faktoren mit: Ich hatte mehr Erfahrung und spielte in einer anderen Liga.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193989.fc-union-berlin-klotzen-und-grosskotzen-unions-fussballerinnen-und-ihr-praesident.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193790.fussball-anpfiff-fuer-die-bundesliga-der-frauen-n-mit-einem-rekordspiel.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193632.fussball-heiliger-ernst-oder-die-wundersame-identifikation-von-fussballfans.html
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193547.ballhaus-ost-bundesliga-in-der-vorhoelle-des-kapitalismus.html
  5. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193680.fussball-lena-oberdorf-feiert-comeback-mit-supercup-sieg.html?sstr=leverkusen
  6. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193496.bundesliga-der-fc-union-startet-gegen-die-stresstester-vom-vfb-stuttgart.html
  7. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192816.em-bilanz-ein-schweizer-sommermaerchen.html
  8. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192482.public-viewing-in-berlin-kreuzberg-guckt-em-fussball.html
  9. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192682.interview-mit-kathrin-laengert-respekt-vor-frauen-fehlt.html
  10. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192981.diversitaet-im-fussball-fussball-kann-mehr-kaum-platz-fuer-frauen-im-profifussball.html?sstr=werder bremen