Die Herausforderungen im Schulbereich[1] sind überall groß. Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt wollen sich in Schul- und Bildungsfragen deshalb stärker austauschen. Die Probleme, gerade angesichts der demografischen Entwicklung[2], seien ähnlich, sagte Thüringens Bildungsminister Christian Tischner (CDU) der Deutschen Presse-Agentur am Montag in Erfurt. In Thüringens Landeshauptstadt ist deshalb ein Treffen der Bildungsminister der drei Bundesländer geplant. »Die großen Themen, die uns bei diesem Treffen bewegen, sind Unterrichtsversorgung und Schulqualität«, sagte Tischner.
Die drei Länder haben seit Jahren mit Lehrermangel[3] und Unterrichtsausfall zu kämpfen. Zugleich gehen ihnen gerade die Kindergartenkinder aus. Und das dürfte in zwei bis drei Jahren zunächst an den Grundschulen mindestens zu einer Entspannung der Personallage führen, vielleicht sogar zu einem »Überschuss« an Lehrkräften.
Bereits Anfang des Jahres hat es nach Angaben von Tischner ein Treffen der drei Bildungsminister in Sachsen-Anhalt gegeben, kommendes Jahr wollen sie sich in Sachsen treffen. Der Austausch soll laut Tischner auch dazu dienen, Erfahrungen zu teilen – etwa mit Zulagen für angehende Lehrer oder mit Weiterbildungen und der Digitalisierung.
Wie vielschichtig die Probleme sind, schilderten kürzlich Peter Oehmichen, Sprecher der Landeselternvertretung (LEV) Thüringens, und LEV-Pressereferentin Claudia Koch. Die Erwartungen an die Lehrkräfte seien sehr gestiegen, sagen sie. Gleichzeitig unterrichten so viele Seiteneinsteiger wie noch nie. Wie alle anderen Bundesländer stellt Thüringen seit Längerem so ziemlich jede Person ein, die sich zutraut, Kinder und Jugendliche zu unterrichten. Koch berichtet, der Vorgänger des amtierenden Bildungsministers, Helmut Holter (Linke), habe ihr einmal gesagt, er könne es sich nicht leisten, auch nur eine potenzielle Lehrkraft nicht einzustellen.
»Die großen Themen, die uns bewegen, sind Unterrichtsversorgung und Schulqualität.«
Christian Tischner Bildungsminister in Thüringen
Das Erfurter Bildungsministerium behauptet dennoch, es sei trotz des Personalmangels immer »nach dem Prinzip von Eignung, Leistung und Befähigung auf Grundlage der vorliegenden Bewerbungen« eingestellt worden. »Niemand, der nicht geeignet ist, steht bei uns vor einer Klasse«, sagt ein Sprecher. Dazu dienten auch der Vorbereitungsdienst und eine Berufseingangsphase, in der junge Pädagogen eng durch erfahrene Kollegen begleitet würden.
Gleichwohl gebe es regionale Unterschiede bei der Bewerberlage, die sich auch darauf auswirken, wie leistungsstark die Neuen seien, räumt der Sprecher ein. »Es kann deshalb durchaus sein, dass an einer Schule unter mehreren formal sehr guten Bewerbern der am besten Geeignete ausgewählt wird, während an einer anderen Schule ein Kandidat mit schwächeren Noten genommen wird, wenn es dort nur wenige Bewerbungen gibt.«
Demnächst könnte sich diese für angehende Lehrkräfte sehr günstige Situation wegen des aktuellen Geburtenknicks aber ändern. Denn damit wird sich zunächst an den Grundschulen der Personalbedarf verringern. Vor diesem Hintergrund fürchtet längst nicht nur der LEV, dass es dann – wieder – zu viele Lehrer geben wird. So glaubt der Landrat des Kreises Hildburghausen, Sven Gregor (Freie Wähler), »dass wir nach 2030 wieder zu viele Lehrer haben«.
Doch das Bildungsministerium beschwichtigt. »Der Bedarf an Unterrichtsstunden in Thüringen wird auf Grundlage eines etablierten Berechnungsverfahrens ermittelt«, erklärt der Sprecher. Dabei würden Schülerzahlen, Stundentafeln, Klassengrößen, personalrechtliche Faktoren und für die nächsten zehn Jahre zudem die Daten des Landesamtes für Statistik zur Bevölkerungsentwicklung berücksichtigt. Im Ergebnis der aktuellen Prognose brauchten die staatlichen Schulen im Land innerhalb der nächsten zehn Jahre jährlich etwa 700 neue Vollzeitkräfte.
Über die nächsten zehn Jahre hinaus werde es allerdings viel schwieriger mit der Projektion des künftigen Personalbedarfs, räumt auch der Sprecher ein. Was zu viel Personal bedeutet, hat Thüringen schon in den 90ern und Nullerjahren erfahren. Damals gab es wegen der nach der Wende dramatisch gesunkenen Geburtenzahlen plötzlich zu viele Lehrer, die der Freistaat aber nicht entlassen konnte. Über viele Jahre konnten auch deshalb kaum Nachwuchskräfte eingestellt werden, sodass in Thüringen ausgebildete Lehrer in andere Bundesländer abwanderten. Viele derer, die damals schon »im System« waren, gehen nun innerhalb kürzester Zeit in Pension oder Rente und sorgen deshalb für den derzeit sehr akuten und großen Bedarf an neuen Lehrkräften.
Die für Thüringen insgesamt schlechten Bevölkerungsprognosen sind seit Langem bekannt. Der jüngste Geburtenknick hat die verantwortlichen Landespolitiker trotzdem ebenso kalt erwischt wie die Verantwortlichen in vielen Kommunen. Von einer »sehr unangenehmen Überraschung« sprach erst vor wenigen Tagen der SPD-Bildungspolitiker Matthias Hey.
Claudia Koch von der Landeselternvertretung ist gleichwohl überzeugt, dass das Bildungssystem »viel aufnahmefähiger ist, als wir uns das gerade vorstellen können – wenn wir es verändern und flexibler machen«. Die Veränderungsbereitschaft, sagen sie und Oehmichen, sei aber längst noch nicht ausreichend da. Notwendig sei es, »ein Ausweichsystem« zu schaffen, in das Lehrkräfte geschickt werden könnten, wenn sich demnächst abzeichnen sollte, dass doch über den Bedarf hinaus eingestellt worden sei. Statt vor Schülern in regulären Klassen zu stehen, könnten Lehrkräfte dann viel stärker für die Förderung schwächerer und besonders begabter Kinder eingesetzt werden, schlagen die LEV-Vertreter vor. Auch könnten sie Aufgaben außerhalb von staatlichen Schulen übernehmen.
Für diesen Ansatz gibt es allerdings ein großes Hindernis: Thüringen hat im großen Stil Lehrkräfte verbeamtet – auch als Anreiz, um überhaupt noch Nachwuchs zu bekommen. Und Beamte können nur sehr eingeschränkt verpflichtet werden, ihren Arbeitsort zu wechseln oder andere Aufgaben zu übernehmen, schon gar nicht für weniger Geld oder mit weniger Arbeitsstunden. Schon in den 90ern und 2000ern scheiterte das Vorhaben, Lehrer verpflichtend zu Teilzeitbeamten zu machen, nach Klagen von Pädagogen dagegen.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194053.lehrermangel-bildungspolitik-akute-schulprobleme-ost.html