nd-aktuell.de / 16.09.2025 / Kommentare

Kürzung bei der Rente: Der Muff von vier Jahrzehnten

Nicole Mayer-Ahuja macht Vorschläge, um die Finanzkrise bei der Rente zu lösen

Nicole Mayer-Ahuja
Sozialabbau unter Friedrich Merz – Kürzung bei der Rente: Der Muff von vier Jahrzehnten

»Deutsche klammern sich an den Sozialstaat«, titelte »Focus«-Online vor kurzem. Zwar stimmte eine Mehrheit der von dem Magazin Befragten Friedrich Merz zu (»Wir können uns dieses System, das wir heute so haben, einfach nicht mehr leisten«[1]). Besonders bei Rente und Krankenversicherung gehe die »Bereitschaft zu Reformen« jedoch »gegen null«: »Selbst die jüngeren Generationen sperren sich gegen Veränderungen, obwohl sie wissen, dass ihre Einzahlungen kaum für eine sichere Altersversorgung reichen«.

Das ist erstaunlich – behaupten Regierungen doch seit Helmut Kohl, es sei unzumutbar, dass junge Menschen für horrende Altersbezüge aufkommen müssen. Auch Wolfgang Streeck und Rolf Heinze, damals Berater der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder, behaupteten, »die abnehmende Bereitschaft der Jungen, für die vorgezogene Mallorca-Verschickung der Älteren finanziell aufzukommen«, verlange »nach einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit«. Dies umso mehr, als »ältere Menschen sich immer weniger aus dem Erwerbsleben wegsperren lassen werden, auch angesichts unvermeidlich sinkender Renten«.

Was lernen wir daraus? Erstens: Die schwarz-rote Koalition bringt keinen frischen Wind, sondern ventiliert den Muff von vier Jahrzehnten, indem sie Jung und Alt beim Thema Rente gegeneinander auszuspielen sucht – allen Sonntagsreden über »gesellschaftlichen Zusammenhalt« zum Trotz.

Zweitens: Der altbekannte Ruf nach Rentensenkungen wird wieder lauter – und zwar, obwohl von »Dolce Vita« im Alter keine Rede sein kann. Aktuell liegt die Standardrente (nach 45 Jahren Vollzeitarbeit) knapp über 1500 Euro (vor Steuern). Faktisch beziehen Männer im Schnitt etwa 1350 Euro (brutto), Frauen um die 900 Euro. Was will man da noch kürzen?

Lesen Sie auch: Er ist wieder da[2] – Schwarz-Rot diskutiert über Sozialreformen und steuert zunächst eine Neuauflage von Altkanzler Schröders Agenda 2010 an

Drittens: 40 Jahre Jammern über »unvermeidlich sinkende Renten« ist eine politische Bankrotterklärung, denn es gibt jede Menge Stellschrauben. »Unvermeidlich« sind Rentensenkungen nur, wenn man weiter auf die Beiträge von »Minijobber*innen«, aber auch von Beamt*innen oder Besserverdienenden verzichtet, indem man auf Einkommen ab 8050 Euro keine Sozialabgaben mehr erhebt. Beendet wäre die Finanzkrise der Rentenversicherung hingegen im Nu, wenn der Staat »versicherungsfremde« Leistungen voll übernähme, wenn Niedriglöhne zurückgedrängt und Reallöhne insgesamt steigen würden.

Und viertens: Ob jung oder alt: Alle abhängig Beschäftigten wissen, dass sie auf Rente angewiesen sind, wenn der Marktwert ihrer Arbeitskraft sinkt – immerhin scheiden viele vorzeitig aus, weil sie vernutzt ist oder niemand mehr dafür zahlen will. Durch Beiträge zur Rentenversicherung erwerben Beschäftigte den Rechtsanspruch, nicht den Kindern auf der Tasche zu liegen. Eine steuerfreie »Aktivrente« mag denjenigen, die gut verdienen und körperlich nicht hart arbeiten müssen, attraktiv erscheinen. Die allermeisten Beschäftigten hingegen brauchen eine verlässliche Alterssicherung – ohne Zwang, bis zum Umfallen zu arbeiten, weil die Rente nicht reicht. Auch laut Focus liegt der Grund für die »minimale« Reformbereitschaft darin, dass auf Rente »fast jeder angewiesen« ist – über Generationen hinweg.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193524.schwarz-rote-koalition-streit-vor-dem-herbst-der-reformen.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193842.koalitionsstreit-um-reformen-im-herbst-er-ist-wieder-da.html