Ein sonniger Samstagvormittag auf der Finca »La Petite« in der andalusischen Provinz Cádiz: Das vietnamesische Hängebauchschwein Roberta wälzt sich zufrieden im Schlamm, während Hühner zwischen Ponys und Ziegen nach Insekten picken. Nach und nach treffen die Mitglieder der Stiftung »Esperanza en Acción«[1] (»Hoffnung in Aktion«) ein. Familien mit Kindern zieht es zuerst zu den Tiergehegen und dem selbstgebauten Spielplatz. An der Freiluftbar schenken Freiwillige Getränke aus. Schräg gegenüber werden Gemüsekisten verteilt – 55 sind es heute.
Der Inhalt dieser Kisten stammt aus dem Bildungsgarten, der sich im Zentrum des Geländes befindet. »Hier wachsen Möhren, dort drüben Bohnen, dort Salate«, erklärt Pape, der vor anderthalb Jahren aus dem Senegal nach Spanien gekommen ist. »Das hier ist Mangold – den kannte ich von zu Hause gar nicht. Auch Spinat nicht. Das habe ich alles erst hier kennengelernt.« Er zeigt auf die verschiedenen Gemüsesorten, die er und die anderen Finca-Bewohnenden in diesem Jahr ausgesät haben.
Im November 2023 erreichte Pape nach siebentägiger Bootsfahrt von seiner Heimatstadt Dakar aus die kanarische Insel El Hierro[2]. Auf seinem Tiktok-Kanal zeigt er ein Video: Über 300 Menschen in orangefarbenen Schwimmwesten, dicht an dicht gedrängt auf engstem Raum. Die Reise sei sehr hart gewesen. Nicht alle an Bord hätten überlebt. »Ab dem vierten Tag hatten wir kein Essen und kein Wasser mehr. Keine Medizin. Sechs Menschen seien gestorben. Wir mussten sie ins Meer werfen«, erinnert er sich mit zitternder Stimme.
Von den Kanaren aus gelangte Pape mithilfe des Roten Kreuzes aufs spanische Festland. Er beantragte Asyl und verbrachte die nächsten drei Monate in einer Unterkunft. Dort bestimmte der für solche Unterkünfte typische triste Alltag sein Leben: wenig Beschäftigung, viel Zeit für dunkle Gedanken. Hier, auf der Finca »La Petite« ist nun alles anders: »Ich stehe gegen 5 Uhr auf, gehe duschen und danach bete ich, ich bin schließlich Muslim. Gegen 7 Uhr trinken wir Kaffee und dann arbeiten wir.«
Während Pape in den Beeten steht und von seinen Erfahrungen spricht, stoßen Paki Ortega und ihr Ehemann Ermindo dazu. Die beiden leben nur wenige Kilometer entfernt. Seit über drei Jahren sind sie Mitglieder der Stiftung, über die sich das Programm überwiegend finanziert, und zahlen monatlich einen Beitrag von 20 Euro pro Person. Als Dankeschön können sie einmal pro Monat eine Kiste mit Gemüse aus dem Garten abholen. Im Biosupermarkt würden sie für insgesamt 40 Euro deutlich mehr bekommen – das wissen sie. »Wir unterstützen das Projekt vor allem wegen des sozialen Aspekts. Darum geht es uns«, sagt Paki.
»Wenn die staatlichen Hilfen für Menschen, die auf illegalem Wege nach Spanien kommen, auslaufen, dann führt der Weg häufig in die Obdachlosigkeit. Viele kommen da dann nicht mehr raus.«
José Gonzáles Díaz
Gründer von »Esperanza en Acción«
Für den Stiftungsgründer José Gonzáles Díaz ist es wichtig, dass Unterstützer*innen wie Paki und Ermindo regelmäßig die Finca besuchen. »Deshalb liefern wir die Kisten nicht aus. Unsere Mitglieder sollen herkommen und die Menschen kennenlernen, die hier leben. So können sie sich nach und nach ein soziales Netz vor Ort aufbauen«, erläutert er. Gerade hat er eine Tour über das Gelände mit potenziellen neuen Stiftungsmitgliedern beendet und lässt sich auf einer aus alten Paletten zusammengezimmerten Bank unter einem Obstbaum nieder.
Rund 220 Menschen unterstützen die Initiative derzeit finanziell. Auch die Stadt Chiclana beteiligt sich mit einem Zuschuss. Für dieses Jahr sind auch Fördergelder beantragt. Dank dieser Mittel kann die Finca Pape und aktuell vier weiteren jungen Männern ein Zuhause bieten, während sie auf die Bearbeitung ihrer Asylanträge oder eine Arbeitserlaubnis warten. Essen, Kleidung, Arztbesuche und ein monatliches Taschengeld in Höhe von 100 Euro – all das wird über die Stiftung finanziert.
Der 2,5 Hektar große Bauernhof befindet sich im Besitz der Familie von Josés Ehefrau Rocio Martínez, die an diesem Vormittag hinter der Bar steht. »Dass uns das Gelände seit fünf Jahren kostenlos zur Verfügung steht, ist eine der größten Unterstützungen, die wir bekommen«, erzählt José. Unter der Woche geht er seinem Job als Anwalt nach.
Auf der Finca lernen die Teilnehmenden an dem Programm nicht nur, wie man Gemüse anbaut. Am Nachmittag gibt es Kurse, die von etwa 30 Freiwilligen ehrenamtlich gestaltet werden. Spanisch, Bewerbungstrainings und andere praktische Kurse wie Schweißen, Tischlern oder Maurern stehen auf dem Programm.
Die Ergebnisse dieser Arbeit sind überall auf dem Gelände sichtbar – der Kinderspielplatz und die Bank, auf der José sitzt, sind nur zwei davon. »Die Menschen sind dankbar dafür, dass sie etwas zurückgeben können. Sie fühlen sich gebraucht, und wir wertschätzen ihren Beitrag sehr«, sagt er.
Ein festes Programmziel besteht außerdem darin, den Bewohnenden ihre erste Arbeitsstelle in Spanien zu vermitteln. Dafür arbeitet »Esperanza en Acción« eng mit Firmen in der Umgebung zusammen – darunter Bauunternehmen, Restaurants und Hotels, eine Gärtnerei, eine Elektrofirma und ein Metallbauer.
Seit dem Projektstart vor fünf Jahren haben 16 Personen das Programm durchlaufen. Einer davon ist der 25-jährige Abdou aus Gambia, dem die Stiftung erfolgreich eine Art Ausbildungsvertrag in einer kleinen Tischlerei vermitteln konnte.
Seit seinem Auszug vor einigen Monaten besucht er fast jeden Samstag den Hof und hilft freiwillig im Garten. Auch heute ist er gekommen, sortiert in der alten Scheune mit seinen ehemaligen Mitbewohnern frische Eier in Kartons und erklärt dabei, warum er an seinem freien Tag freiwillig früh aufsteht: »Ich liebe Gartenarbeit und war einfach sehr zufrieden. Rocio und José haben mir so sehr geholfen hier. Es war einfach ein großes Glück, dass sie mich hier aufgenommen haben.«
Nach seiner Ankunft in Spanien hatte Abdou, genau wie Pape, einige Monate in einer Asylunterkunft verbracht. Er habe jedoch kein Asyl beantragt, weil er aus anderen Gründen nach Spanien gekommen sei. Migrant*innen, die keinen Asylantrag stellen, sondern vor allem eine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis erlangen wollen, werden vom spanischen Staat nur in den ersten Monaten nach Ankunft unterstützt. Abdou wäre deshalb beinahe auf der Straße gelandet und hätte sich irgendwie mit illegalen Jobs durchschlagen müssen. Dann wurde auf der Finca »La Petite« ein Platz frei.
Die Stiftung half ihm dabei, einen legalen Aufenthaltstitel nach dem spanischen Prinzip des »Arraigo«[3] (Verwurzelung) zu erhalten. Spanien ist das einzige Land in der Europäischen Union, das eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, wenn jemand im Land Fuß gefasst hat – das kann zum Beispiel familiärer oder beruflicher Natur sein.
Um eine berufliche »Verwurzelung« zu erlangen, brauchen Migrant*innen ein Stellenangebot oder – wie in Abdous Fall – einen Ausbildungsvertrag. Um den Antrag zu stellen, muss man außerdem einen festen Wohnsitz vorweisen und eine bestimmte Zeit im Land verbracht haben. Genau an dieser Stelle setzt die Stiftung an, erläutert Gründer José: »Wir füllen hier eine Lücke, die von der öffentlichen Verwaltung nicht ausreichend abgedeckt wird. Wenn die staatlichen Hilfen für Menschen, die auf illegalem Wege nach Spanien kommen, auslaufen, dann führt der Weg häufig in die Obdachlosigkeit. Viele kommen da dann nicht mehr raus.«
Bisher betrug die Zeit für eine solche »Verwurzelung« ab der Wohnsitzanmeldung drei Jahre. Mit einer Reform des Einwanderungsrechts, die seit Mai 2025 in Kraft ist, wurde diese Zeit auf zwei Jahre reduziert. Diese Verkürzung begrüßt José sehr, denn so müssten Zugewanderten zumindest weniger Zeit in der Illegalität verbringen. Die wenigen Plätze, die auf der Finca zur Verfügung stünden, würden schneller wieder frei.
Einen anderen Punkt der Reform findet er allerdings mehr als ungerecht. Bisher war es so: Wer in Spanien ankam und zuerst einen Antrag auf Asyl stellte, der dann nach einigen Monaten oder Jahren abgelehnt wurde, konnte diese Wartezeit auf die »Verwurzelung« anrechnen lassen. Das ist seit der Reform nicht mehr möglich, wird ein Asylantrag abgelehnt, beginnt man sozusagen wieder bei null. »Die Gruppe der Asylbewerbenden wird dadurch benachteiligt. Sie haben sich für den Weg des Asyls entschieden, weil sie das in dem Moment für die beste Option gehalten haben, nun werden sie dafür in gewisser Weise bestraft.«
Der Asylantrag, den Pape bei seiner Ankunft in Spanien vor etwa anderthalb Jahren stellte, wurde bisher weder bewilligt noch abgelehnt. Der 35-Jährige nimmt es jedoch gelassen und macht sich wenige Gedanken über das, was passieren könnte. »Ich muss jetzt halt warten, und wenn es länger dauert, dann ist das eben so. Angst habe ich keine«, sagt er schulterzuckend, während er am Herd steht und in einem großen Kochtopf rührt. Er hat sich nach dem Trubel am Vormittag ins Wohnhaus zurückgezogen und bereitet ein Gericht aus seiner Heimat für sich und seine Freunde zu: »Poulet Yassa«, Hühnchen mit Reis.
Für ihn steht fest: Zurück nach Afrika will er nicht, auch wenn er seine Eltern und Geschwister sehr vermisst. »Das Leben im Senegal ist sehr schwierig. Man arbeitet den ganzen Tag und verdient trotzdem nur fünf Euro. Davon kannst du dir kaum was leisten, keinen Arzt bezahlen.« Sobald Pape seine Arbeitserlaubnis hat, möchte er am liebsten in einer Autowerkstatt arbeiten und seiner Mutter mindestens 250 Euro monatlich schicken. »Ich habe viel Hoffnung, dass das klappt.«
Auch José und Rocio sind guter Dinge. Sie wollen die Initiative weiter ausbauen, um mehr Plätze anbieten zu können. Außerdem wünschen sie sich, dass mehr Migrant*innen von der Idee, ökologische Landwirtschaft und Integration zu kombinieren, profitieren können – in Spanien und anderswo in Europa. Beide können sich vorstellen, in Zukunft als Mentor*innen anderen Projekten auf ihrem Weg zu helfen.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194101.migration-spanien-integration-im-gemuesebeet.html