Vor einigen Tagen lief im Fernsehen »Ein unmoralisches Angebot« mit Robert Redford. Ein Film von 1993, den ich – gerade weil er so erfolgreich gewesen war – zuvor nie hatte sehen wollen. Jetzt aus irgendeinem Grund doch. Ein nicht mehr junger Multimillionär kauft Sex (immerhin für eine Million Dollar!) mit einer jungen Frau, die er haben will – haben kann, weil man doch alles kaufen kann in dieser Welt. Und weil das unstrittig ist, macht er sein Angebot, das er fair findet, dem jungen – verschuldeten – Ehepaar in aller Offenheit. »Bin ich etwa zu kaufen?«, fragt sich die junge Frau (Demi Moore) empört. »Niemals!«, bestärkt sie der Ehemann, ein junger talentierter, aber erfolgloser Architekt. Und dann verfallen sie in ein langes Schweigen. Waren sie sich etwa noch nie untreu – und jetzt eine Million für eine Nacht? Augen zu und durch? Sie beschließen es – und gehen daran fast kaputt. Man kann mit Geld menschliche Beziehungen buchstäblich über Nacht zerstören. Denn Dinge kaufen zu wollen, die man nicht kaufen kann, ist obszön.
Robert Redford hat hier die undankbare Rolle des allzu reichen Mannes, der gelangweilt davon ist, dass seinem Geld niemand widerstehen kann. Doch das Erstaunliche: Er spielt gleichsam gegen die eigene Rolle an. Schaut sich mit Ekel selbst zu bei seinem zynischen Spiel, das er – einer menschlichen Regung folgend – schließlich mit einer resignativen Bewegung am Ende selbst abbricht. Hinter der Fassade fühlt der alternde Mann, dass ihn die junge Frau, die er hatte kaufen wollen, aber nun zu lieben begonnen hat, immer verachten wird.
Ohne Robert Redfords klug eingesetzte Distanz zur Rolle und zu sich selbst als Erfolgsmensch, wäre es tatsächlich eine uninteressante eindimensionale Geschichte geworden. Da zweifelt einer nicht nur an sich selbst, sondern auch an den Regeln, nach denen diese Welt funktioniert. Und das zieht sich durch alle etwa 50 mehr oder weniger großen Filmrollen, die Redford von 1960 bis 2018 gespielt hat.
Woher kommt diese Reserve gegenüber dem, was andere ganz naiv ihre Karriere nennen? Der frühe Tod der Mutter hatte den 1936 in Santa Monica geborenen hochgewachsenen, blonden und sportlichen Jungen aus der Bahn geworfen. Gerade hatte der 19-jährige Redford wegen seines Baseball-Talents ein Stipendium an der Universität in Colorado erhalten. Nun bricht diese Welt zusammen. Er spielt nicht mehr mit, verweigert sich allen Erwartungen an ihn, aber auf selbstzerstörerische Weise. Er beginnt zu trinken und wird von der Universität verwiesen, trampt durch Europa, wird Straßenmaler in Paris und Florenz, kehrt in die USA zurück, will Bühnenbildner werden, besucht dann ab 1959 die American Academy of Dramatic Arts.
Er spielt Theater am Broadway, bekommt auch Filmangebote – sieben Jahre lang dreht er einen Film nach dem anderen, aber alle sind Flops. Immerhin lernt er bei »Hinter feindlichen Linien« über den Koreakrieg Sydney Pollack kennen, der ebenfalls als Schauspieler dabei ist.
Dann endlich 1967 der Durchbruch. Am Broadway hatte Redford bereits in Neil Simons Komödie »Barfuß im Park« gespielt und nun wird diese mit der kaum zu zügelnden Jane Fonda und ihm verfilmt. Ein Kammerspiel fürs Kino, das ist für den minimalistischen Redford die große Chance. Ein wahrlich seltsames Paar: der lebenshungrige Teenager und der auf Vernunft getrimmte junge Anwalt in einer New Yorker Dachwohnung. Manchmal hat man das Gefühl, Redford schaut seiner quirligen Partnerin die meiste Zeit bloß amüsiert zu, anstatt mitzuspielen. Er hat hier vielleicht seine letzte Chance, aber demonstriert mit souveräner Gelassenheit: Ich bin auf euch nicht angewiesen. In dieser Konstellation funktioniert es.
Plötzlich gilt er in Hollywood nicht mehr als Kassengift, sondern als Star. In »Reifeprüfung« wäre er fast besetzt worden, aber dann kamen Regisseur Mike Nichols Zweifel: dieser sportliche, gut aussehende junge Mensch sollte Schwierigkeiten haben, eine Freundin zu finden? Statt Redford bekam der damals noch unbekannte Dustin Hoffman die Rolle des schüchternen College-Absolventen ohne festes Ziel im Leben. Und Redford macht 1969 mit Paul Newman das Genre der Westernparodie mit »Butch Cassidy and the Sundance Kid« erfolgreich. Zwei Hippie-Banditen spielen mit der Gesetzesmacht ihr trickreiches Spiel – bis sie am Ende von einem ganzen Heer schießwütiger Polizisten umstellt werden, ihm entgegenspringen – und das Bild mitten im Sprung einfriert. Vielleicht gibt es für sie ein rettendes Wunder?
Fast wäre Robert Redford jetzt eine Marke in Hollywoods Filmindustrie geworden: »Der Clou« von 1973 ist ein heute immer noch erstaunlich frisch wirkender Film über einen raffinierten Betrug im Wettspiel. Ebenso bildgewaltig wie subtil »Der große Gatsby« nach F. Scott Fitzgeralds Roman, zu dem Francis Ford Coppola das Drehbuch schrieb. Die Liebe eines halbkriminellen reichen Mannes zu einer jungen Frau, die er zu erobern versucht – das hat bereits etwas von »Ein unmoralisches Angebot«. Und Redford bleibt auch hier inmitten des äußeren Glamours eine tief zwiespältige, geradezu fatalistische Figur.
Gediegenes, gut gemachtes Kino – so hätte es weitergehen können. Aber Redford sucht in den 70er Jahren nach politisch ambitionierten Stoffen von Regisseuren, nach einem anderen Maßstab, als bloß Erfolg an der Kinokasse haben zu wollen. Er trifft seinen alten Bekannten aus Zeiten gemeinsamen Misserfolgs wieder, Sydney Pollack, der nun zumeist als Regisseur arbeitet. Gemeinsam realisieren sie eine Reihe ungewöhnlicher Filme von großer Härte, mit der sie das amerikanische Selbstbild als lügenhaft demontieren. 1972 ist Redford in »Jeremiah Johnson« ein Trapper, der aus der Zivilisation in die wilden Rocky Mountains flieht – ein Aussteiger aus bitterer Überzeugung. Den Verlust, oder schlimmer noch den Verrat an einstigen Idealen wird er uns mit Pollack – zusammen mit seiner Partnerin Barbra Streisand – in »So wie wir waren« schmerzhaft vor Augen führen.
In »Die drei Tage des Condor« schließlich blicken wir mit Pollack und Redford in das irre Hirn des amerikanischen Geheimdienstes, in dem eine ganze als Literaturinstitut getarnte Abteilung liquidiert wird, um einen Fehler im System zu kaschieren. Einer entkommt durch Zufall – und wird gnadenlos gejagt. Das Ende – auch die Zukunft der amerikanischen Gesellschaft betreffend – bleibt bedrohlich offen. Das gilt auch, wieder mit Pollack als Regisseur, 1979 für »Der elektrische Reiter«, in dem ein Rodeo-Cowboy eines Tages einfach davon reitet – weil in dem grellen Unterhaltungszirkus sein Pferd kaputtzugehen droht.
Redfords politische Haltung ist eindeutig: Er wendet sich gegen alle autoritären Tendenzen in den USA, nun in einem Film an der Seite von Dustin Hoffman, der ihm einst die begehrte Rolle in »Die Reifeprüfung« wegnahm. »Die Unbestechlichen« von Alan J. Pakula ist eine Reifeprüfung der besonderen Art. Der Film rekonstruiert die Recherche zweier Journalisten der Washington Post, die den 1972 von Präsident Nixon in Auftrag gegebenen Einbruch ins Wahlkampfbüro der Demokraten nachweisen konnten – die Watergate-Affäre zwingt Nixon letztlich zum Rücktritt.
In einer Reihe von Filmen führt Redford nun auch erfolgreich selbst Regie, so in »Der Pferdeflüsterer« von 1998, gründet eine eigene Filmproduktion und initiiert das jährliche Sundance Festival zur Förderung des Independent-Films. Man glaubte ihm, der sich immer fern von Hollywoods Starrummel hielt (obwohl er selbst einer der größten Stars Hollywoods war), sein Engagement fürs Autorenkino, ebenso wie das für die Erhaltung der Natur, vor allem für den Schutz der Meere, worüber er eine eigene Doku-Serie produzierte.
Sein letzter großer Film ist ein kleiner Film, eher ein Autorenfilm der besonderen Art. Mit schon Ende 70 spielte er 2013 in der Regie von J.C. Chandor einen Segler in »All is lost«. Ein Mann allein in einem havarierten Segelboot auf dem Meer. Welch Kammerspiel mit ganzem physischen und psychischen Einsatz auf großer Bühne – aber ohne jedes Publikum. Denn er ist ganz allein hier draußen. Wenn er sich nicht selbst hilft, hilft ihm niemand. Ein Film ohne Dialoge, aber mit umso existenzielleren Geräuschen. Ganze 106 Minuten lang kämpft der alte Mann auf dem sinkenden Boot – wie bei Hemingway – mit sich und der Urgewalt des Meeres.
Was für eine Abschiedsvorstellung eines Jahrhundertschauspielers, der auch eine imponierende Persönlichkeit war. Am 16. September ist Robert Redford mit 89 Jahren in Sundance, Utah im Schlaf gestorben.