nd-aktuell.de / 17.09.2025 / Politik

Tödliche Polizeischüsse in Amsterdam wieder Politikum

Sammy Bakers Familie aus Deutschland will Strafverfolgung von Beamten erzwingen

Matthias Monroy
In dieser Lage wurde Sammy Baker erschossen. Zuvor war selbst ein Polizeihund an dem ruhig stehenden jungen Mann vorbeigelaufen.
In dieser Lage wurde Sammy Baker erschossen. Zuvor war selbst ein Polizeihund an dem ruhig stehenden jungen Mann vorbeigelaufen.

Am 13. August 2020 wurde der 23-jährige Sammy Baker aus Gießen von der Polizei in Amsterdam erschossen. Seine Eltern haben sich in den Niederlanden auf eine Einigung im Zivilverfahren verständigt[1] und erhalten dazu einen Teil ihrer Rechtskosten erstattet. Am Dienstag haben sie aber eine sogenannte Artikel-12-Prozedur eingeleitet, um die strafrechtliche Verfolgung der beteiligten Beamt*innen zu erzwingen. Damit könnte der Fall, der vor fünf Jahren in den Niederlanden und Deutschland eine Debatte zu Polizeigewalt auslöste, erneut zum Politikum werden.

Baker, damals Student und Fitness-Influencer, hatte in der niederländischen Hauptstadt seinen Geburtstag gefeiert. Nach dem Konsum von Cannabis geriet er in eine psychische Ausnahmesituation. Seine Mutter Justine Seewald-Krieger reiste mit einem Bekannten hinterher und fand ihren Sohn in Amsterdam-West. Als ein vorbeigehender Polizist um Hilfe gebeten wurde, rannte Baker verstört und barfuß weg.

Die Verfolgung mit insgesamt acht Beamt*innen endete in einem umzäunten Innenhof[2], wo Baker mit einem Messer an seinem Hals und Handgelenken hantierte. Ein polizeilicher Hundeführer näherte sich – gegen Anweisungen seiner Vorgesetzten – von hinten, brachte den jungen Mann zu Boden, dann schossen zwei Beamte auf ihn. Der damalige Amsterdamer Polizeichef behauptete, Baker habe mit einem Messer in seiner Weste auf einen der Beamten eingestochen – eine Lüge, wie sich später herausstellte.

Die Staatsanwaltschaft hatte das Verfahren gegen die Täter neun Monate später trotzdem eingestellt – und dies mit Notwehr begründet. Die Eltern beauftragten daraufhin Forensic Architecture mit einer unabhängigen Untersuchung[3]. Die von dem Israeli Eyal Weizmann geleitete Forschungsgruppe untersucht staatliche Gewalttaten und bestätigte, dass die Notwehr-These im Fall Sammy Baker unhaltbar ist.

Das Team analysierte Videoaufnahmen von Anwohner*innen des Wohngebiets[4] und erstellte ein 3D-Modell der Tathergangs. Die Erkenntnisse: Baker habe sich in einem »nahezu katatonen Zustand« befunden und sich so langsam bewegt, dass selbst ein Polizeihund an ihm vorbeilief. Drei Beamte behaupteten, der Hundeführer sei mit Baker zu Boden gefallen und in Gefahr gewesen – die Videoanalyse beweist jedoch[5], dass dieser stehen blieb.

Kurz vor seinem Tod lag Baker auf dem Rücken – das belegen Schusswinkel und Verletzungsmuster aus dem Obduktionsbericht. »Die Beamt*innen hätten jederzeit einen Schritt zurücktreten und sich aus jeder potentiellen Gefahr entfernen können«, folgert Forensic Architechture. Obwohl die Einsatzkräfte offenbar erkannten, dass Baker eine Psychose durchlebte, durften ihm eintreffende Sanitäter*innen keine psychiatrische oder medizinische Hilfe leisten.

Auch ein im Rahmen des Zivilverfahrens erstellter Untersuchungsbericht eines Politikwissenschaftlers kam Anfang 2023 zu dem Schluss, die Polizist*innen seien selbst für die Eskalation verantwortlich. Die Ergebnisse waren vertraulich – in einer später veröffentlichten Version war der Ton deutlich milder.

Die Eltern von Sammy zeigten sich damals »fassungslos« über das veränderte Gutachten, der Vorgang nährte ihre Zweifel an der Neutralität des Amsterdamer Zivilgerichts. Deshalb habe man sich auf den Vergleich mit der Polizei eingelassen, erklärte Sammys Mutter Justine Seewald-Krieger. Bedingung sei jedoch gewesen, weiter strafrechtlich gegen die am Einsatz beteiligten Polizisten vorgehen zu können.

Dieses Straferzwingungsverfahren richtet sich nicht mehr gegen die Institution Polizei, sondern gegen gegen die beiden Schützen, den Hundeführer und die Einsatzleiterin. Grundlage sind die die Untersuchung von Forensik Architecture, ein Gutachten des deutschen Professors Thomas Feltes sowie zwei Gutachten eines Soziologen und eines Psychologen aus den Niederlanden. »Mit diesen Beweismitteln hoffen wir, dass die Beamte* innen zur Verantwortung gezogen werden«, sagt Seewald-Krieger zu »nd«.

Die Eltern würden aber auch gegen die Staatsanwaltschaft in Amsterdam vorgehen, die auf ihrer Homepage immer noch behauptet, Baker habe einem Beamten mit einem Messer in die Weste gestochen. Eine Beschwerde wegen solcher Falschbehauptungen gegen den damaligen Polizeichef wurde bereits gewonnen. »Trotzdem hat die Staatsanwaltschaft ihre Homepage nicht aktualisieren wollen – mit dem Resultat, dass Journalist*innen dort weiterhin Unwahrheiten abschreiben«, kritisiert Bakers Mutter.

Links:

  1. https://nos.nl/artikel/2582693-ouders-van-in-amsterdam-doodgeschoten-sammy-baker-23-schikken-met-politie
  2. https://argos.vpro.nl/specials/sammy-vertov
  3. https://forensic-architecture.org/investigation/the-killing-of-sammy-baker
  4. https://www.at5.nl/artikelen/224615/ouders-sammy-baker-doen-aangifte-tegen-agenten-die-hun-zoon-doodschoten
  5. https://content.forensic-architecture.org/wp-content/uploads/2024/04/The-Killing-of-Sammy-Baker_method-report.pdf