Der für spätestens 2038 vorgesehene Kohleausstieg verändert das Lausitzer Revier jetzt schon. Rund zehn Milliarden Euro Fördergeld fließen für den Strukturwandel. Ein großer Teil der Mittel ist bereits fest verplant, darunter allein 3,7 Milliarden Euro für die bereits vollzogene Umwandlung des städtischen Carl-Thiem-Klinikums in Cottbus in eine Universitätsklinik[1]. Im Wintersemester 2026/27 sollen dort die ersten 200 jungen Leute ihr Medizinstudium beginnen.
»Wenn ich sage, es läuft in der Lausitz, ist das keine Floskel, sondern meine tiefe Überzeugung«, versichert Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) am Mittwoch. »In der Lausitz ist in den vergangenen fünf Jahren enorm viel in Bewegung gekommen.« Im Juli 2020 hatte der Bundestag das Kohleausstiegsgesetz beschlossen. Nun setze die Lausitz »europaweit Maßstäbe für einen erfolgreichen Strukturwandel«, meint Woidke. »Überall wird der Wandel zur Region mit nachhaltigen und zukunftssicheren Arbeitsplätzen Realität.« Die Lausitz zeige eindrucksvoll, »dass Transformation gelingen kann, wenn alle Beteiligten vom Bund, über das Land und die Kommunen bis hin zu Unternehmen und Zivilgesellschaft an einem Strang ziehen«.
Woidke sagt das alles am Mittwoch bei einer Rundfahrt im Revier, bei der er sich von Journalisten begleiten lässt und von Managern der Lausitzer Energie AG, des Chemiekonzerns BASF und der Deutschen Bahn. Woidke ist einer von hier und zeigt stolz, was bisher schon gelungen ist und was viele vorher nicht für möglich gehalten hätten.
Als die Rosa-Luxemburg-Stiftung 2019 ihre Studie »Nach der Kohle«[2] vorlegte, fürchteten viele noch Massenarbeitslosigkeit, wenn 7000 Arbeitspätze in den Braunkohlekraftwerken und Tagebauen wegfallen und weitere 4000 Jobs, die davon abhängen. Doch Studien-Projektleiter Axel Troost verblüffte damals mit der Vorhersage: Das große Problem wäre nicht, eine neue Beschäftigung für die Kohlekumpel zu finden. Angesichts der Tatsache, dass mehr Einwohner in Rente gehen als Schulabgänger ins Berufsleben nachrücken, müsste massiv darum geworben werden, dass Menschen in die alte Heimat zurückkehren, die wegen der Arbeit nach Westdeutschland weggezogen waren. Sonst könnten sich Firmen wegen Fachkräftemangels gegen eine Ansiedlung in der Lausitz entscheiden, warnte Wirtschaftswissenschaftler Troost, der 2023 verstorben ist.
Inzwischen wird tatsächlich um Rückkehrer und auch um alle möglichen Zuzügler geworben. »Lebenslust statt Landflucht, Innovation statt Abschwung, Optimismus statt Angst vor dem Strukturbruch«, heißt es von der Kampagne »Krasse Lausitz«[3]. Es zeichne sich bereits ab, dass mehr neue Arbeitsplätze entstehen, als durch den Kohleausstieg verloren gehen werden. Dazu trägt die Deutsche Bahn (DB) bei. Während ihr Instandhaltungswerk in Cottbus[4] in früheren Jahren schon zur Disposition stand, wird es gegenwärtig zur Wartung von ICE-Zügen ausgebaut. Eine erste Halle ist bereits in Betrieb genommen, eine zweite soll kommendes Jahr fertig werden. Die DB hat bisher mehr als 550 Beschäftigte und Auszubildende für den Standort eingestellt. Es sollen insgesamt 1200 werden.
»Machten sich noch vor wenigen Jahren viele Menschen Sorgen um die Arbeitsplätze in der Lausitz, können wir nach fünf Jahren Strukturverstärkung stolz auf einen positiven Saldo blicken«, erklärt Woidkes Lausitz-Beauftragter Klaus Freytag. »Bislang haben wir mehr neue Jobs geschaffen, als durch den Kohleausstieg verloren gegangen sind.« Es werden noch mehr wegfallen. Bisher sind einige Blöcke des Kraftwerks Jänschwalde vom Netz gegangen. Schrittweise wird es stillgelegt und ganz zuletzt wird auch das Kraftwerk Schwarze Pumpe abgeschaltet.
Eine Botschafterin der »Krassen Lausitz« ist die Sängerin Clara Valerie. Sie ist im Revier aufgewachsen und ihm treu geblieben. »Als junge Musikerin habe ich hier unendlich viele Chancen«, schwärmt Valerie, die vor zehn Jahren ihren ersten Auftritt bei einer Hochzeit hatte und seitdem immer wieder für solche Anlässe gebucht wird. Sie muss nicht wegziehen und in der Ferne ihr Glück suchen. Auf der Internetseite krasse-lausitz.de verspricht die Arbeitsagentur Cottbus allen, die über Rückkehr oder Zuzug nachdenken: »Sag uns, was du suchst, und wir finden passende Jobs für dich!« Nur schnell anklicken, was gewünscht sei: faires Gehalt, viele Urlaubstage, angenehmes Arbeitsklima, Aufstiegschancen, ein Dienstwagen ... Dann noch angeben, in welchem Landkreis der Arbeitsplatz sein solle oder ob man für die gesamte Lausitz offen sei – und ob Hilfe bei der Suche nach einer Wohnung und einem Kitaplatz erwünscht sei. Die Arbeitsagentur meldet sich mit passenden Angeboten.
Ob das so einfach ist, wie es klingt? Fakt ist: Die Niederlausitz, die zu Brandenburg gehört, hat eine für die Verhältnisse des Bundeslandes etwas unterdurchschnittliche Arbeitslosenquote. Die Oberlausitz ist sächsisches Territorium. Im Landkreis Spree-Neiße betrug die Arbeitslosenquote im August vergleichsweise geringe 6,0 Prozent, lag damit allerdings 0,1 Prozentpunkte über dem Wert vor einem Jahr. Die Wirtschaftskrise geht auch an der Lausitz nicht ganz spurlos vorbei.