Gerade ist Ihr Buch »Meine Familie, die AfD und ich«* erschienen. Darin erklären Sie, warum Sie vor zwei Jahren den Kontakt zu Ihrer AfD-begeisterten Familie abgebrochen haben. In den sozialen Medien nennen Sie sich Frau Löwenherz[1]. Hat Frau Löwenherz jetzt Angst?
Ich werde in nächster Zeit über Social Media und per Mail wohl Hasskommentare in einem für mich bislang nicht gekannten Ausmaß erhalten. Außerdem werden rechtsextreme und rechtspopulistische Internetportale, die mich schon jetzt auf dem Kieker haben, wahrscheinlich sehr negativ über mich und mein Buch berichten. Aber da ich in meinem Umfeld Menschen habe, die mich gut unterstützen, fühle ich mich gut vorbereitet und weigere mich, Angst zu haben. Würden die Rechten mir Angst machen, hätten sie schon gewonnen.
Sie haben sich im Alter von 15 Jahren als bisexuell geoutet. Mittlerweile sind Sie seit dreieinhalb Jahren in einer lesbischen Beziehung und setzen sich als Influencerin und Aktivistin für queere Menschen ein. Welche Rolle spielte Ihre Sexualität beim Kontaktabbruch zu Ihrer Familie?
Meine Sexualität war nicht die Sollbruchstelle, an der meine Familie auseinanderbrach. Ich habe von meiner Familie nie explizit queerfeindliche Dinge zu hören bekommen, aber sie sind Unterstützer oder sogar Mitglieder einer Partei, die eine Politik durchsetzen will, die mein Leben, mein Lebensmodell und die Menschen in meinem Leben bedroht.
AfD-Vorsitzende Alice Weidel[2] ist selbst mit einer Frau zusammen. Hat Ihre Familie gesagt, dass die AfD ja wohl nicht so gefährlich für queere Menschen sein kann, wenn selbst die Vorsitzende lesbisch ist?
Ja, aber so einfach ist es nicht. Die AfD macht trotz Alice Weidel queerfeindliche Politik. Alice Weidel ist homosexuell, aber sicher nicht queer – sie setzt sich nicht für Menschen ein, die aufgrund ihrer sexuellen Identität diskriminiert werden. Als lesbische Frau ist Alice Weidel das Feigenblatt für die Queerfeindlichkeit der AfD. Als Frau ist Alice Weidel in einer Partei mit extrem geringem Frauenanteil das Feigenblatt für den Sexismus und die Misogynie der AfD. In der Hoffnung auf Sicherheit, Profit, Macht oder Karriere findet sich immer irgendein Mitglied einer marginalisierten Gruppe, das sich vor den Karren der Leute spannen lässt, die es weiter marginalisieren wollen. Indem man Mitglieder dieser Minderheiten an vorderste Stellen rückt, versucht man sich den Anschein zu geben, nicht diskriminierend zu sein.
Ihr Vater war lange mittelständischer Unternehmer und sagte Ihnen, dass die AfD seine finanziellen Interessen am besten vertrete. Warum war das für Sie einer der Gründe, den Kontakt zu ihm abzubrechen?
Zunächst einmal stimmt das Versprechen der AfD nicht. Aber um das zu verstehen, müsste man das Parteiprogramm lesen – die Mühe hat sich mein Erzeuger, wie die meisten AfD-Wähler*innen, nie gemacht. Das war für mich jedoch nicht der Grund, den Kontakt abzubrechen. Der Grund war, dass mein Erzeuger seine Maske hat fallen lassen.
Was hat Ihr Vater getan?
Obwohl ich ihm eine lange Liste von menschenverachtenden Zitaten von AfD-Politiker*innen und entsprechende Stellen aus dem Parteiprogramm der AfD vorgelesen habe, hat mein Erzeuger mir ins Gesicht gesagt, dass ein vermeintlicher finanzieller Vorteil ihm wichtiger sei, als die Tatsache, dass die AfD sich offen gegen meine Identität richtet. Ich entgegnete ihm: »Dann bist du bereit, für deine finanziellen Interessen über Leichen zu gehen. Im Zweifel auch über meine. Das mache ich nicht mit.«
Sie nennen Ihren Vater nur Ihren »Erzeuger«. Glauben Sie, dass Sie jemals wieder »Papa« zu ihm sagen werden?
Das liegt in seiner Hand, aber ich habe keine großen Erwartungen, dass es passieren wird. Der Kontaktabbruch ist für mich wie ein Todesfall in der Familie. Ich habe diese Person aus meinem Leben verloren und um sie getrauert.
Das klingt sehr hart und unversöhnlich. Ist das Verhältnis zu Ihrer Mutter genauso zerrüttet?
Meine Mutter ist die Einzige in meiner Verwandtschaft, die mit der AfD nie etwas zu tun hatte. Aber meine Eltern sind noch verheiratet. Ich habe irgendwann entschieden, dass ich für alle Menschen einen einheitlichen moralischen Standard ansetze – egal, ob Mutter, Vater oder Bekannte. Wenn meine beste Freundin morgen mit einem Typen ankommen würde, der die AfD wählt, dann wäre sie die längste Zeit meine beste Freundin gewesen. Das gleiche gilt für meine Mutter, wobei ich hier tatsächlich Zugeständnisse mache, indem ich sporadisch und sehr vorsichtig Kontakt zu ihr halte.
Sie waren 23 Jahre alt, als Ihr jüngerer Bruder vor neun Jahren starb. Spielte sein Tod eine Rolle bei der Entfremdung von Ihrer Familie?
Es soll nicht zynisch klingen, aber sein Tod hat den Kontaktabbruch leichter gemacht. Er teilte meinen Wertekanon. Bis zu seinem Tod war er mein letzter Verbündeter und meine letzte Verbindung zu meiner Familie.
Die AfD macht oft pauschal ausländische Männer für Vergewaltigungen verantwortlich. Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie im Alter von 17 Jahren von einem [3]deutschen[4] Mann vergewaltigt[5] wurden. Warum ist es Ihnen wichtig, seine Nationalität zu benennen?
Es ist mir nicht wichtig, die Nationalität zu benennen. Es ist mir wichtig zu betonen, dass ich von einem Mann vergewaltigt wurde. Die Nationalität macht keinen Unterschied. Wenn wir uns sexualisierte Gewalt und Gewaltverbrechen generell angucken, ist die Nationalität nicht der gemeinsame Nenner, sondern das Geschlecht. Solange wir uns darauf konzentrieren, nur auf die Nationalität zu gucken, werden wir das Problem nicht lösen.
Aber dann hätten Sie doch nicht explizit betonen müssen, dass der Mann, der sie vergewaltigt hat, deutsch war. Warum haben Sie es trotzdem getan?
In diesem Kontext ging es darum, wie gefährlich ausgerechnet migrantische Männer angeblich für Frauen wären, dabei hat eine Migrationsgeschichte damit nichts zu tun. So eine Rhetorik verschärft vorhandene Probleme und lenkt vom Thema ab. Sie stellt nicht nur migrantisch gelesene Menschen unter Generalverdacht und bedient rassistische Stereotype, sondern macht unsichtbar, was eigentlich der gemeinsame Nenner beim Thema sexualisierte Gewalt ist. Nämlich das Geschlecht. Zudem lasse ich nicht zu, dass meine Gewalterfahrung genutzt wird, um die Diskriminierung migrantischer Menschen zu rechtfertigen. Der Täter in meinem Fall war deutsch. Viele Täter sind deutsch. Wer sich damit unwohl fühlt, dass ich das so klar benenne, muss sich also vielleicht fragen, warum.
Halten Sie alle AfD-Wähler für rechtsextrem?
Ich halte alle AfD-Wähler für Menschen, die mit Rechtsextremismus kein Problem haben. Wenn zehn AfD-Wähler an einem Tisch sitzen, einer davon offen ein Nazi ist und neun dazu schweigen, dann sitzen da zehn Rechtsextreme – zehn Menschen, die mit menschenverachtenden und rechtsextremen Positionen kein Problem haben. Mit der deutschen Geschichte vor Augen sollten wir uns sehr bewusst sein, dass das Schweigen im Angesicht von Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit keine Option sein darf.
Bei der Bundestagswahl 2025 haben 21 Prozent der 18- bis 24-Jährigen AfD gewählt, mehr als doppelt so viel wie vier Jahre zuvor. Warum ist die AfD bei jungen Leuten so erfolgreich?
Die AfD ist sehr gut darin, junge Leute im Netz abzuholen. Internet-Menschen wie ich schreien den demokratischen Parteien deshalb schon seit Jahren ins Gesicht: »Macht endlich was auf Social Media! Aber nicht nur die Aktentasche von Olaf Scholz, sondern echte Inhalte!« Die Linke hat das zum Glück verstanden. Ganz allmählich sickert das auch bei den anderen demokratischen Parteien ein.
Sind Sie für die Einleitung eines AfD-Verbotsverfahrens?
Ich bin dafür, die AfD durch ein besseres Politikangebot zu bekämpfen und gleichzeitig ein Verbotsverfahren einzuleiten. Wenn der Verfassungsschutz die AfD als gesichert rechtsextrem einstuft, ist es die Pflicht unserer freiheitlichen Demokratie, das Verbotsverfahren einzuleiten. Dazu haben wir gerade in diesem Land eine historische Verantwortung. Die Möglichkeit eines Verbotsverfahrens steht nicht zufällig in unserem Grundgesetz. Paragraf 21 steht dort nicht zur Dekoration, sondern zum Schutz unserer Demokratie. Es ist keine Option, sondern unsere Pflicht, ihn anzuwenden, wenn es nötig wird.
Gegner des Verbotsverfahrens argumentieren, dass man eine Partei, die in ganz Deutschland stark ist, nicht einfach so verbieten sollte.
Dass die AfD beliebt ist, ist kein Argument gegen ein Verbot, sondern ein Argument, jetzt erst recht das Verbotsverfahren einzuleiten. Die NSDAP erreichte bei der Reichstagswahl 1933 43,9 Prozent der Stimmen. Rückblickend würden wohl dennoch die wenigsten sagen, dass die NSDAP eine demokratische Partei war, die man nicht hätte verbieten sollen. Beliebtheit macht Rechtsextremismus nicht weniger gefährlich, sondern gefährlicher.
Glauben Sie, dass ein erfolgreiches Verbotsverfahren dazu führen würde, dass die Anhänger der AfD sich weiter radikalisieren würden?
Umfragen zeigen, dass viele AfD-Anhänger die Union oder gar nicht mehr wählen würden, wenn die AfD verboten würde. Ein geringer Prozentsatz würde sich wahrscheinlich weiter radikalisieren oder sogar in den Untergrund gehen. Aber das darf uns nicht aufhalten. Wir stellen uns immer die Frage, was alles Schlimmes passieren kann, wenn wir diese Partei verbieten. Stattdessen sollten wir uns die Frage stellen: Was kann alles Schlimmes passieren, wenn wir die AfD nicht verbieten?
Sie schreiben, dass Ihr Buch Sie viele Tränen, Angstattacken und schlaflose Nächten bereitet hat. War es das wert?
Statistisch gesehen kennt heute fast jeder mindestens eine Person im privaten Umfeld, die AfD wählt. Aber kaum jemand spricht darüber, weil das Thema extrem schambehaftet ist. Sollte sich nur eine Person, die Ähnliches wie ich durchmacht oder durchgemacht hat, nach der Lektüre meines Buches weniger allein fühlen, war es das wert.
*»Meine Familie, die AfD und ich«, 192 Seiten, Goldmann-Verlag,18 Euro.