Künstliche Intelligenz treibt die Weltwirtschaft an. Technologiekonzerne investieren Hunderte von Milliarden in Datenzentren, um ihre KI-Modelle zu trainieren. An der Börse sind die erwarteten Erträge der KI bereits auf Billionenhöhe hinaufspekuliert worden. Künstliche Intelligenz, so die Hoffnung, soll die Wirtschaft revolutionieren, die Produktivität steigern und damit das ersehnte Wachstum bringen. Aber nicht nur Börse und Konzerne hoffen, auch die Politik spekuliert mit: Über die massive Förderung der KI wollen die USA und China globale technologische Dominanz erlangen und so ihre Weltmacht stärken. Ein Problem bleibt: Bislang ist von dem erhofften Wunder – außer der Spekulation – wenig zu sehen.
Die großen Technologieriesen gehen »all in«: Microsoft hat im vergangenen Quartal rekordhohe 24 Milliarden Dollar investiert, Amazon verdoppelte seine Investitionen auf 31 Milliarden Dollar und Google-Mutter Alphabet plant für das Gesamtjahr 85 Milliarden. Die Hoffnungen auf KI rechtfertigen derzeit aberwitzige Summen: Inklusive der Facebook-Mutter Meta werden die vier Unternehmen 2025 voraussichtlich mehr als 344 Milliarden Dollar dafür ausgeben. Ein Großteil davon fließt in Rechenzentren, die zum Trainieren und Betreiben sogenannter großer KI-Sprachmodelle (LLM) genutzt werden.
Es ist ein Investitionsrennen gegen die Zeit – und gegen die Konkurrenz. »Die Teams müssen ihr Bestes geben, um die Kapazitäten so schnell und effektiv wie möglich bereitzustellen«, erklärte Microsoft-Finanzvorstand Amy Hood. Das Rennen der Konzerne treibt mittlerweile die gesamte US-Wirtschaft an: In der ersten Jahreshälfte machte der IT-Investitionsboom fast das gesamte Wirtschaftswachstum der USA aus.
Erhofft wird von Ökonom*innen und Regierenden ein Produktivitätsschub, der global das lahmende Wachstum antreiben. In der Produktion sollen Roboter durch künstliche Intelligenz immer stärker mit Menschen interagieren und so Stück für Stück ihre Begrenzung auf bestimmte Areale in modernen Produktionshallen verlieren. Autos sollen in wenigen Jahren vollautonom fahren und so die ganze Mobilität verändern. In den Büros soll KI Übersetzer*innen überflüssig und Schreibkräfte deutlich leistungsfähiger machen. In der Wissenschaft sollen ganze Versuchsreihen durch ihre digitale Antizipation ersetzt werden. Die Wirkungen der KI würden »mindestens genauso groß wie die der industriellen Revolution« sein, so die Risikokapitalgesellschaft Sequoia Capital. Die Wachstumsgewinne durch autonome KI werden irgendwo zwischen zwei und vier Billionen Dollar jährlich veranschlagt – eine breite Spanne.
Daher haben auch die Regierungen der mächtigen Staaten die KI als Machtressource der Zukunft entdeckt und fördern die heimische Entwicklung mit Milliarden. Die Erlangung »technologischer Dominanz« ist für die USA das Ziel[1], das neben die militärische Aufrüstung und den Sieg im globalen Handelskrieg tritt. China hält mit seiner eigenen KI-Strategie dagegen[2]. Beide Supermächte werben um die »digitale Kolonie« Europa. Denn künstliche Intelligenz verspricht ihnen nicht nur mehr Wachstum, sondern auch neue Abhängigkeiten der Konkurrenten sowie militärische Vorteile. So soll KI als intelligente Viren den Feind hacken, als Drohnen die modernen Militärfahrzeuge ersetzen und als Strategen die Militärpotenzen zielgenau einsetzen. »Militärisch könnte KI zu einem Kraftmultiplikator werden, der die Effektivität bestehender Streitkräfte drastisch verbessert und die globale Machtdynamik verändert«, so Jostein Hauge von der Universität Cambridge.
In ihrer militärischen Destruktivkraft hat die künstliche Intelligenz ihren Nutzen bereits bewiesen, zuletzt bei ihrem Einsatz durch das israelische Militär, das die KI unter anderem wichtige Angriffsziele in Gaza auswählen ließ. Die ökonomischen Effekte dagegen lassen bisher zu wünschen übrig. Einerseits breitet sich die künstliche Intelligenz aus: Mehr als 700 Millionen Menschen nutzen beispielsweise jede Woche ChatGPT. Autohersteller verkaufen immer mehr zumindest teilautonom fahrende Autos, Finanzdienstleister wickeln Beratung und Kundenkontakte über Robo-Advisor ab.
Die große Frage ist aber: Lohnt sich das, stellen sich auch die Gewinne ein? Es gibt Zweifel. So schaffen die Abo-Modelle von ChatGPT es weder, die horrenden Forschungskosten zu begleichen, noch überhaupt die laufenden Kosten für die Nutzung der Modelle durch die Kunden zu decken. Die bisherigen Milliardenumsätze sind vor allem eines: eine Spekulation auf den zukünftigen Nutzen der Technik.
Zudem zeigen sich erste Risse im Hype um die großen Sprachmodelle, angefangen bei den horrend hohen Kosten bis hin zur Aussicht auf sinkende Renditen. Nach Berechnungen des britischen »Economist« belaufen sich die Gesamteinnahmen der führenden westlichen KI-Unternehmen aus dieser Technologie derzeit auf 50 Milliarden Dollar pro Jahr. Das ist eine große Summe, und sie dürfte wachsen. Allerdings entspricht sie nur einem Bruchteil der 2900 Milliarden Dollar, die die US-Bank Morgan Stanley zwischen 2025 und 2028 weltweit an Ausgaben für neue Rechenzentren prognostiziert – eine Summe, in der die Energiekosten nicht einmal enthalten sind.
Dazu kommen technische Probleme: »Die neuesten Modelle von OpenAI oder Google sind nur geringfügig besser als die älteren, obwohl immer mehr Geld in ihre Entwicklung gesteckt wird«, schreibt der »Economist«. KI neige weiter zu »Halluzinationen« und erschwere Unternehmen im Gesundheitswesen oder in der Rechtsanalyse den Weg zur Einführung. Überdies hat das chinesische Unternehmen DeepSeek vor einigen Monaten mit der Veröffentlichung eines kleineren, effizienteren Modells und der Veröffentlichung seiner Entwürfe im Internet gezeigt, wie unkonventionelle – und billigere – Ansätze den Markt überraschen können. Setzt sich bei KI eine billige Variante durch, könnten all die Investitionsmilliarden westlicher Konzerne umsonst gewesen sein[3].
Zweifel gibt es auch daran, ob sich das KI-getriebene Produktivitätswunder in der gesamten Wirtschaft ausbreiten wird. »Wir hören ständig von spannenden neuen Möglichkeiten, wie KI-Tools zur Bewältigung wirtschaftlicher Probleme beitragen können, und von den damit verbundenen Produktivitätssteigerungen«, erklärt die Europäische Zentralbank[4]. Gleichzeitig gebe es »keinen Konsens über die Auswirkungen dieser Technologie«.
»Trotz Investitionen in Höhe von 30 bis 40 Milliarden Dollar in GenAI erzielen 95 Prozent der Unternehmen keine Rendite.«
Massachusetts Institute of Technology (MIT)
Ungewiss bleibt damit, ob und wann sich die Anwendung von KI in den Bilanzen der Unternehmen widerspiegelt – und ob der Effekt die Kosten der Anwendung rechtfertigt. In dieser Hinsicht niederschmetternd ist eine Studie des renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT)[5]: »Trotz Unternehmensinvestitionen in Höhe von 30 bis 40 Milliarden Dollar in GenAI kommt dieser Bericht zu dem überraschenden Ergebnis, dass 95 Prozent der Unternehmen keine Rendite erzielen.« Nur fünf Prozent der integrierten KI-Pilotprojekte erzielten einen Wert von mehreren Millionen, während die überwiegende Mehrheit ohne messbare Auswirkungen auf die Gewinn- und Verlustrechnung bleibe. »Tools wie ChatGPT und Copilot sind zwar weit verbreitet«, so das MIT. »Über 80 Prozent der Unternehmen haben sie getestet oder in Pilotprojekten eingesetzt, und fast 40 Prozent geben an, sie bereits einzusetzen. Diese Tools steigern jedoch in erster Linie die individuelle Produktivität und nicht die Gewinne.« KI mag technologisch faszinieren, kapitalistisch gesehen funktioniert sie noch nicht.
Das hält die Anleger*innen an der Börse nicht davon ab, weiter auf den Erfolg der KI zu spekulieren. Das belegen die Aktienbewertungen der Technologiekonzerne: 2018 war Apple das erste Unternehmen, dessen Börsenwert eine Billion erreichte, also 1000 Milliarden Dollar. Heute kommt der US-Chipkonzern Nvidia auf 4,1 Billionen Dollar[6], Microsoft ist 3,8 Billionen wert, Alphabet drei Billionen, Amazon 2,5 Billionen und Meta 1,9 Billionen. Gemeinsam erreicht ihr Börsenwert mehr als das Dreifache der deutschen Wirtschaftsleistung eines Jahres. Laut Torsten Slok vom Investmenthaus Apollo sind KI-Aktien höher bewertet als Internet-Aktien im Jahr 1999, kurz vor dem Börsencrash.
In den Börsenkursen liegen die Erwartungen an die KI bereits heute als Billionenwerte vor. Doch ist dieser Reichtum vor allem eins: ein Anspruch an die Arbeitnehmer, die erwarteten Renditen auch zu liefern. Denn sie sind es, deren Produktivität und Leistung mittels KI steigen soll. Sie werden dafür haftbar gemacht, dass die höhere Produktivität auch die Rentabilität fördert, dass die Investitionsmilliarden sich am Ende rechnen und so auch die billionenschweren Aktienbewertungen rechtfertigen.