nd-aktuell.de / 18.09.2025 / Kommentare

Erst das Fressen, dann die Reisereportage

Andreas Koristka fühlt mit armen ARD-Reportern in italienischen Recherchehöllen

Andreas Koristka
Arme Reisejournalisten, die all diese sizilianischen Köstlichkeiten für uns vorkosten müssen.
Arme Reisejournalisten, die all diese sizilianischen Köstlichkeiten für uns vorkosten müssen.

Als Mittelschichtbürger[1] der Bundesrepublik Deutschland ist es mein verfassungsmäßig verbrieftes Recht, mindestens einmal pro Jahr gen Süden zu reisen, um dort die Erwärmung des Mittelmeeres[2] am eigenen Leib zu spüren und die Einheimischen mit meinem durchaus funktionalen Schulenglisch zu erfreuen. Dieses Jahr beehre ich während der Herbstferien Sizilien mit meiner Anwesenheit.

Dieser Umstand wirft lange Schatten voraus. Meine Frau hat bereits vor Wochen einen Reiseführer gekauft, aus dem sie mir gelegentlich vorliest, wenn die Kinder im Bett liegen. Neulich äußerte sie den Verdacht, dass ich ihr dabei nicht aufmerksam genug zuhören würde, weil sie gewisse nonverbale Signale (geschlossene Augen, Sabberfaden zwischen Mundwinkel und Kissen) als Zeichen geistiger Abwesenheit wertete.

Um meinem schlichten Gemüt und meiner kurzen Aufmerksamkeitsspanne entgegenzukommen, wollte sie eine Dokumentation aus der ARD-Mediathek[3] streamen. Wozu bezahlen wir schließlich unser GEZ-Abo? Als sie durchs intuitive Bedienparadies der Mediathek surfte, machte sie eine interessante Entdeckung: In fast jeder Sizilien-Sendung, die sie fand, ging es ums Essen. Oft verrieten das schon die Titel: »Köstliches Sizilien – Der Geschmack des Nordens«, »Köstliches Sizilien – Im Schatten des Ätna«, »Köstliches Sizilien – Der fruchtbare Süden«, »Sizilien – aus der Reihe ›Der Geschmack Europas‹«, »So isst Sizilien«, »Sizilien genießen« und »Sizilien – Fressen, fressen, fressen!«

Selbst die Dokumentationen ohne kulinarischen Bezug im Titel brauchten selten länger als zwei Minuten, bis irgendein Hotelkoch auf dem Marktplatz die vielleicht letzten gefischten Mittelmeertiere befummelte oder sich irgendwer Cannoli siciliani ins Maul schob.

Das Drehen von Reisereportagen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk macht offensichtlich hungrig. Das ist verständlich. Ich fahre nur zum Vergnügen nach Sizilien. Deshalb kann ich nach alter Väter Sitte kopfschüttelnd die Lokalität verlassen, sobald ich die Preise auf der Speisekarte gelesen habe. Für manche Mitarbeiter der ARD ist das aber unmöglich, weil das Essen laut Rundfunkstaatsvertrag ihr Beruf ist! Dazu gehört schließlich die Mittagspause. Einem Bauarbeiter wirft man auch nicht vor, wenn er sich um 12 Uhr ein paar Knacker und den Nudelsalat von Homann reinpfeift.

Reisejournalisten finden es unangenehm, wenn sie sich in entlegenen Regionen der Welt bekochen lassen müssen. Sie sitzen mit ihren zum Bersten gefüllten Bäuchen in den urtümlichsten Restaurants und sehnen die karge Kost ihrer Heimat herbei. Doch sie sind Profis: Im fertigen Film sieht man die Tränen nicht, die sie vergossen, als sie sich nach dem Hauptgang auch noch fünf Arancini reindrücken mussten. Wir erfahren nichts vom harten Arbeitsalltag dieser mutigen Menschen, die bei der Abreise kaum noch in die schmalen Flugzeugsitze passten. Sie opferten ihre Bikinifigur für freie Berichterstattung und die Vielfalt des öffentlich-rechtlichen Medienangebots. Wenn der Rundfunkbeitrag die einzige Chance ist, diese armen Menschen zu unterstützen, zahle ich diesen Preis gern.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193673.finanzpolitik-die-unwucht-des-steuersystems.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193642.spanien-in-kataloniens-kochtoepfen.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193676.helge-schneider-the-klimpersclown-wer-warum-fragt-hat-schon-verloren.html