nd-aktuell.de / 19.09.2025 / Politik

Großte Beteiligung an Protesten

Eine Million Teilnehmer am Streik- und Aktionstag der französischen Gewerkschaften

Ralf Klingsieck, Paris
In zahlreichen Städten Frankreichs, wie hier in Nizza, sind Menschen dem Aufruf der Gewerkschaften zu Demonstrationen gegen Haushaltskürzungen gefolgt.
In zahlreichen Städten Frankreichs, wie hier in Nizza, sind Menschen dem Aufruf der Gewerkschaften zu Demonstrationen gegen Haushaltskürzungen gefolgt.

Ein breites Bündnis hatte dazu aufgerufen, am Donnerstag durch eine massive Beteiligung an Streiks und Protesten gegen den von Frankreichs Regierung geplanten Sparhaushalt für 2026 zu protestieren, der einmal mehr zu Lasten der sozial Schwächsten gehe.

Es war seit den Auseinandersetzungen 2023 um die Rentenreform das erste Mal, dass die acht größten Gewerkschaften wieder einen gemeinsamen Appell verabschiedet haben. Sie sind sich einig in der strikten Ablehnung des Budgets[1], das die Regierung von Premier François Bayrou ausgearbeitet hat und über das er vor Tagen gestürzt ist.

Auch sein Nachfolger Sébastien Lecornu hält daran fest. Dieser empfing in den vergangenen Tagen die führenden Politiker aller im Parlament vertretenen Parteien und Vertreter der großen Gewerkschaften zu Konsultationen über den Haushaltsentwurf empfangen. Dabei versuchte er, die Konfrontation mit geringfügigen Zugeständnissen zu entschärfen.

So erklärte Lecornu die Idee seines Vorgängers, zwei gesetzliche Feiertage abzuschaffen und das an diesen Tagen erarbeitete Geld in die Staatskasse zu lenken, für »null und nichtig«. Doch das konnte die Gewerkschafter und die Politiker der Linksparteien nicht davon überzeugen, dass eine entscheidende Wende beabsichtigt ist.

Um entsprechenden Druck auf die Regierung auszuüben, war der Streik- und Aktionstag vom Donnerstag genau richtig, meinen sie. Nach Angaben der Gewerkschaft CGT nahmen an den landesweit mehr als 250 Demonstrationen insgesamt mehr als eine Million Menschen teil. Dagegen hat die Polizei landesweit insgesamt nur 505 000 Demonstranten gezählt, davon 55 000 in Paris. Das liegt zwar weit unter den Zahlen der Demonstrationen 2023 gegen die Rentenreform, ist aber doppelt so viel wie der improvisierte »Blockadetag« am 10. September auf die Straße bringen konnte, schätzen die Gewerkschaften ein[2].

Die seit Tagen von Innenminister Bruno Retailleau als Gefahr heraufbeschworenen gewalttätigen Ausschreitungen bis hin zu Sabotageakten gegen lebenswichtige Infrastrukturen sind ausgeblieben. Es gab nur vereinzelte Provokationen und Zusammenstöße gewaltbereiter Demonstranten mit der Polizei, die zumeist mit dem Einsatz von Tränengas reagierte. Vor allem gab es solche Zwischenfälle bei der Auflösung der Demonstrationszüge.

Insgesamt wurden 181 und allein in Paris 31 Demonstranten aufgrund von Ausschreitungen oder Sachbeschädigungen am Rande der Demonstrationen verhaftet und der Justiz zugeführt. Acht Polizisten und ein Gendarm wurden verletzt, zumeist durch Steinwürfe. Am Rande einer Demonstration in Lyon wurde auch ein Journalist getroffen.

Sophie Binet, die Vorsitzende der Gewerkschaft CGT, erklärte, dass »allein schon die Mobilisierung so vieler Menschen ein großer Erfolg war«. Die CGT habe in vielen Städten und Gemeinden, aber auch in Betrieben, in denen die Gewerkschaft stark verankert ist, Meetings zu diesem Thema durchgeführt. Das habe sich bewährt und werde fortgesetzt.

Marylise Léon, die Generalsekretärin des Gewerkschaftsverbandes CFDT, wertet die Aktionen vom Donnerstag als ein »sehr klares Warnsignal« an Premierminister Lecornu. Sie fordert nachdrücklich, dass die Lasten der Politik zur Senkung der Staatsschulden nicht allein den Arbeitnehmern aufgebürdet werden. Das Budget werde künftig »von der Straße mitgeschrieben«. Nur so könne gewährleistet werden, dass es sozial, steuerlich und ökologisch gerecht sein wird.

Jean-Luc Mélenchon von der linken Bewegung La France insoumise schätzt ein, dass dieser Streik- und Aktionstag ein bedeutendes Ereignis war, das über die Dimensionen der Gewerkschaften hinaus Auswirkungen haben wird[3]. Er griff Innenminister Bruno Retailleau scharf an, nannte ihn eine »wandelnde Provokation« und warf ihm vor, er brauche Gewalt und Zwischenfälle, um seinen politischen Stellenwert zu behaupten. Mélenchon rief zu Disziplin bei Demonstrationen auf und warnte vor den »Auswirkungen überschäumender Energie«, die dem Anliegen schaden.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194147.generalstreik-protesttag-in-frankreich-echte-kraftprobe.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193984.frankreich-vom-strassenkampf-zur-bewegung.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193996.proteste-proteste-in-frankreich-die-erste-warnung.html