Lange war das dänische Unternehmen Novo Nordisk vor allem als Weltmarktführer in der Insulinproduktion bekannt. Im Jahr 2023 stieg der Pharmahersteller plötzlich zum wertvollsten börsennotierten Unternehmen Europas auf und überholte damals sogar den französischen Luxuskonzern LVMH. Das Diabetesmittel Ozempic und die Abnehmspritze Wegovy hatten für starke Umsatzzuwächse gesorgt. Könnte der Goldrausch nun schon wieder vorbei sein?
Hinter dem Markennamen der Abnehmspritze Wegovy verbirgt sich Semaglutid, ein GLP-1-Rezeptoragonist, der unter anderem das Hungergefühl reduziert. Nur als Anti-Diabetikum zugelassen ist Ozempic, das ebenfalls auf Semagutid basiert. Die Nachfrage nach den beiden verschreibungspflichtigen Medikamenten [1]war teils so groß, dass Novo Nordisk Ende 2024 Lieferengpässe vermelden musste.
Aber die Konkurrenz schläft nicht und will ihren Anteil an dem riesigen globalen Markt für die Produkte haben, die eine Gewichtsabnahme medizinisch zusichern[2] und/oder gleichzeitig auch gegen Diabetes-Typ-2 wirksam sind. Zudem machen auch auslaufende Patente dem dänischen Pharmariesen zu schaffen. Davon profitieren will unter anderem das in London ansässige Unternehmen Hikma Pharmaceuticals, das auch Generika herstellt.
Kräftig bergab mit der Aktie ging es aber schon nach der Ernennung des neuen Firmenchefs Mike Doustdar im Juli: Noch einmal 70 Milliarden Dollar des Börsenwerts wurden vernichtet. Mitte 2024 war der Konzern noch 650 Milliarden Dollar wert, inzwischen ist man bei 236 Milliarden Dollar angekommen.
Mit einer Umbesetzung an der Konzernspitze kommen auch die ersten Konsequenzen in Sachen Personal: Am 10. September wurde bekannt, dass im Zuge eines Unternehmensumbaus 9000 Stellen von insgesamt 78 400 wegfallen sollen, 5000 davon in Dänemark selbst. Das würde die größte Kündigungswelle in der Geschichte des Landes mit sich bringen. Damit will man in Bagsværd bei Kopenhagen, wo Novo Nordisk seinen Firmensitz hat, acht Milliarden dänische Kronen einsparen (1,08 Milliarden Euro).
Überholt im Segment der Abnehmspritzen wurde Novo Nordisk von Eli Lilly aus den USA. Der Konkurrent aus Indianapolis gehört schon länger zu den weltweit stärksten Pharmaherstellern. Überschneidungen im Geschäftsfeld gibt es ebenfalls nicht erst seit gestern: Beide Hersteller gehören zu den Hauptproduzenten von Humaninsulin zur Behandlung von Typ-1-Diabetes, wobei Novo Nordisk seine entsprechenden Produkte bis Ende 2026 in Deutschland vom Markt nimmt.
Aber auch auf dem Feld der Abnehmspritzen ist Eli Lilly besser aufgestellt. Die eigenen Präparate Mounjaro und Zepbound (auf Basis des Wirkstoffs Tirzepatid) erzielen höhere Umsätze und sind besser verfügbar. Bei den Abnehmtabletten konnten die US-Amerikaner ihr erstes Produkt für 2026 ankündigen. Im Frühjahr wurden bereits Daten aus einer Phase-III-Studie für das Präparat Orforglipron vorgestellt. Demnach sollte die tägliche Einnahme von einer solchen Tablette mittelfristig zu einem Gewichstsverlust von knapp acht Prozent führen. Das ist eine mit Mounjaro vergleichbare Wirksamkeit.
Auch dieses Medikament dockt am GLP-1-Rezeptor an und verzögert die Magenentleerung, hemmt den Appetit und die Insulinsekretion. Zu den bekannten Effekten auf das Körpergewicht und Glukagonhemmung gehören aber auch Wirkungen auf kardiovaskuläre Risikofaktoren, Leber- und Nierenfunktion, Entzündungsprozesse im Nervensystem (etwa bei Alzheimer) und sogar auf Suchterkrankungen. Entwickelt wurde Orforglipron ursprünglich vom japanischen Unternehmen Chugai, aber Lilly sicherte sich rechtzeitig die Lizenz. Eine Besonderheit ist hier noch die schwierige Herstellung in 30 Syntheseschritten. Mit einer Zulassung gäbe es jedoch die erste GLP-1-Therapie zur Gewichtsreduktion in Tablettenform. Geringere Logistikkosten, darunter eine entbehrliche Kühlkette, könnten unschlagbare Vorteile auf dem globalen Markt bringen.
Bei den Dänen war hingegen die Abnehmpille Cagrisema im Hinblick auf die erwartete Wirksamkeit eine Enttäuschung. Auch Pfizer und Roche werden absehbar neue GLP-1-Produkte auf den Markt bringen, während Astrazeneca mit Byetta schon 2005 im Geschäft war. Hinzu kommen Nachahmerprodukte, die sich gerade in den USA gut verkaufen lassen und gegen die Novo Nordisk juristisch erfolglos blieb.
Nicht zuletzt hatte wiederum Eli Lilly ein sicheres Händchen, sich in Deutschland als dem größten europäischen Markt in Stellung zu bringen: So wurde im vergangenen Jahr ein Medizinforschungsgesetz verabschiedet[3], das den Weg für vertrauliche Preisverhandlungen bei Medikamenten frei machte. Schnell wurde es als »Lex Lilly« bekannt, da die Regel wie eine Gefälligkeit wirkte, um dem US-Hersteller eine Investitiontsentscheidung in Deutschland zu erleichtern. Im April 2024 erfolgte dann der symbolische erste Spatenstich in Alzey (Rheinland-Pfalz), wo Lilly in Zukunft injizierbare Medikamente fertigen will. Das neue Gesetz wird nun zum ersten Mal in Anspruch genommen, wie Ende Juli bekannt wurde: Von Eli Lilly in Sachen Mounjaro.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194187.novo-nordisk-mehr-als-nur-gewichtsverluste.html