nd-aktuell.de / 21.09.2025 / Politik

Krieg und Hunger im Jemen

Nach Jahren der Annäherung eskaliert die Lage wieder – mit massiven sozialen Folgen

Oliver Eberhardt, Kairo
Särge von jemenitischen Journalisten, die bei israelischen Luftangriffen getötet worden sein sollen
Särge von jemenitischen Journalisten, die bei israelischen Luftangriffen getötet worden sein sollen

Der Kontrast ist grell und geht auch an den Menschen in der arabischen Welt nicht vorbei. »Wie viel kostet so eine Rakete?«, fragt Mansur Schukri wütend, während er in einem Kairoer Café auf den Fernseher starrt. Der arabische Nachrichtensender Al-Dschasira zeigt Bilder von einem Raketeneinschlag in ein Hotel in Eilat, einem israelischen Badeort am Roten Meer. Abgeschossen wurde die Rakete von Milizen der Huthi-Organisation im Jemen, mehr als 2000 Kilometer entfernt. Wenige Minuten zuvor hatte Al-Dschasira Bilder aus dem Jemen selbst gezeigt, von Hunger und Gewalt berichtet. »Wie kann das sein?«, wundert sich Schukri, und jene in seiner Nähe stimmen zu: »Die Huthi können nicht für ihre Bevölkerung sorgen, aber Geld für Waffen ist da?«

Eine Woche zuvor hatten der Sondergesandte der Vereinten Nationen für den Jemen, Hans Grundberg, und UN-Nothilfekoordinator Tom Fletcher dem Sicherheitsrat in New York Bericht erstattet: »72 Prozent der Haushalte im Jemen haben nicht genug Nahrung, um den täglichen Bedarf zu decken«, sagte Fletcher bei dieser Gelegenheit: »Das ist der höchste je gemessene Wert im Land.« Grundberg wiederum wies auf eine zunehmende Zahl an Kämpfen zwischen den Huthi, den Truppen der international anerkannten Regierung und einer unüberschaubaren Zahl an weiteren Milizen hin.

Noch vor gut einem Jahr galt die Entwicklung im Jemen als diplomatisches Meisterstück: Huthi und Regierung hatten sich auf eine Waffenruhe, dann auf einen Waffenstillstand geeinigt sowie Verhandlungen über die künftigen Regierungsstrukturen aufgenommen. Übrig ist davon kaum noch etwas: Nach dem Beginn des Gaza-Kriegs im Oktober 2023 begannen die Huthi überraschend damit, Schiffe auf dem Weg ins Rote Meer anzugreifen; erstmals wurden Raketen und Drohnen auf Israel abgefeuert. Als Reaktion griffen zunächst die USA und Großbritannien, dann auch Israel selbst Ziele im von den Huthi kontrollierten Norden des Jemen an. Vor gut drei Wochen wurden dann bei einem israelischen Militärschlag der Huthi-Regierungschef Ahmed Ghaleb Al-Rahawi und neun seiner Minister getötet.

Dies wiederum bot der international anerkannten Regierung eine Steilvorlage, wieder stärker gegen die Milizen der Huthi vorzugehen. [1]In vielen Provinzen wird nun wieder gekämpft, wobei über Opferzahlen nahezu nichts bekannt ist. Wegen des weitgehenden Zusammenbruchs der medizinische Infrastruktur hat hier niemand Zeit für solche Statistiken; Tote werden zudem möglichst schnell begraben. Denn der über zehn Jahre dauernde Krieg hat auch die Infrastruktur im Norden des Jemen weitgehend zerstört. Das Resultat: Krankheiten wie die Cholera sind weit verbreitet. »Die Situation hier wird immer unerträglicher«, berichtet ein Kontakt in der Huthi-Hauptstadt Sana’a, der anonym bleiben möchte. Denn die Regierung und die Kämpfer der Huthi sind in den vergangenen Jahren zunehmend aggressiver und erratischer geworden, auch gegenüber ihrer eigenen Öffentlichkeit. Man versuche, »jedes Wort zu kontrollieren«; wer im Verdacht stehe, mit der Regierung oder dem Westen zu kooperieren, werde verhaftet, verschwinde auf lange Zeit im Gefängnis. Die Rechte von Frauen seien mittlerweile stark eingeschränkt worden, ebenso wie die Pressefreiheit.

Ursprünglich war es im Bürgerkrieg um eine stärkere Dezentralisierung der Machtstrukturen im Jemen gegangen: Die Huthi-Bewegung war Anfang der 1990er Jahre aus jenem Teil der Bevölkerung entstanden, die dem Zaiditismus folgen, einer im Norden des Landes starken Strömung des schiitischen Islam. Der Name Huthi stammt von jener Familie, die traditionell die Führung der Bewegung stellt. Bis 1962 hatten zaiditistische Imame den Norden des heutigen Jemen regiert. Danach herrschte in dieser Bevölkerungsgruppe ein starkes Gefühl der Marginalisierung durch die Regierung.

Doch während Zehntausende gegen die Truppen der Regierung kämpften und immer mehr Gebiete unter ihre Kontrolle brachten, wurde die Huthi-Führung immer autokratischer. Mit Beginn des Gaza-Krieges stellte man sich auf die Seite der Hamas, zog sogar aktiv an ihrer Seite in den Krieg. Viele Beobachter werten dies als Versuch, die eigene Position in den Verhandlungen mit der Regierung zu verbessern, indem man sich in der arabischen Welt als Verbündete der Palästinenser präsentiert. Es wird aber auch darauf hingewiesen, dass die Entscheidungen schon seit Langem nicht mehr von Regierungschef Al-Rahawi, sondern von Vertretern der iranischen Revolutionsgarden getroffen werden. Deren Führung in Teheran unterstützt die Huthi seit Jahren mit Geld, Waffen und Ausbildern. Grund: Der Nord-Jemen liegt direkt am Bab Al-Mandab, einer Meerenge, die Schiffe von und zum Suezkanal passieren müssen.

Dass die Menschen hungern und einer ständigen Krankheitsgefahr ausgesetzt sind, liegt aber nicht allein daran, dass Geld lieber in Waffen als in Nahrungsmittel, Medikamente und Infrastruktur investiert wird. [2]Die Führung der Huthi sieht in den Mitarbeitern der internationalen Hilfsorganisationen »feindliche Agenten« und »Spione«. Seit den ersten Militärschlägen der USA und Großbritanniens im Herbst 2024 durchsuchten Huthi-Milizen immer wieder Einrichtungen der Uno und inhaftierten mehr als 50 Mitarbeiter. Nur einer wurde freigelassen, ein weiterer starb in Haft. »Viele der Festgenommenen haben ihr Leben damit verbracht, die Bedingungen in ihrem Land zu verbessern«, schreibt Niku Jafarnia, Mitarbeiterin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, in einer Analyse: »Die Huthi haben keine Beweise für den Vorwurf der Spionage vorgelegt.«

Der Uno-Sondergesandte Hans Grundberg versuchte dennoch vor dem Sicherheitsrat ein Zeichen der Hoffnung zu senden: »Wir müssen uns wieder auf den Jemen fokussieren, um sein großes Potenzial zu entfalten.«

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192549.jemen-krieg-nach-aussen-fragile-ruhe-im-inland.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1188188.buergerkrieg-jemen-die-kinder-leiden-am-meisten.html