Ich bin mir nicht sicher, ob, um einer besseren Zukunft willen, nicht das Wort »Leistung« ganz aus dem Wortschatz entfernt werden sollte. Sicher ist jedenfalls: Die Politiker sprechen gegenwärtig wieder gern von »Leistung«. Wer keine Leistung erbringe, dürfe nicht erwarten, Hilfe vom Staat zu erhalten; wer Leistung »verweigere«, müsse mit Sanktionen belegt und geschurigelt werden; nur »Leistungswilligen« stünde das Privileg zu, sogenannte gehobene gesellschaftliche Positionen einzunehmen.
Früher, in den 80er Jahren, haben so nur Politiker vom rechten Rand des politischen Spektrums dahergeredet. Oder der Mann vom Arbeitgeberverband. Heute dagegen, in unserer rechtsblauversifften Zeit, in der selbst für einen Menschen, der das politische Geschehen interessiert verfolgt, nicht mehr zu unterscheiden ist, ob da vorne am Redepult gerade ein Nazi von der blauen Partei spricht oder ein Sozi vom Seeheimer Kreis, gehört diese Mischung aus freimütig hervorgekehrtem Sozialdarwinismus und deutschem Arbeitsfetisch längst auch in den Köpfen von Grünen und Sozialdemokraten zur Standardausstattung.
Jedenfalls ist die Zahl talentloser junger Leute mit ausgeprägter narzisstischer Persönlichkeitsstörung, die infolge von Vetternwirtschaft an bestimmte gesellschaftliche Positionen gekommen sind, hierzulande nicht gering.
Die rund um die Uhr in sämtliche Medienkanäle geblasene Leistung-Leistung-Leistung-Demagogie der vergangenen 30 Jahre (die wiederum für gewöhnlich von dort ohne die geringste Spur einer kritischen Anmerkung in die Öffentlichkeit strömt) hat Spuren hinterlassen. So ist vielleicht auch das Gefühl zu erklären, das man empfindet, wenn man deutschen Politikern zuhört: dass sie allesamt ihre Grundausbildung an der Otto-Graf-Lambsdorff-Schule für fortgeschrittene Kapitalismuspropaganda absolviert haben. Hm. Möglicherweise ist es ja gar nicht nur ein Gefühl.
Doch was ist eigentlich dran an den angeblichen Leistungen jener, die anderen permanent Leistung abverlangen? Hat ein seelenloser Sprechautomat wie dieses Leitzordnergesicht von der CDU, das große Ähnlichkeit mit Smithers aus der Serie »Die Simpsons« aufweist, etwa schon einmal etwas anderes »geleistet« als genau das: als Propagandasprechautomat zu fungieren? (Eine Tätigkeit, die im Grunde keine erkennbaren anderen »Leistungen« umfasst als das fortgesetzte Aussprechen von Unwahrheiten, das Schönreden von unguten Zuständen und das Verbreiten von Hetze gegen wehrlose Menschen.)
Offenbar ja: Er hat Betriebswirtschaftslehre »studiert«, war dann als Volkswirt bei einer der Deutschen Bank gehörenden »Denkfabrik« zugange, die hauptsächlich als »Plattform zur Auswertung (…) der Finanzmärkte« dient, und war danach beschäftigt bei einer Bank, die »ihren Kunden Kredite, Kapitalmarkt- und Beratungsdienstleistungen sowie Einlagemöglichkeiten zur Verfügung stellt« (Wikipedia). Man kann das einfacher sagen: Er war vor seiner Politgockelkarriere als Ausbeutungsexperte tätig. Wie »leistungswillig« der Mann tatsächlich ist, würde sich sehr rasch erweisen, wenn man ihn in eines jener Zwangsarbeitsverhältnisse steckte, in die er Erwerbslose, Alte und Kranke stecken möchte.
Wenn man schon täglich die Absicht erklärt, aus der stolzen deutschen Kultur-, Bildungs- und Leistungsgesellschaft (Goethe! Thomas Mann! Neuschwanstein! Volkswagen! Deutsche Bank! Holocaust!) jene herauszufiltern, die angeblich keinen gesellschaftlichen Mehrwert erzeugen, die also nichts Nennenswertes leisten, nichts können oder nichts wissen, muss man das konsequent tun.
Man könnte sich etwa einmal dem Phänomen der »Nepo-Babys« (Nepotismus-Babys) zuwenden. So werden Personen genannt, denen ausschließlich aufgrund der Beziehungen oder des Bekanntheitsgrads ihrer Eltern eine Karriere offensteht. Die Beispiele sind viele. Carsten Linnemanns Eltern beispielsweise leiteten ein Unternehmen, das »lange Zeit eine der zehn umsatzstärksten Buchhandlungen in Nordrhein-Westfalen« (Wikipedia) war.) Jedenfalls ist die Zahl talentloser, ahnungsfreier junger Leute mit ausgeprägter narzisstischer Persönlichkeitsstörung, die infolge von Vetternwirtschaft, der Wirksamkeit ausgeklügelter Amigo-Systeme und des »Eine-Hand-wäscht-die-andere«-Prinzips an bestimmte gesellschaftliche Positionen gekommen sind, hierzulande nicht gering. Um das zu wissen, reicht ein Blick in den Sektor der Unterhaltungsindustrie, wo, kaum anders als in der Politik, der Bedarf an Laufstegdebütanten, Frühstücksdirektoren, Hupfdohlen und anderen Adabeis traditionell hoch ist.
Aktuellstes Beispiel ist die Tochter des bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), Gloria-Sophie Burkandt, von Beruf »Model und Influencerin«. Derzeit besteht ihre hauptsächliche Leistung darin, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zu ziehen. Als Teilnehmerin der TV-Show »Deutschlands dümmster Promi« erkannte sie auf Fotos weder Helmut Kohl (»Wegen seiner Krawatte, die mit Blümchen ist, glaube ich, er ist ein SPDler … er hat ganz warme Augen«) noch Konrad Adenauer (»Ich hab’ 1000 Namen im Kopf, aber irgendwie, glaube ich, will ich lieber nichts sagen«). Gut möglich, dass sie auch Adenauers Vorgänger nicht erkennen oder ihn wegen seines Schnurrbarts für »einen SPDler« halten würde, warme Augen hin oder her.
Man sollte sich hierbei vergegenwärtigen, dass diese Person Universitätsabsolventin ist. Zugegeben: im selben Fach, das auch Linnemann studiert hat. Adorno wird da jedenfalls nicht gelesen. Sagen wir’s mal so: Die schleichende Privatisierung der Hochschulen und der finanzielle Kahlschlag, der dort in den vergangenen 30 Jahren auf Betreiben der CDU/FDP stattgefunden hat, hat allem Anschein nach – um im Jargon der Linnemanns und anderer Leistung-Leistung-Leistung-Leierkastenmänner zu bleiben – den »Bildungsstandort Deutschland nicht aufgewertet«.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194207.die-gute-kolumne-kalte-zeiten-warme-augen.html