Selbst wenn das wunderschöne Bürokratie-Wort »Straßenbegleitgrün« den wenigsten Stadtbewohner*innen bekannt ist, kann man das Grün an fast jeder Ecke in Berlin entdecken. Diese meist unbeachteten kleinen grünen Flächen haben viel Potenzial. Von der Wildrose am Zaun bis zu weiteren regionalen Wildblumen: Aufgewertetes Straßenbegleitgrün fördert die Biodiversität Berlins und bietet Tieren wichtige Lebensräume.
Nun wird der Verein Plan B 2030 vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg gefördert, um das Pilotprojekt Koordinierungsstelle Gemeinschaftliches Gärtnern umzusetzen und das Straßenbegleitgrün in der Nachbarschaft zu pflanzen und zu pflegen.
Worauf Bürger*innen beim Pflanzen von Straßenbegleitgrün achten sollen, erklärt Annie Stamm-Grossjohann in Workshops. Sie ist erst seit Kurzem beim Verein und leitet Workshops, Pflanzaktionen und Sprechstunden für die neue Koordinierungsstelle. Die erste Pflanzaktion war mit 20 interessierten Bürger*innen ein voller Erfolg. »Das Ökosystem ist wie ein Puzzle. Wenn eine Pflanze aus einem ganz anderen Ökosystem kommt, hat sie weniger ökologischen Wert für regionale Tiere«, sagt Stamm-Grossjohann zu »nd«. So spielt sie auf die symbiotischen Beziehungen zwischen Wildpflanzen und Tieren an. »Jedes Mal, wenn eine Fläche versiegelt wird, verlieren wir Lebensraum. Wildpflanzen und Insekten sind unglaublich wichtig, damit das System weiterhin funktioniert.«
Der Berliner Straßenraum sei für die Pflanzen ein besonders hartes Pflaster, so Stamm-Grossjohann. »Wegen Mülls, Abgasen, Hunden und Dürre müssen hier Pflanzen echt tough sein.« Anfänger*innen empfiehlt sie, mehrjährige Wildpflanzen[1] wie etwa Wilde Malve, Wiesensalbei und Ackerglockenblumen zu pflanzen. Diese kommen mit verschiedenen Boden- und Lichtverhältnissen klar und halten auch Trockenperioden aus. Sie bieten Nahrung und Lebensraum für Insekten, lockern mit den Wurzeln den Boden auf, kühlen die Umgebung und halten Feuchtigkeit im Boden, sagt Stamm-Grossjohann.
Neugierigen empfiehlt Stamm-Grossjohann die Website www.naturadb.de[2], um passende Pflanzen für die ausgewählte Ecke zu finden. Sie selbst berät Interessierte bei Sprechstunden der Koordinierungsstelle. »Egal ob man noch keine Ahnung hat oder schon seit Jahren ein Gartenstück betreut und Rat benötigt, unser Ziel ist, persönliche Beratung zu bieten und urbanen Gärtner*innen unter die Arme zu greifen«, sagt Stamm-Großjohann. Man vermittle dabei auch die Gärtner*innen mit den Projektflächen, die schon vom Straßen- und Grünflächenamt freigegeben worden seien.
Denn die Koordinierungsstelle Gemeinschaftliches Gärtnern[3] soll Schnittstelle zwischen Ämtern und Gärtner*innen in der Nachbarschaft sein, sagt Stamm-Großjohann. Das solle auch den Arbeitsaufwand des Bezirks verringern. Das Pilotprojekt erhält dafür von Juli bis Dezember 2025 eine Förderung der Senatsumweltverwaltung. Auch Gemeinschaftsgärten sollen von der Koordinierungsstelle Unterstützung bekommen.
Beim Gärtnern im öffentlichen Raum müssen allerdings einige Auflagen beachtet werden. »Jeder Akteur hat eigene Bedürfnisse«, erklärt Stamm-Grossjohann. »Dem Bezirk geht es oft um Haftung und Verkehrssicherheit. Auch Gemüse und Obst sollen im Straßenraum nicht angebaut werden.« Grund dafür sei, dass man keine Ratten anlocken wolle und gleichzeitig kein durch Autoabgase verunreinigtes Essen haben wolle.
Die Koordinierungsstelle will in Workshops und Beratungen einen Durchblick durch den Bürokratiedschungel verschaffen. Aber selbst wenn alle Dokumente richtig ausgefüllt werden, müssen auch beim Pflanzen viele Details beachtet werden. »Beim Bepflanzen von Baumscheiben ist es wichtig, nicht die Wurzeln des Baums zu beschädigen«, so Stamm-Grossjohann. Die Koordinierungsstelle Gemeinschaftliches Gärtnern soll Bürger*innen ermöglichen, selbst aktiv zu werden. Das sei auch deshalb erwünscht, weil die Bezirke nicht genügend eigene Mittel und Kapazitäten haben, um Biodiversität zu fördern, sagt Stamm-Grossjohann.
Das zeigt sich auch im aktuellen Haushaltsentwurf des schwarz-roten Senats: Für 2026/2027 sollen laut Umweltverband BUND Berlin 99 Prozent des Berliner Energie- und Klimaschutzprogramms (BEK) gekürzt werden. In einer Presseerklärung bezeichnete der BUND die Sparpolitik als Bankrotterklärung für Klima- und Umweltschutz. »Anstatt die Klimakrise ernsthaft anzugehen, Grünflächen zu sichern, die Verkehrswende voranzubringen und Abfallmengen zu reduzieren, setzt der Entwurf auf Einsparungen zulasten unserer natürlichen Lebensgrundlagen und einer nachhaltigen Stadtentwicklung«, so Gabi Jung, Landesgeschäftsführerin des BUND Berlin.
Doch davon lässt sich Stamm-Grossjohann nicht beirren: »Wir müssen es halt trotzdem schaffen.« Denn Biodiversität sei notwendig, um die Stadt klimaresistenter zu machen[4], die Kieze zu kühlen, Lebensräume für Tiere zu bieten und Regenwasser im natürlichen Wasserkreislauf zu behalten. Stamm-Grossjohann ist optimistisch, dass das Projekt auch nach 2025 weiterbestehen wird. »Die Förderung des Projektes ist ein gutes Zeichen. Aber um unsere Klima- und Biodiversitätsziele zu erreichen, benötigen wir eine Förderung für 2026 und darüber hinaus.«