nd-aktuell.de / 22.09.2025 / Politik

Nächster Versuch einer Verfassungsrichterwahl

Bundestag soll am Donnerstag über Neubesetzung von Posten in Karlsruhe abstimmen

Jana Frielinghaus
Auch gegen SPD-Kandidatin Kaufhold wird von rechts mobilgemacht.
Auch gegen SPD-Kandidatin Kaufhold wird von rechts mobilgemacht.

Unionsfraktionschef Jens Spahn versicherte am Sonntagabend noch einmal, dass CDU und CSU am Donnerstag alle drei für das Bundesverfassungsgericht nominierten Richter*innen wählen werden. Am Montagabend wollte der Wahlausschuss des Bundestages noch einmal beraten und die Kandidat*innen befragen. Derzeit sind das die von der SPD vorgeschlagenen Juristinnen Sigrid Emmenegger[1] und Ann-Katrin Kaufhold [2]sowie der von den Unionsparteien nominierte Günter Spinner, bisher Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht. Während Kaufhold und Spinner von dem Gremium bereits nominiert wurden, steht dieser Schritt für Emmenegger noch aus.

Anfang Juli war die Wahl kurzfristig von der Tagesordnung des Bundestages genommen worden, nachdem viele Abgeordnete der C-Parteien angekündigt hatten, der von der SPD vorgeschlagenen Potsdamer Juraprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf ihre Zustimmung zu verweigern[3]. Dabei hatte die Union der Personalie im Wahlausschuss bereits zugestimmt.

Dem Vorgang war eine von rechten und konservativen Medien sowie kirchlichen Lobbygruppen orchestrierte Kampagne[4] gegen Brosius-Gersdorf vorangegangen, in der unter anderem fälschlich behauptet worden war, die 54-Jährige befürworte Schwangerschaftsabbrüche »bis einen Tag vor der Geburt des Kindes«. Ihre Positionen, dass eine Impfpflicht im Pandemiefall grundgesetzkonform wäre und dass ein Kopftuchverbot für muslimische Juristinnen im Staatsdienst verfassungswidrig sei, wurden skandalisiert.

Die SPD schickt nun mit Sigrid Emmenegger eine, wie die Linke-Vorsitzende Ines Schwerdtner es am Montag ausdrückte, »politisch unbefleckte Kandidatin« ins Rennen. Die Richterin am Bundesverwaltungsgericht hat sich bislang nicht zu politisch umkämpften Sachverhalten geäußert.

Die 16 Verfassungsrichter*innen in Karlsruhe sind für maximal zwölf Jahre gewählt. Außerdem gibt es eine Altersgrenze von 68 Jahren. Verfassungsrichter Josef Christ wurde im November 68. Im Juni feierte die Vizepräsidentin des Gerichts, Doris König, ihren 68. Geburtstag. Auf eigenen Wunsch scheidet auch Ulrich Maidowski aus, der seit 2014 Verfassungsrichter ist. Dadurch gibt es drei Vakanzen gleichzeitig.

Die Mitglieder des obersten deutschen Gerichts werden je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat gewählt. Diesmal ist der Bundestag an der Reihe. Die Parteien wechseln sich nach Proporz mit Vorschlägen ab. Kandidat*innen müssen zunächst durch den zwölfköpfigen Wahlausschuss des Bundestags mit Zweidrittelmehrheit nominiert werden. CDU und CSU stellen fünf, die AfD drei, die SPD zwei sowie Grüne und Linke jeweils ein Mitglied des Gremiums. Anschließend brauchen die Nominierten auch im Plenum des Parlaments eine Zweidrittelmehrheit.

Das Scheitern der Richterwahl im Juli hat das Vertrauen in der neu gebildeten Regierungskoalition stark belastet. Die SPD beklagte eine »Hetzkampagne« gegen Brosius-Gersdorf und warf der Unionsführung vor, die eigene Fraktion nicht im Griff zu haben. Sie hielt zunächst an Brosius-Gersdorf fest, die aber Anfang August ihre Kandidatur zurückzog.

»Ich kann nur betonen, dass die Verantwortung für klare Mehrheiten bei der Union liegt.«

Ines Schwerdtner Linke-Ko-Vorsitzende

Unionsfraktionschef Spahn bekräftigte nun am Sonntagabend in der ARD: »Es wird klappen am Donnerstag.« Sigrid Emmenegger sei eine »sehr gute« Kandidatin. Die nötige Zweidrittelmehrheit für die Kandidat*innen wird es am Donnerstag aber nur mit Stimmen der Linken und der Grünen geben, denn die Koalition will nicht auf die AfD angewiesen sein.

Die Linke fordert, dass die Unionsfraktion mit ihr auch direkt über ihren Kandidaten spricht. Das sei noch immer nicht geschehen, sagte Linke-Chefin Schwerdtner am Montag in Berlin. Sie betonte, die »Verantwortung für klare Mehrheiten« liege bei der Union. Wenn die CDU sich nicht auf ihre Partei zubewege, sei sie »einfach nicht regierungsfähig«. Jens Spahn hatte angedeutet, er würde es für ausreichend halten, wenn die SPD-Fraktion sich mit der Linken abstimme. Dazu erklärte Schwerdtner: »Ich halte nicht so viel von Vertreterlösungen, insbesondere wenn es um einen CDU-Kandidaten geht.« Dieses »Um-die-Ecke-Spielen« der CDU, die pro forma noch immer an ihrem Unvereinbarkeitsbeschluss gegen die Linke festhalte, sei »Kindergarten«.

Am Montagnachmittag teilte Linksfraktionschefin Heidi Reichinnek mit, man habe in der Fraktion »miteinander vereinbart, dass es sich bei dieser Wahl um eine Gewissensentscheidung handelt und unsere Abgeordneten jeweils für sich entscheiden, wie sie sich bei der Wahl verhalten«. Auch Reichinnek kritisierte noch einmal die Union: Die sei »nicht nur nicht bereit dazu, demokratische Mehrheiten« für die Kandidat*innen sicherzustellen, sondern habe sich »darüber hinaus an der rechtsextremen Hetzkampagne gegen die Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf beteiligt«. Es sei »nicht hinnehmbar, wie die Union parteipolitisch taktiert und das Gericht zum Spielball ihrer Eitelkeiten macht«.

Abgestimmt wird am Donnerstag im Plenum über jeden Kandidaten einzeln. Bislang ist es keineswegs sicher, dass alles glattgeht. Denn bereits im Juli waren Stimmen aus der Union laut geworden, die auch die Kandidatur von Ann-Katrin Kaufhold infrage stellten. Auch gegen sie hatten einige Medien eine Kampagne gestartet. So behauptete das Magazin »Cicero«, Kaufhold strebe »einen radikalen Umbau der Gesellschaft« an.

Entsprechend macht auch die AfD seit Monaten gegen die Münchner Rechtswissenschaftlerin mobil. Der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Bernd Baumann, erklärte am Montag erneut, Kaufhold sei eine Enteignungsbefürworterin und stehe für eine »radikale Klimapolitik«. Aufgrund des Festhaltens der SPD an ihr »sehe ich, wie weit sie zu gehen bereit ist, Aktivistinnen in das Verfassungsgericht wählen zu lassen«. Kaufholds Nominierung sei »Teil eines Unterwanderungsversuchs«, mit dem »linksgrüne Kräfte« das Karlsruher Gericht »auf Linie bringen« wollten. Die Union dürfe dies nicht unterstützen.

Der erste Vorwurf wird auf der Grundlage der Tatsache erhoben, dass Kaufhold Mitglied einer vom Berliner Senat berufenen Expertenkommission war, die Wege zur rechtssicheren Umsetzung des Berliner Volksentscheids zur Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne erarbeiten sollte. Als klimapolitisch radikal wird die 49-Jährige dargestellt, weil sie Gerichten in diesem Bereich eine wichtige Rolle zumisst. Denn Parlamente täten sich oft schwer mit der Umsetzung »unpopulärer Maßnahmen«, so Kaufhold. Zugleich stellte sie aber fest, die politische Legitimation von Parlamenten sei deutlich höher als die von Gerichten.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193985.verfassungsrichterwahl-verfassungsrichterwahl-konsenskandidatin-fuer-karlsruhe.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193214.wahlen-von-verfassungsrichtern-rechte-kampagne-gegen-zweite-spd-kandidatin-nimmt-an-fahrt-auf.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194201.abtreibungsgegner-in-berlin-feministisch-gegen-den-marsch-fuer-das-leben.html
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193196.bundesverfassungsgericht-der-fall-brosius-gersdorf-die-drueckerkolonnen-der-afd.html