Die Not an hessischen Kitas ist groß. Für viele Eltern gehört es längst zum Alltag, dass Betreuungszeiten gekürzt werden, weil es an Personal fehlt. Im Krankheitsfall müssen Gruppen immer wieder tageweise schließen. Um die Betreuung ihrer Kinder sicherzustellen, müssen viele Eltern ihre Arbeitszeit reduzieren.
Einen Ausweg aus dieser Misere sucht die schwarz-rote Landesregierung nun mit einem umfassenden Gesetzespaket. Geplant ist, mehr Personal ohne klassische Erzieher*innen-Ausbildung zu gewinnen. Sozialministerin Heike Hofmann (SPD) möchte damit »mehr Menschen den Zugang zur Arbeit in Kitas ermöglichen – und so Kommunen und Trägern helfen, mehr Kita-Plätze anzubieten«, betonte sie bei der Vorstellung des Vorhabens. Laut Bertelsmann-Stiftung[1] fehlten in Hessen Ende 2023 rund 41 000 Kita-Plätze und etwa 7500 pädagogische Fachkräfte.
Angesichts des akuten Fachkräftemangels will die Koalition den Anteil an Personal ohne pädagogische Qualifikation in Kitas von bislang 25 auf 30 Prozent erhöhen. Dafür muss das hessische Kinder- und Jugendhilfegesetz geändert werden.[2] Die erste Lesung fand am 9. September im Landtag in Wiesbaden statt. Hofmann hofft insbesondere auf Physiotherapeut*innen, Ergotherapeut*innen und Logopäd*innen, die sich für die Arbeit im Kindergarten qualifizieren. Eine Weiterbildung im Umfang von 160 Stunden soll dafür ausreichen.
Außerdem plant die Koalition, das Förderprogramm für nichtpädagogisches Personal in Kitas zu verlängern. Diese Assistenzen sollen pädagogische Fachkräfte entlasten – etwa beim Tischdecken, Aufräumen, Vorlesen oder beim Anziehen der Kinder. Für 2025 stehen laut Ministerium 800 Plätze zur Verfügung, von 2026 bis 2028 sollen jährlich 950 Kita-Assistenzen vollständig vom Land finanziert werden.
Den Engpass bei Kita-Leitungen will Hofmann durch eine neue Regelung entschärfen: Künftig sollen auch Absolvent*innen des Studiengangs Sozialmanagement nach entsprechender Fortbildung als freigestellte Kita-Leitungen anerkannt werden. »Die Anforderungen an Kita-Leitungen haben sich stark verändert«, so Hofmann. »Managementfähigkeiten sind wichtiger denn je.« Allzu oft scheiterten Bewerbungen an formalen Hürden – das wolle man nun ändern.
Deutliche Kritik kommt von der Linkspartei. »Statt die Arbeitsbedingungen zu verbessern, öffnet die Koalition die Tür für immer mehr fachfremdes Personal«, erklärte die stellvertretende Landesvorsitzende Silvia Hable gegenüber dem »nd«. Die pädagogische Qualität werde dadurch gefährdet – »und am Ende tragen Kinder, Eltern und Beschäftigte die Konsequenzen«.
Hable befürchtet mit dem Gesetzespaket einen Abbau von Standards in der frühkindlichen Bildung. Zwar sei der Aufgabenbereich von Kita-Assistenzen formal begrenzt, in der Praxis jedoch unterstützten sie die Gruppen häufig deutlich umfangreicher. Ihre Tätigkeit lasse sich im Kita-Alltag kaum isolieren – das fördere Lohndumping, kritisierte sie. »Es darf nicht länger darum gehen, Betreuung irgendwie zu organisieren, sondern darum, dass jedes Kind beste Bildungschancen erhält.«
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)[3] weist auf eine andere Ebene hin: Statt die Ursachen des Personalmangels anzugehen, werde nur an den Symptomen herumgedoktert. »Dem Fachkräftemangel in den Kitas begegnen wir am besten mit guten Arbeitsbedingungen«, sagte Heike Ackermann, stellvertretende Vorsitzende der GEW Hessen, anlässlich der ersten Lesung. »Wir brauchen eine Ausbildungsoffensive, die Anreize schafft, den Erzieher*innenberuf zu ergreifen. Doch im Moment passiert genau das Gegenteil.«
In derselben Richtung argumentiert Felix Martin, Sprecher der Grünen für frühkindliche Bildung. Er befürchtet, dass die Pläne der Landesregierung am eigentlichen Problem vorbeigehen: »Die Initiative wird weder die bestehenden Engpässe noch die finanzielle Belastung der Kommunen oder die unzuverlässigen Öffnungszeiten spürbar verbessern«, sagte er im Gespräch mit dem »nd«. Viele zentrale Fragen blieben unbeantwortet. Derzeit seien etwa gerade einmal 10 Prozent des Personals fachfremd. »Die Kitas greifen auf diese Möglichkeit offenbar nicht häufig zurück.«
Als wirksames Mittel gegen den Personalmangel sieht Martin eine attraktivere Ausbildung zur Erzieherin bzw. zum Erzieher. Bereits im Mai brachten die Grünen einen Gesetzesentwurf mit 20 Maßnahmen in den Landtag ein – darunter eine Verkürzung der Ausbildungsdauer von fünf auf vier Jahre – wie bereits in Bayern praktiziert – sowie eine bessere Vergütung oder die Abschaffung des Schulgelds. Bei Fachverbänden stößt der Vorschlag zwar auf breite Zustimmung, doch im Parlament wird er wohl keine Mehrheit finden. Im Dezember wird darüber zusammen mit dem Gesetzesentwurf der schwarz-roten Koalition abgestimmt.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194238.fachkraeftemangel-mehr-fachfremde-in-die-kitas.html