nd-aktuell.de / 23.09.2025 / Politik

AfD zieht in Integrationsräte ein

In mehreren Städten in NRW wurden die Rechten stärkste Kraft in den Integrationsgremien

David Bieber
Ab dem 1. November 2025 wird das Gremium in »Ausschuss für Chancengerechtigkeit und Integration« umbenannt.
Ab dem 1. November 2025 wird das Gremium in »Ausschuss für Chancengerechtigkeit und Integration« umbenannt.

Die AfD[1] wurde bei den im Rahmen der NRW-Kommunalwahl[2] abgehaltenen Integrationsratswahlen mehrfach stärkste oder zweitstärkste Kraft. In Hagen, Paderborn, Gummersbach und Sankt Augustin ist die AfD als stärkste Kraft in die dortigen Integrationsräte gewählt worden. In Essen, Bochum und Gelsenkirchen[3] sowie in Siegen, Wuppertal, Gevelsberg und Ennepetal erreichte sie den zweiten Platz. Wie passt das zusammen? Integrationsräte sind doch Interessenvertretungen ausländischer Bürger*innen.

»Wir stehen vor großen Herausforderungen in unseren Gremien«, erklärt der Vorsitzende des Landesintegrationsrates NRW, Tayfun Keltek, im Gespräch mit »nd«. Die AfD sei zwar die stärkste Liste in den Integrationsräten in einigen Kommunen geworden, dennoch müsse das Ergebnis in der Gesamtschau betrachtet werden. »Es wurde in 114 Kommunen gewählt und die große Mehrheit der Wählerinnen und Wähler hat sich für demokratische Kräfte entschieden.«

Dennoch rechnet Keltek damit, dass in einigen Kommunen rassistische Kräfte versuchen werden, die Sitzungen zu stören und diese für ihre menschenfeindliche Agenda zu nutzen. Britta Söntgerath, Integrationskandidatin aus Duisburg, die neben der deutschen auch die griechische Nationalität hat und entsprechend wählen und kandidieren darf, pflichtet ihm bei. »Sie werden versuchen, die Gesellschaft mit grotesken Forderungen weiter zu polarisieren und zu spalten.« Es sei paradox, dass manche Menschen mit internationaler Familiengeschichte »von der Rhetorik und der manipulativen Medienkampagne der AfD« erreicht wurden, so Keltek. »Sie haben nicht begriffen, dass sie selbst die Zielgruppe einer menschenfeindlichen und rassistischen Politik sind.«

Doch warum wählen auch manche Migrant*innen oder Menschen mit internationaler Familiengeschichte überhaupt die AfD? Auch unter Menschen mit Migrationshintergrund gibt es viele mit konservativ-nationaler Gesinnung, so auch unter Türkei- und Russlandstämmigen. In Duisburg [4]etwa sind viele türkische Hausbesitzer und Geschäftsleute äußerst kritisch gegenüber Bulgaren und Rumänen eingestellt, die seit 2013 in der Stadt leben und häufig als Problem wahrgenommen werden – obwohl viele von diesen ebenfalls Muslime sind.

»Auf keinen Fall dürfen wir uns von Rassisten und Rechtsextremisten auseinanderbringen lassen.«

Tayfun Keltek Vorsitzender des Landesintegrationsrates NRW

»In Essen beobachten wir, wie die AfD mittlerweile auch in Teilen russlanddeutscher und türkischstämmiger Wähler greift«, erklärt Roman Snegur von der Internationalen Liste der Linken und stellvertretendes Mitglied im Integrationsrat Essen. Das erkläre sich aus einer »rechtspopulistischen Diskursverschiebung, die bis in migrantische Communities hineinwirkt«. Übersetzt heißt das: Die binäre Logik von »guten« und »schlechten« Ausländern führt zunehmend zu Abgrenzungen nach innen – in der Hoffnung, selbst unbehelligt zu bleiben.

Das deckt sich mit Expertenmeinungen, die besagen, dass einige türkische AfD-Politiker gezielt mit einer Abgrenzung zwischen willkommenen Arbeitsmigrant*innen und unerwünschten, illegalen Armutszuwanderern diese Zielgruppe ansprechen. Nicht wenige Zugewanderte, die schon sehr lange in Deutschland leben, sehen den Zuzug von Geflüchteten kritisch. Sozialleistungen, die diese Menschen beanspruchen, sorgen vielfach für Missgunst.

Keltek erklärt die Erfolge der AfD auch mit Abstiegsängsten unter Migrant*innen sowie mit einer allgemeinen gesellschaftlichen Verunsicherung, die die AfD nutze, um den Zusammenhalt in den Kommunen zu gefährden. Der Funke-Mediengruppe sagte Keltek zudem: »Rund 80 bis 90 Prozent der Migranten interessieren sich für Politik eigentlich nicht.« Es seien vielmehr die »fetten Überschriften mancher Medien, die bei ihnen deshalb Wirkung entfachen«. Diese würden viel zu oft »nicht hinterfragt.« Unabhängig davon, was die AfD in den Integrationsräten unternehmen wird, ist für Keltek eines klar: »Auf keinen Fall dürfen wir uns von Rassisten und Rechtsextremisten auseinanderbringen lassen. Vielmehr müssen wir sie als Motivation verstehen, noch engagierter für die Interessen von Menschen mit internationaler Familiengeschichte einzutreten.«

Jede Gemeinde in NRW, in der mindestens 5000 ausländische Bürger*innen mit Hauptwohnsitz gemeldet sind, ist verpflichtet, einen Integrationsrat oder einen »Integrationsausschuss« zu bilden. Nach Berechnungen des Landesintegrationsrates NRW waren etwa 3,3 Millionen Menschen mit internationaler Familiengeschichte wahlberechtigt. Schätzungsweise zwei Drittel von ihnen durften ihre Stimme auch bei der Kommunalwahl abgeben.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194177.landgericht-berlin-raeumungsklage-afd-soll-ihre-sachen-nehmen-und-gehen.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194054.nordrhein-westfalen-kommunalwahl-nrw-linker-rhein-n-rechte-ruhr.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190420.extreme-rechte-gelsenkirchen-rechter-angriff-auf-linke-buero-am-helllichten-tag.html
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193998.kommunalwahlen-duisburg-in-nrw-die-ehemalige-herzkammer-der-spd.html