Frau Wilpert, wie viel haben Sie verdient dieses Jahr?
Da muss ich mal nachsehen, Moment. Das dürften dieses Jahr bisher um die 20 000 Euro brutto gewesen sein.
Sie haben neulich in einem Instagram-Post geschrieben, dass Sie nach sieben Jahren, in denen Sie ausschließlich als Autorin gearbeitet haben, jetzt einen Nebenjob annehmen, weil Sie etwas Abstand brauchen von der Literaturbetriebsmaschine. Was machen Sie jetzt?
Ich bleibe hauptberuflich Autorin, unterrichte aber nebenher Deutsch als Fremdsprache. Das ist ganz glücklich, weil es mir erlaubt, flexibel zu sein: Ich kann also nach wie vor Lesungen wahrnehmen. Ich habe auch das Glück, die Entscheidung nicht aus einer konkreten Notlage heraus treffen zu müssen: Mein Partner ist Arzt, wir haben eine günstige Wohnung – wir leben in Leipzig, wo die Lebenshaltungskosten im Vergleich noch relativ gering sind, obwohl auch hier die Preise anziehen, gerade die Mieten. Aber mit dem zweiten Kind jetzt werden wir perspektivisch eine größere Wohnung brauchen, und die Situation im Literaturbetrieb wird nicht einfacher.
Wie setzen sich die 20 000 Euro grob zusammen?
Ein Viertel davon ist für ein Script für ein Computerspiel. Ich habe auch ein Theaterstück geschrieben. Ich veröffentliche in einem unabhängigen Verlag, also gibt es keine Vorschüsse; entsprechend muss ich eigentlich alle zwei Jahre einen Roman schreiben, um davon leben zu können. Das eine Jahr wird dann durch Lesungen finanziert, das andere durch die Buchverkäufe.
Was, wenn sich ein Roman nicht gut verkauft?
Eben. Es ist alles andere als krisenfest. Hinzu kommen die vielen Einsparungen im Kulturbereich. Für meinen letzten Roman gab es drei Stipendien, auf die ich mich bewerben konnte. Bis vor Kurzem gab es noch eine vierte Möglichkeit, aber durch die Einsparungen ist das Leipziger Autor*innenstipendium jetzt gestrichen worden. Die Konkurrenz ist also entsprechend groß.
Sie schreiben auch, dass die meisten Förderungen für Sie gar nicht infrage kommen, weil es Aufenthaltsstipendien sind.
Ja, die Förderlandschaft in Deutschland denkt Menschen, die sich um andere kümmern, nicht mit. Ich kann nicht drei Monate in eine andere Stadt ziehen, und ich will das auch gar nicht, ich habe zwei Kinder hier. Es gab nur ein Stipendium, das auch mit Kind machbar gewesen ist, in der Villa Aurora in Los Angeles. Aber das ging auch nur, weil mein Partner in Elternzeit war. Da musste viel zusammenkommen, dass das möglich wurde.
Wollten Sie schon immer Autorin werden?
Ja, das ist bei mir schon beinah klischeehaft. Ich wollte Schriftstellerin sein, seit ich sieben bin. Mit elf habe ich auf einer Schreibmaschine meine ersten Drachengeschichten geschrieben, weil ich so begeistert war von Cornelia Funke. Aber gleichzeitig neige ich nicht zur Romantik: Ich bin zwar nicht arm aufgewachsen, aber meine Mutter war alleinerziehend, und ich erinnere mich noch daran, wie sie abends weinend am Küchentisch saß, weil sie nicht wusste, wie sie den Kredit für das Haus bedienen sollte. Das hat mich schon geprägt. Außerdem habe ich am Literaturinstitut in Leipzig studiert, und da haben uns die Dozent*innen von Anfang an gesagt: Rechnet nicht damit, dass ihr davon leben könnt. Als mein erster Roman dann Preise bekommen hat, habe ich mir gesagt: Versuche ich es eben. Und es ist auch sieben Jahre gut gegangen.
Was ist das gute Leben?
Für mich ist der Maßstab, dass ich mir einen Kaffee kaufen kann, ohne darüber nachdenken zu müssen. Das ist, was ich darunter verstehe.
Die wenigsten Schriftsteller*innen können vom Schreiben allein leben. Es ist schwieriger geworden, nebenher mit publizistischen Texten Geld zu verdienen.
Den Eindruck teile ich. Print wirft kaum mehr Geld ab. Ich habe jetzt ein Hörspiel gepitcht – wenn das klappt, ist das schon viel Geld, aber die Plätze werden auch immer weniger. Es wird zuerst an der Kultur gespart, es gibt auch viel weniger Platz für Rezensionen und Literatur insgesamt. Gleichzeitig nimmt die Vielfalt ab: Wir leben in einem System, das Johannes Franzen »Name Economy« genannt hat. Prominente schreiben Bücher, um ihre Prominenz weiter zu melken: Das ist natürlich legitim, aber es verändert eben auch den Buchmarkt. Je mehr Förderungen gestrichen werden, desto mehr verkauft sich das, was sich eh schon gut verkauft. Das ist eben in erster Linie Genre-Literatur. Es gibt immer weniger Korrektive: Ich bin sehr glücklich für Caroline Wahl, dass ihre Karriere so gut läuft. Was ich nicht verstehe, ist, dass quasi jedes Feuilleton sie dann auch zum Aufmacher macht, als gäbe es nichts anderes. Klar, das klickt gut, deswegen setzen sich alle mit drauf auf den Hype-Train. Aber dadurch geht auch etwas verloren. Das ist nicht die Verantwortung von Caroline Wahl, das ist klar. Es ist ein systemisches Problem.
Es werden gleichzeitig immer weniger Bücher verkauft.
Und jenseits davon: KI ist tatsächlich eine Entwicklung, die mir Sorgen bereitet. Wenn Texte immer zugänglicher und augenscheinlich auf jedes Bedürfnis zugeschnitten werden, was bedeutet das für die anderen Texte, die zu lesen Arbeit ist? Gleichzeitig muss man ja auch immer mitspielen bei dem Hustle: Ich habe diesen teilweisen Rückzug auch als Instagram-Story gepostet, schon auch, weil mir die Diskussion Freude macht und die Interaktion. Aber gleichzeitig brauchen wir nicht so zu tun, als hieße mehr Follower*innen nicht auch mehr verkaufte Bücher.
Mein Eindruck ist auch, dass ob der Überlebenskämpfe vieler Beteiligter das Profil der Kultur verloren gegangen ist. Ergibt sich mit so einem reaktionären Knochen wie Wolfram Weimer als Kulturminister auch eine Chance, sich wieder zu positionieren?
Ich bin da weniger optimistisch. Zunächst einmal halte ich es für wichtig, dass Linke und Liberale für etwas stehen und nicht gegen etwas. Und dann umfasst die autoritäre Wende ja weit mehr als nur den einen Kulturminister: Es sitzen jetzt auch AfDler*innen in Gremien, die Stipendien vergeben, in Erfurt zum Beispiel. Insgesamt ist der ganze Betrieb bei Weitem nicht so links, wie man von außen annehmen würde. In der Geschäftsführung des Deutschen Literaturfonds sitzt ein Gründungsmitglied der AfD. Der vergibt jetzt nicht in Eigenregie Preise oder dergleichen, aber es gibt doch einen Hinweis darauf, dass der ganze Betrieb nicht so oppositionell ist, wie manche sich einreden.
Dazu passt mein Eindruck, dass es aktuell sehr viel Stellvertreter*innen-Literatur gibt, also Bücher, die nicht davon handeln, wie es ist, arm zu sein, sondern davon, dass die Eltern es waren.
In die meisten Autor*innenbiografien sind die Aufstiegsgeschichten mit eingeschrieben, wenn es in den Büchern um Klassismus geht. Das liegt aber auch am Medium: Im Schreiben kommt man nicht um den Bildungsaspekt herum. Das ist allerdings eine Konstante. In der DDR wurde ja versucht, das anders zu machen, zum Beispiel mit dem Bitterfelder Weg. Das ist aber nur mäßig gelungen. Wenn man möchte, dass Literatur diverser wird, dann wird man nicht um ein bedingungsloses Grundeinkommen herumkommen.