nd-aktuell.de / 23.09.2025 / Berlin

Berlin: Auch Arme sollen wohnen dürfen

Grüne wollen private Vermieter verpflichten, Sozial­wohnungen anzubieten

Marten Brehmer
Knapp die Hälfte der Berliner Bevölkerung hat Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein – aber es gibt nur 80 000 Sozialwohnungen.
Knapp die Hälfte der Berliner Bevölkerung hat Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein – aber es gibt nur 80 000 Sozialwohnungen.

Sollten sich Linke, Grüne und SPD nach der Abgeordnetenhauswahl 2026 erneut zu einer rot-grün-roten Koalition zusammenfinden, ist wohl schon jetzt klar, welches Projekt sie zuerst angehen würden: Nach der Linken und zuletzt auch der SPD haben nun auch die Grünen angekündigt, eine Sozialquote bei privaten Vermietern einführen zu wollen. »Dass Eigentum verpflichtet, muss auch auf dem Berliner Mietmarkt gelten«, sagte Fraktionschef Werner Graf bei einer Pressekonferenz am Dienstag.

Nach dem Willen der Grünen sollen private Vermieter künftig einen bestimmten Prozentsatz ihrer Neuvermietungen für Mieter mit Wohnberechtigungsschein (WBS) reservieren. Mit dem WBS erhalten Mieter, die eine festgelegte Einkommensgrenze unterschreiten, die Möglichkeit, Sozialwohnungen zu mieten. In dem Modell der Grünen sollen Vermieter mit 51 bis 1000 Wohnungen 10 Prozent der frei werdenden Wohnungen, Vermieter mit 1000 bis 1999 Wohnungen 20 Prozent und Vermieter mit mehr als 2000 Wohnungen 30 Prozent an Arme vermieten.

Die Hälfte der so zu vergebenen Wohnungen soll nach den Plänen der Grünen an Mieter mit dem für besonders finanzschwache Haushalte vorgesehenen WBS 140 reserviert werden, die andere Hälfte soll auch an Mieter mit dem WBS 180 vermietbar sein, der höhere Einkommensgrenzen vorsieht[1]. Insgesamt erfüllt etwa die Hälfte der Berliner Bevölkerung die Kriterien für einen Wohnberechtigungsschein.

»Es geht darum, dass sich der Vermieter nicht nur die finanziell starken Mieter aussuchen kann«, sagte Katrin Schmidberger, wohnungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. »Es gibt kein Recht auf unendliche Rendite.« Ihr Fraktionskollege Werner Graf verwies darauf, dass es aktuell gerade einmal 80 000 Sozialwohnungen in Berlin gebe, von denen auch noch 4000 bis 5000 im Jahr aus der Sozialbindung fielen.

Genossenschaften sollen von der Regelung ausgenommen werden. Dazu kommt eine wichtige Ausnahme: Auch der Neubau soll von der Quote ausgespart bleiben. »Wir wollen Vermieter nicht in die wirtschaftliche Unterdeckung führen«, sagte Schmidberger. »Der Bestand ist der beste Weg, um die Breite der Gesellschaft zu erreichen.«

Zudem wollen die Grünen Vermieter verpflichten, ihre Häuser besser instand zu halten. Aktuell beobachte man immer wieder, dass Wohnungen dem Verfall preisgegeben werden, weil die Besitzer damit spekulieren. »Häuser werden dem Markt entzogen, ohne dass investiert wird«, so Schmidberger. Vermieter sollen deshalb dazu verpflichtet werden, einen Teil der Miete für laufende Sanierungen zu nutzen und Gelder für künftige Schäden zurückzulegen[2]. »Wir wollen, dass eine Rücklage gebildet werden muss und dies nachgewiesen werden muss«, so Schmidberger.

»Es geht darum, dass sich der Vermieter nicht nur die finanziell starken Mieter aussuchen kann.«

Katrin Schmidberger (Grüne)
Wohnungspolitische Sprecherin

Sollten sich Vermieter nicht an die neuen Regeln halten, wollen die Grünen die Schwerter des Staates ordentlich schärfen: »Bislang können Vermieter Bußgelder aus der Portokasse zahlen«, beklagte Schmidberger. Das schrecke die wenigsten von unlauteren Praktiken ab. Künftig sollen Vermieter nach dem Willen der Grünen ihren gesamten wirtschaftlichen Gewinn, den sie aus einer widerrechtlichen Maßnahme gezogen haben, an den Staat abgeben müssen.

Bei schwerwiegenderen Verstößen soll es noch dicker kommen: So sollen Wohnungsunternehmen bei wiederholtem Fehlverhalten unter die Verwaltung eines Treuhänders gestellt werden können. In anderen Fällen soll es Vermietern gar untersagt werden, auf dem Berliner Wohnungsmarkt als Unternehmen tätig zu sein. Als »Ultima Ratio«, wie Schmidberger es nennt, sollen die Unternehmen gar gezwungen werden können, ihre Wohnungsbestände zu veräußern. »Dann müssen sie ihre Häuser innerhalb von zwei bis drei Jahren verkaufen und sich zurückziehen«, so die Grünen-Politikerin. Man prüfe aktuell, ob dem Senat dabei ein Vorkaufsrecht zugesprochen werden kann.

»Wir sind sehr froh, dass in zunehmendem Maße die Wohnungsproblematik erkannt wird – fast in allen politischen Lagern«, sagte Rainer Tietzsch, Vorsitzender des Berliner Mietervereins. Er spreche als Privatperson, weil die Vorschläge der Parteien bislang in seinem Verband nicht diskutiert wurden, stellte er zu Beginn der Pressekonferenz klar. Trotzdem ließ er Sympathien für die Vorschläge der Grünen durchblicken. »Der Gebrauch des Eigentums soll der Allgemeinheit dienen«, sagte Tietzsch. »Wenn man am Wohnungsmarkt verdient, soll man sich an den Lasten beteiligen.«

Ein Elefant im Raum bleibt jedoch: 2021 erklärte das Bundesverfassungsgericht den Berliner Mietendeckel für verfassungswidrig, weil das Land Berlin damit seine Kompetenzen überschreite. Auch solch weitreichende Regelungen, wie sie jetzt von den Parteien des linken Spektrums vorgeschlagen werden, dürften wohl den Gang nach Karlsruhe nach sich ziehen. Tietzsch verwies darauf, dass das Bundesverfassungsgericht Schlupflöcher für eine Regulierung der Wohnraumbewirtschaftung gelassen habe. »Man wird das ausprobieren und sinnvoll füllen müssen«, so der Mietervereinsvorsitzende.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193944.mietenwahnsinn-linke-plan-gegen-mietenwahnsinn-sozialquote-fuer-vermieter.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1185197.mietenpolitik-berlin-linke-will-wohnungsbesitzer-zwingen-an-arme-zu-vermieten.html