Sofort, unverzüglich«. Zwei Worte, die Weltgeschichte entschieden. Ausgesprochen von Politbüromitglied Günter Schabowksi am Abend des 9. November 1989, der den Sturm auf die Berliner Mauer auslöste und den Eisernen Vorhang zwischen Ost und West zerriss. Zwei schicksalhafte Worte, mittlerweile vor allem von Ostdeutschen gern als fröhlicher, auch ironischer bis sarkastischer Kommentar zu unverhofften oder erhofften Überraschungen im Alltag genutzt.
Zufällig oder zwingend? Am 19. September 1990 taucht dieses Wortpaar in einer Anordnung aus dem Büro des letzten DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière auf: Es seien »unverzüglich die erforderlichen Entscheidungen über die sofortige Teil- oder Vollsperrung des Palastes der Republik zur Vorbereitung und Durchführung einer umfassenden Entsorgung des Bauwerks zu treffen. Angesichts der bekannten Reaktionen der Öffentlichkeit und notwendiger Entscheidungen in Bezug auf die morgen angesetzte Beratung der Volkskammer bitte ich, dies noch am heutigen Tag zu veranlassen und mich morgen zu informieren.«
Unterzeichnet ist dieser Prikas von Klaus Reichenbach, Mitglied der CDU der DDR, studierter Jurist, ehemaliger Direktor des VEB Feinstrickwaren »Goldfasan« in Burgstädt nahe Karl-Marx-Stadt und nach der deutschen Vereinigung Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten in Sachsen, aber dann (wie sollte es anders sein) vom christdemokratischen Westimport Kurt »König« Biedenkopf ausgebremst. Der Mohr hatte seine Schuldigkeit getan. Tatsächlich erging noch am selben Tag vor 35 Jahren eine Anweisung aus der Bezirkshygieneinspektion Berlin bezüglich des Palastes der Republik: »Eine Schließung aus Gründen der Gesundheitsgefährdung duldet keinen Aufschub.«
Die am 18. März des Jahres gewählte neue und letzte Volkskammer der DDR verließ überstürzt ihr Domizil im Seitenflügel des Palastes, den Kleinen Saal. In Panik, die unbegründet war. Rudolf Denner, Chronist des Aufbaus und Abrisses des Palastes der Republik im Herzen Berlins, ist überzeugt: Die abrupte Schließung vor 35 Jahren war politisch intendiert, der de-Maizière-Regierung von deren westdeutschen Beratern oktroyiert worden. »Die Bundesregierung wollte die Sache vor dem 3. Oktober 1990 erledigt haben.« Und hatte hierbei im letzten DDR-Parlament wie in der letzten DDR-Regierung willige Vollstrecker. Bereits am 1. Juni 1990 war das Staatswappen von der Stirnwand im Plenarsaal des Palastes entfernt worden, am 5. Juni auch das an der Außenfassade.
»Asbestverseuchung« lautete das ideologische Schlagwort. Die Zunft spricht von »Asbestbelastung«, betont Denner, der zudem weiß: »Das trifft auf 5000 öffentliche Gebäude in Berlin zu.« Unter anderem auf das Westberliner Internationale Congress Centrum, ICC (das noch immer genutzt wird, unter Denkmalschutz gestellt wurde). »Der Abrissbeschluss war Betrug«, sagt Denner. »Die Schließung des Palastes der Republik auf dem damaligen Marx-Engels-Platz erfolgte sowohl für die Besucher als auch für die Mitarbeiter des Palastes überraschend und unter dubiosen, bis heute nicht vollständig geklärten Umständen.«
Bezeichnend: Es war eine Westberliner Firma, die das Gutachten erstellen sollte. Warum keine Ostberliner? Merkwürdig ebenso, dass das sogenannte Asbest-Gutachten erst im Dezember 1990 fertiggestellt wurde, drei Monate nach der Schließung. »Und warum wurde es der Öffentlichkeit nicht vorgestellt?«, fragt sich Denner. »Bis heute nicht.«
»Ich war im Bauamt, wollte die Messprotokolle sehen, keiner wusste, wo die abgeblieben sind.« Auch seine Anfragen beim Bundeskanzleramt blieben erfolglos. Die Protokolle des Bundestags von 2003, in dem das Schicksal des Palastes noch einmal auf der Tagesordnung stand, hat er einsehen können. »Sehr aussagekräftig. Da redeten Leute, die den Palast überhaupt nicht kannten, noch nie von innen gesehen, das vielfältige Leben hier nicht erlebt hatten.« Enttäuscht registrierte Denner auch »hasserfüllte« Einlassungen einiger ehemaliger DDR-Bürgerrechtler wie Thierse, Lengsfeld, Nooke, Eppelmann. Das definitive Aus für den Palast entschied sich am 19. Januar 2006, als der Antrag der Fraktion der PDS, den Abriss zu stoppen, im Bundestag abgelehnt wurde.
Ja, der am 23. April 1976 nach (nur) 32-monatiger Bauzeit eröffnete Palast der Republik war auch Tagungsstätte von SED-Parteitagen, internationalen Gewerkschaftskongressen und Konferenzen der kommunistischen und Arbeiterparteien, diente propagandistischer Selbstinszenierung. Aber vor allem, betont der 86-Jährige, war das Haus auf dem Marx-Engels-Platz ein Kulturpalast. »Über 90 Prozent aller Veranstaltungen waren der Kultur gewidmet. Und es war im wahrsten Sinne ein Haus des Volkes, galt als einzigartig in Europa.« Es gab ein Theater im Palast, viele gastronomische Einrichtungen; besonders beliebt waren die Milch-, Espresso- und Mokka-Bar sowie die Weinstube. Es fehlte nicht an einer Diskothek. Und Sportstätten, für Bowling, Basketball, Fußball, Tischtennis, für jedermann und täglich zugänglich. Hier fanden Konzerte mit internationalen Stars statt. Unvergessen die Rockkonzerte für den Frieden mit nicht nur ostdeutschen Bands wie Puhdys, Karat, City, Silly, Pankow … 1983 bestritt Udo Lindenberg hier sein ostdeutsches Debüt: »In der Bundesrepublik und in der DDR – nirgendwo wollen wir auch nur eine Rakete sehen. Keine Pershings und keine SS-20!«
Denner kennt die Geschichte des Palastes wie kein Zweiter. In unmittelbarer Nähe, in der Hans-Beimler-Straße wohnend, hat er den Aufbau mit seiner Pentacon-Kamera dokumentiert: »Tag und Nacht Krach, als die schweren Eisenträger ins Erdreich gewuchtet wurden. Da habe ich meine ersten Aufnahmen gemacht. Nicht ahnend, was da mal draus wird.« Er war regelmäßiger Besucher, mit der Familie, hat Fotos mit dem Töchterchen im Palast geschossen. »Wenn die Verwandten und Bekannten aus Thüringen kamen, dann ging es immer in den Palast. Das war so üblich.«
Denner mag die Bezeichnungen »Erichs Lampenladen«, »Ballast der Republik« oder »Palazzo Prozzo« nicht. »Das waren nicht unsere Worte.« Letztere Etikettierung stammte von Wolf Biermann. »Ich bin auch oft mit internationalen Kunden da gewesen«, erinnert sich der ehemalige Außenhändler, der in technischen Details und Fakten allein schon berufsmäßig akribisch sein musste und gerade in Hinblick auf die Geschichte und das nachwendische Schicksal des Palastes großen Wert auf wahrheitsgemäße Aussagen legt. »Die Luft im Palast war nicht höher belastet an Asbestfasern als die Luft außerhalb des Palastes. Das lag an den Bremsbelegen der Autos, Trabi und Wartburg«, erzählt Denner. »Es gab eine zulässige Höchstgrenze: 500 Fasern pro Kubikmeter. Gemessen wurden im Palast 50 Fasern pro Kubikmeter, genauso viel wie außerhalb.«
Denner sieht etliche Verstöße gegen Recht und Gesetz, konkret gegen das Grundgesetz, Artikel 14, und gegen den Artikel 35 des Einigungsvertrages. Im GG heißt es: »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.« Denner: »Der Palast der Republik wurde per 3. Oktober 1990 Eigentum der Bundesrepublik Deutschland. Entgegen dem mehrheitlichen Willen der Bürger dieses Landes wurde dieses Eigentum unter hohen Kosten vernichtet, zum Zwecke der Delegitimierung der DDR entsorgt – ein grundgesetzwidriger Akt!« Und in dem im August 1990 unterzeichneten und im September von beiden deutschen Parlamenten, Volkskammer und Bundestag, verabschiedeten Einigungsvertrag war fixiert: »Die kulturelle Substanz in dem in Artikel 3 genannten Gebiet (DDR) darf keinen Schaden nehmen.«
Zum November des Jahres wird das Personal des Palastes abgewickelt. Dann steht das Haus Jahre leer, das Schicksal des Palastes bewegt und entzweit die Gemüter. 1992 schlägt ein Vertreter des Berliner Senats der Bundesregierung vor, das Gebäude zu erhalten und in die weitere Hauptstadtplanung einzubeziehen. Der Senatsausschuss »Berlin 2000« empfiehlt gar die Ergänzung durch einen Erweiterungsbau. Die Bundesbauministerin jedoch will anstelle des Palastes einen Neubau für ein Presse- und Informationsamt. Die Berliner CDU fordert, nebst Palast das Gebäude des Außenministeriums der DDR sowie des Staatsrates abzureißen, um einen »historischen Wiederaufbau« des Areals zu ermöglichen und bietet damit Wilhelm von Boddin eine Steilvorlage; der »Beutepommer«, wie jener sich selbst bezeichnet, rührt bereits die Trommel zur Wiedererrichtung des Stadtschlosses der Hohenzollern. Die Akademie der Künste mahnt in einer Denkschrift behutsamen Umgang mit baulichen Zeitzeugen aller Epochen an, gerade auch aus der DDR. Ein Spitzentreffen der CDU und FDP mit Bundeskanzler Helmut Kohl, Bundespräsident Richard von Weizsäcker und dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen, stellt im März 1993 die Weichen zur Eliminierung des Palastes.
Dem darauffolgenden Aufruf der PDS zu einem »Protestspaziergang« um den Palast schließen sich Tausende Berliner und Berlinerinnen an. Es kommt zu spontanen Unterschriftenaktionen; Initiativen wie »Pro Palast« und das Aktionsbündnis »Macht den Palast auf« bilden sich, weit über 100 »sanfte Palastbelagerungen« finden statt. »Es gab über 800 Petitionen«, erinnert sich Denner, »eine mit knapp 100 000 Unterschriften.« Selbst der Petitionsausschuss des Bundestags habe schließlich empfohlen, den Abriss zu stoppen. »Volkes Wille wurde missachtet. Und zwar gründlich«, empört sich der Zeitzeuge noch heute.
Der bauliche Leichnam des »Hauses für das Volk« wurde gründlich ausgeschlachtet. Aus dem Verkauf von Mobiliar, Gestühl und Geschirr, Marmor- und Granitplatten erzielte der Bund 4,6 Millionen DM. Einige Ausrüstungsgegenstände und Kunstwerke schlummern heute in einem Depot in Berlin-Spandau und im Fundus diverser Museen.
Verschmitzt berichtet Denner, wie es ihm gelungen ist, den Abriss des hermetisch abgeriegelten Palastes auch von innen auf Zelluloid festzuhalten. Vom DDR-Stararchitekten Bruno Flierl hatte er zuvor eine Einweisung erhalten, worauf er besonders achten solle, beispielsweise auf die Sichtachsen. Insofern sind seine damals aufgenommenen Fotos einzigartig, unterscheiden sich von den offiziell in Auftrag gegebenen. Er weiß auch, wer den sarkastischen Spruch »Die DDR hat es nie gegeben« an einem Sockel vor dem sukzessive verschwindenden Palast gesprüht hat, will es aber nicht verraten: »Das habe ich versprochen.« Denner ist ein Mann, der sein Wort hält. »Niemand hat sich getraut, es zu übermalen«, amüsiert er sich über diesen Akt ostdeutschen Trotzes, von dem allerdings witterungsbedingt nach einigen Jahren nichts mehr blieb. Nur noch auf den Fotos von Denner und wohl einiger Berufsfotografen.
Inzwischen ist es Konsens unter Architekten, Kunstexperten und Denkmalschützern auch westdeutscher Provenienz, dass die Beseitigung des Palastes zugunsten eines Disney-Schlosses eine Torheit war. Die Hausherren des Humboldt-Forums haben dem Palast in ihren Räumen eine temporäre Ausstellung gewidmet. Mit der bis Februar diesen Jahres im Schloss zu sehende Schau war Denner nicht zufrieden. »Es kommt nichts Atmosphärisches rüber.« Auch die Besucher des Schlosses wünschten sich, wie Kommentare bezeugen, die Gläserne Blume aus dem Foyer des Palastes sowie ein Funktionsmodell im Humboldt-Forum – sowie eine Verbindung zum traurigen Los des einst populären, stark frequentierten Sport- und Erholungszentrums, SEZ, an der Landsberger (vormals Lenin-)Allee, das sich in einem erbärmlichen Zustand befindet. »Generell stellt sich die Frage nach den vielen, in allen Bezirken der DDR vorhandenen und willkürlich geschlossenen Kulturhäusern und Freizeitstätten«, sagt Denner. »Da ist noch viel aufzuarbeiten.«
Denner und dessen Freundeskreis Palast der Republik, dem über 150 prominente Persönlichkeiten und sogenannte einfache Bürger und Bürgerinnen aus Ost- und Westdeutschland angehören, hat in diesem Jahr seine bereits 35. Wanderausstellung präsentiert. Eine aktualisierte Fassung wird ab kommendem Sonntag im »Café Wostock« in Berlin-Lichtenberg zu sehen sein, von jungen Aktivisten etwas aufgefrischt. Zum 50. Jahrestag der Eröffnung des Palastes im Frühjahr 2026 will man noch Größeres bieten und hofft, dass auch das Humboldt-Forum mitzieht. Man ist bereit, den Schlosskuratoren mit Rat und Tat beiseite zu stehen, sagt Denner und klopft stolz auf einen der dicken, vor ihm auf dem Tisch liegenden Ordner, in denen fast alles festgehalten ist, was es zur Causa Palast der Republik zu wissen gibt.
»Der Palast lebt – Trotz alledem«: 35. Wanderausstellung des Freundeskreises Palast der Republik, Quartiersmanagement Boulevard Kastanienallee, Stollberger Str. 33, 12627 Berlin-Hellersdorf, bis 18. Dezember, geöffnet jeden Donnerstag von 14 bis 16 Uhr. Am Sonntag, 28. September, 13 Uhr, Vernissage der 36. Wanderausstellung im Café Wostock, Weitlingstr. 97, Berlin-Lichtenberg.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194290.jahre-einheit-volkes-wille-wurde-missachtet.html